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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ebensowenig that der deutsche "Reichstag" etwas für Hannover. "Die
Anwendung derartiger Maßregeln," hieß es in einem seiner Berichte, "wäre
wol am ersten von der Dazwischenkunft des kaiserlich russischen Hoses zu
erwarten."(!) Dagegen beraubten die deutschen Reichsfürsten die Reichsritter-
schaft. Unter dem 9. October "1803 erklärte der Kurfürst von Baiern: "Die
Ritterschaft habe sich nur widerrechtlich der Landeshoheit entzogen; er werde
den reichsunmittelbaren Adel in sein ursprüngliches landsässtgeS Verhältniß
zurückführen." Sofort ließ er sich auf den Gütern der Neichsritter als Landes¬
herr proclamiren. Dieselbe Faustrechtopolitik wurde von andern kleineren Fürsten
geübt. Indeß gebot ein kaiserliches Mandat vom 23. Januar 1804 unbe¬
schränkte Herstellung der Reichsritterschaft, die aber nur zum Theil vollzogen
wurde. Preußen billigte die neue Arrondirungspolitik des Landesherrn im
Grundsätze und wollte nur die Ausführung an bestimmte Normen knüpfen.
Um der Befestigung des östreichischen Einflusses zu begegnen, schlug es in der
Angelegenheit der Neichsritter eine russisch-französische Intervention vor, die
aber bei den obwaltenden Differenzen zwischen > diesen beiden Mächten nicht
zur Anwendung kam. Stein, selbst ein Neichsritter, schrieb damals dem Her¬
zog von Nassau, der auch ihn beraubte: "Deutschlands Unabhängigkeit und
Selbstständigkeit wird durch die Consolidation der wenigen reichsritterschaftlichen
Besitzungen mit den sie umgebenden Territorien wenig gewinnen; sollen diese für
die Nation so wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden, so müssen diese
kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz die
Fortdauer des deutschen Namens abhängt, vereinigt werden und die Vor¬
sehung gebe, daß ich dieses glückliche Ereignis) erlebe!" Er hat dieses Ereigniß
indessen nicht erlebt, ebensowenig das ihm nachfolgende Geschlecht.

Im Jahre 180t vollbrachte Bonaparte ein neues Attentat gegen Deutsch¬
lands Ehre und Sicherheit. Auf deutschem Boden, in dem badischen Städtchen
Ettenheim, ließ er am 1 ö. März den Herzog von Enghien verhaften und dann
in Frankreich hinrichten. Der "deutsche Reichstag" schwieg. Als aber der
russische Zar gegen das Attentat Protest einlegte, "von dem die Ruhe und
Sicherheit Deutschlands betroffen worden;" als Hannover unter "erkenntlichstem
Beifall" für die Theilnahme, mit welcher "der russische Kaiser sich für die Auf¬
rechterhaltung des deutschen Reiches verwendet habe," den Antrag stellte, der
Kaiser möge dem Reiche Genugthuung und Sicherstellung für die Zukunft ver¬
schaffen; als endlich Rußland darauf drang, "daß die Sache einen der Würde
und Selbstständigkeit des Reichs angemessenen Ausgang nehme": desertirte
die große Mehrheit der Neichstagsgesandten in Masse und der Reichstag machte
"Ferien".

Hieraus errichtete Bonaparte im Mai 1804 sein Kaiserthum, das im
Namen und Wesen das römisch-mittelalterliche Kaiserthum erneuern sollte.


Ebensowenig that der deutsche „Reichstag" etwas für Hannover. „Die
Anwendung derartiger Maßregeln," hieß es in einem seiner Berichte, „wäre
wol am ersten von der Dazwischenkunft des kaiserlich russischen Hoses zu
erwarten."(!) Dagegen beraubten die deutschen Reichsfürsten die Reichsritter-
schaft. Unter dem 9. October "1803 erklärte der Kurfürst von Baiern: „Die
Ritterschaft habe sich nur widerrechtlich der Landeshoheit entzogen; er werde
den reichsunmittelbaren Adel in sein ursprüngliches landsässtgeS Verhältniß
zurückführen." Sofort ließ er sich auf den Gütern der Neichsritter als Landes¬
herr proclamiren. Dieselbe Faustrechtopolitik wurde von andern kleineren Fürsten
geübt. Indeß gebot ein kaiserliches Mandat vom 23. Januar 1804 unbe¬
schränkte Herstellung der Reichsritterschaft, die aber nur zum Theil vollzogen
wurde. Preußen billigte die neue Arrondirungspolitik des Landesherrn im
Grundsätze und wollte nur die Ausführung an bestimmte Normen knüpfen.
Um der Befestigung des östreichischen Einflusses zu begegnen, schlug es in der
Angelegenheit der Neichsritter eine russisch-französische Intervention vor, die
aber bei den obwaltenden Differenzen zwischen > diesen beiden Mächten nicht
zur Anwendung kam. Stein, selbst ein Neichsritter, schrieb damals dem Her¬
zog von Nassau, der auch ihn beraubte: „Deutschlands Unabhängigkeit und
Selbstständigkeit wird durch die Consolidation der wenigen reichsritterschaftlichen
Besitzungen mit den sie umgebenden Territorien wenig gewinnen; sollen diese für
die Nation so wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden, so müssen diese
kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz die
Fortdauer des deutschen Namens abhängt, vereinigt werden und die Vor¬
sehung gebe, daß ich dieses glückliche Ereignis) erlebe!" Er hat dieses Ereigniß
indessen nicht erlebt, ebensowenig das ihm nachfolgende Geschlecht.

