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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Napoleon denselben als nicht mehr eristirend; Haugwitz mußte am -Is, Februar
einen neuen Vertrag unterzeichnen, nach welchem Preußen die für die Abtre¬
tung von Ansbach versprochene Entschädigung einbüßte, die Eid- und Weser¬
mündungen und seine Seehäfen den englischen Schiffen verschließen und außer
dem Bestände der napoleonischen Macht auch die Vertreibung der Bourbons
aus Neapel verbürgen mußte. Anfangs März erfolgte die Ratifikation dieses
Vertrages. Preußen hatte die Freiheit der Action verloren. Dem Minister
Hardenberg, der als Vertreter der antifranzösischen Richtung in Preußen galt
und den Potsdamer Vertrag zu Stande gebracht hatte, mußte der König "un¬
bestimmten Urlaub" ertheilen; Haugwitz wurde wieder Minister des Auswär¬
tigen. Die Besetzung Hannovers durch Preußen, welche nunmehr definitiv
erfolgte, führte zum Bruche mit England; alle preußischen Schiffe in den bri¬
tischen Häfen wurden mit Beschlag belegt, die norddeutschen Flüsse blokirt;
der Handel Preußens erhielt eine tödtliche Wunde. Am 11. Mai 1806 er¬
klärte dann Preußen den Krieg an England; es zerriß alle Fäden, welche es
an die europäischen Mächte knüpfte, ohne daß seine Beziehungen zu Frank¬
reich inniger wurden; Napoleon behielt seinen Argwohn und Haß gegen
Preußen.

Mit dem "deutschen Reiche" ging es seit dem preßburger Frieden zu
Ende. In diesem Frieden hatte der Kaiser von Oestreich versprochen, "weder
als Neichsoberhaupt noch als Mitstand Irgendeinen Act zu chindern, welcher
infolge davon vollzogen wäre oder vollzogen wurde." Die süddeutschen
Bundesgenossen Napoleons, die neugebackenen Könige von Baiern und Wür-
temberg und der Kurfürst von Baden zogen unter französischer Autorität die
Besitzungen der Neichsritter ein und hoben die ständischen Verfassungen in
ihren Landen auf; sie stellten die Doctrin auf: Souveränetät und ständische
Einrichtungen seien miteinander unverträglich. Dabei blieben ihre Lande
Von der französischen Armee besetzt und empfanden alle Schrecknisse einer bru¬
talen Svldatenherrschaft. Die "Mainzer Zeitung" rief damals aus, es gebe
kein Deutschland mehr, es sei ein Irrthum, an eine, deutsche Nation zu
glauben; das seien nur Klagen am Grabe eines Volkes, das sich über¬
lebt habe. Dem "deutschen Reichstage" wurde der preßburger Friede nicht
einmal zur Sanction vorgelegt. Am 17. Juli 1806 endlich sagten sich vier
Kurfürsten, Baiern, Würtemberg, der Reichserzkanzler, Baden und zwölf
Fürsten vom Reiche los und schlossen mit Napoleon einen Bundesvertrag,
"um dadurch den innern und nußern Frieden Süddeutschlands zu sichern,
für welchen die deutsche Reichsverfassung keinerlei Bürgschaft mehr biete."
Diesem Rheinbünde traten im September Würzburg und bald auch die
sächsischen Fürsten bei. Der Bund war in seinem völkerrechtlichen Ver¬
hältniß an die französische Politik geknüpft; er war eine große napoleonische


Napoleon denselben als nicht mehr eristirend; Haugwitz mußte am -Is, Februar
einen neuen Vertrag unterzeichnen, nach welchem Preußen die für die Abtre¬
tung von Ansbach versprochene Entschädigung einbüßte, die Eid- und Weser¬
mündungen und seine Seehäfen den englischen Schiffen verschließen und außer
dem Bestände der napoleonischen Macht auch die Vertreibung der Bourbons
aus Neapel verbürgen mußte. Anfangs März erfolgte die Ratifikation dieses
Vertrages. Preußen hatte die Freiheit der Action verloren. Dem Minister
Hardenberg, der als Vertreter der antifranzösischen Richtung in Preußen galt
und den Potsdamer Vertrag zu Stande gebracht hatte, mußte der König „un¬
bestimmten Urlaub" ertheilen; Haugwitz wurde wieder Minister des Auswär¬
tigen. Die Besetzung Hannovers durch Preußen, welche nunmehr definitiv
erfolgte, führte zum Bruche mit England; alle preußischen Schiffe in den bri¬
tischen Häfen wurden mit Beschlag belegt, die norddeutschen Flüsse blokirt;
der Handel Preußens erhielt eine tödtliche Wunde. Am 11. Mai 1806 er¬
klärte dann Preußen den Krieg an England; es zerriß alle Fäden, welche es
an die europäischen Mächte knüpfte, ohne daß seine Beziehungen zu Frank¬
reich inniger wurden; Napoleon behielt seinen Argwohn und Haß gegen
Preußen.

Mit dem „deutschen Reiche" ging es seit dem preßburger Frieden zu
Ende. In diesem Frieden hatte der Kaiser von Oestreich versprochen, „weder
als Neichsoberhaupt noch als Mitstand Irgendeinen Act zu chindern, welcher
infolge davon vollzogen wäre oder vollzogen wurde." Die süddeutschen
Bundesgenossen Napoleons, die neugebackenen Könige von Baiern und Wür-
temberg und der Kurfürst von Baden zogen unter französischer Autorität die
Besitzungen der Neichsritter ein und hoben die ständischen Verfassungen in
ihren Landen auf; sie stellten die Doctrin auf: Souveränetät und ständische
Einrichtungen seien miteinander unverträglich. Dabei blieben ihre Lande
Von der französischen Armee besetzt und empfanden alle Schrecknisse einer bru¬
talen Svldatenherrschaft. Die „Mainzer Zeitung" rief damals aus, es gebe
kein Deutschland mehr, es sei ein Irrthum, an eine, deutsche Nation zu
glauben; das seien nur Klagen am Grabe eines Volkes, das sich über¬
lebt habe. Dem „deutschen Reichstage" wurde der preßburger Friede nicht
einmal zur Sanction vorgelegt. Am 17. Juli 1806 endlich sagten sich vier
Kurfürsten, Baiern, Würtemberg, der Reichserzkanzler, Baden und zwölf
Fürsten vom Reiche los und schlossen mit Napoleon einen Bundesvertrag,
„um dadurch den innern und nußern Frieden Süddeutschlands zu sichern,
für welchen die deutsche Reichsverfassung keinerlei Bürgschaft mehr biete."
Diesem Rheinbünde traten im September Würzburg und bald auch die
sächsischen Fürsten bei. Der Bund war in seinem völkerrechtlichen Ver¬
hältniß an die französische Politik geknüpft; er war eine große napoleonische


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[0119] Napoleon denselben als nicht mehr eristirend; Haugwitz mußte am -Is, Februar einen neuen Vertrag unterzeichnen, nach welchem Preußen die für die Abtre¬ tung von Ansbach versprochene Entschädigung einbüßte, die Eid- und Weser¬ mündungen und seine Seehäfen den englischen Schiffen verschließen und außer dem Bestände der napoleonischen Macht auch die Vertreibung der Bourbons aus Neapel verbürgen mußte. Anfangs März erfolgte die Ratifikation dieses Vertrages. Preußen hatte die Freiheit der Action verloren. Dem Minister Hardenberg, der als Vertreter der antifranzösischen Richtung in Preußen galt und den Potsdamer Vertrag zu Stande gebracht hatte, mußte der König „un¬ bestimmten Urlaub" ertheilen; Haugwitz wurde wieder Minister des Auswär¬ tigen. Die Besetzung Hannovers durch Preußen, welche nunmehr definitiv erfolgte, führte zum Bruche mit England; alle preußischen Schiffe in den bri¬ tischen Häfen wurden mit Beschlag belegt, die norddeutschen Flüsse blokirt; der Handel Preußens erhielt eine tödtliche Wunde. Am 11. Mai 1806 er¬ klärte dann Preußen den Krieg an England; es zerriß alle Fäden, welche es an die europäischen Mächte knüpfte, ohne daß seine Beziehungen zu Frank¬ reich inniger wurden; Napoleon behielt seinen Argwohn und Haß gegen Preußen. Mit dem „deutschen Reiche" ging es seit dem preßburger Frieden zu Ende. In diesem Frieden hatte der Kaiser von Oestreich versprochen, „weder als Neichsoberhaupt noch als Mitstand Irgendeinen Act zu chindern, welcher infolge davon vollzogen wäre oder vollzogen wurde." Die süddeutschen Bundesgenossen Napoleons, die neugebackenen Könige von Baiern und Wür- temberg und der Kurfürst von Baden zogen unter französischer Autorität die Besitzungen der Neichsritter ein und hoben die ständischen Verfassungen in ihren Landen auf; sie stellten die Doctrin auf: Souveränetät und ständische Einrichtungen seien miteinander unverträglich. Dabei blieben ihre Lande Von der französischen Armee besetzt und empfanden alle Schrecknisse einer bru¬ talen Svldatenherrschaft. Die „Mainzer Zeitung" rief damals aus, es gebe kein Deutschland mehr, es sei ein Irrthum, an eine, deutsche Nation zu glauben; das seien nur Klagen am Grabe eines Volkes, das sich über¬ lebt habe. Dem „deutschen Reichstage" wurde der preßburger Friede nicht einmal zur Sanction vorgelegt. Am 17. Juli 1806 endlich sagten sich vier Kurfürsten, Baiern, Würtemberg, der Reichserzkanzler, Baden und zwölf Fürsten vom Reiche los und schlossen mit Napoleon einen Bundesvertrag, „um dadurch den innern und nußern Frieden Süddeutschlands zu sichern, für welchen die deutsche Reichsverfassung keinerlei Bürgschaft mehr biete." Diesem Rheinbünde traten im September Würzburg und bald auch die sächsischen Fürsten bei. Der Bund war in seinem völkerrechtlichen Ver¬ hältniß an die französische Politik geknüpft; er war eine große napoleonische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/119>, abgerufen am 27.08.2024.