Im Jahre 180t vollbrachte Bonaparte ein neues Attentat gegen Deutsch¬
lands Ehre und Sicherheit. Auf deutschem Boden, in dem badischen Städtchen
Ettenheim, ließ er am 1 ö. März den Herzog von Enghien verhaften und dann
in Frankreich hinrichten. Der „deutsche Reichstag" schwieg. Als aber der
russische Zar gegen das Attentat Protest einlegte, „von dem die Ruhe und
Sicherheit Deutschlands betroffen worden;" als Hannover unter „erkenntlichstem
Beifall" für die Theilnahme, mit welcher „der russische Kaiser sich für die Auf¬
rechterhaltung des deutschen Reiches verwendet habe," den Antrag stellte, der
Kaiser möge dem Reiche Genugthuung und Sicherstellung für die Zukunft ver¬
schaffen; als endlich Rußland darauf drang, „daß die Sache einen der Würde
und Selbstständigkeit des Reichs angemessenen Ausgang nehme": desertirte
die große Mehrheit der Neichstagsgesandten in Masse und der Reichstag machte
„Ferien".

Hieraus errichtete Bonaparte im Mai 1804 sein Kaiserthum, das im
Namen und Wesen das römisch-mittelalterliche Kaiserthum erneuern sollte.


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[0114] Ebensowenig that der deutsche „Reichstag" etwas für Hannover. „Die Anwendung derartiger Maßregeln," hieß es in einem seiner Berichte, „wäre wol am ersten von der Dazwischenkunft des kaiserlich russischen Hoses zu erwarten."(!) Dagegen beraubten die deutschen Reichsfürsten die Reichsritter- schaft. Unter dem 9. October "1803 erklärte der Kurfürst von Baiern: „Die Ritterschaft habe sich nur widerrechtlich der Landeshoheit entzogen; er werde den reichsunmittelbaren Adel in sein ursprüngliches landsässtgeS Verhältniß zurückführen." Sofort ließ er sich auf den Gütern der Neichsritter als Landes¬ herr proclamiren. Dieselbe Faustrechtopolitik wurde von andern kleineren Fürsten geübt. Indeß gebot ein kaiserliches Mandat vom 23. Januar 1804 unbe¬ schränkte Herstellung der Reichsritterschaft, die aber nur zum Theil vollzogen wurde. Preußen billigte die neue Arrondirungspolitik des Landesherrn im Grundsätze und wollte nur die Ausführung an bestimmte Normen knüpfen. Um der Befestigung des östreichischen Einflusses zu begegnen, schlug es in der Angelegenheit der Neichsritter eine russisch-französische Intervention vor, die aber bei den obwaltenden Differenzen zwischen > diesen beiden Mächten nicht zur Anwendung kam. Stein, selbst ein Neichsritter, schrieb damals dem Her¬ zog von Nassau, der auch ihn beraubte: „Deutschlands Unabhängigkeit und Selbstständigkeit wird durch die Consolidation der wenigen reichsritterschaftlichen Besitzungen mit den sie umgebenden Territorien wenig gewinnen; sollen diese für die Nation so wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden, so müssen diese kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz die Fortdauer des deutschen Namens abhängt, vereinigt werden und die Vor¬ sehung gebe, daß ich dieses glückliche Ereignis) erlebe!" Er hat dieses Ereigniß indessen nicht erlebt, ebensowenig das ihm nachfolgende Geschlecht. Im Jahre 180t vollbrachte Bonaparte ein neues Attentat gegen Deutsch¬ lands Ehre und Sicherheit. Auf deutschem Boden, in dem badischen Städtchen Ettenheim, ließ er am 1 ö. März den Herzog von Enghien verhaften und dann in Frankreich hinrichten. Der „deutsche Reichstag" schwieg. Als aber der russische Zar gegen das Attentat Protest einlegte, „von dem die Ruhe und Sicherheit Deutschlands betroffen worden;" als Hannover unter „erkenntlichstem Beifall" für die Theilnahme, mit welcher „der russische Kaiser sich für die Auf¬ rechterhaltung des deutschen Reiches verwendet habe," den Antrag stellte, der Kaiser möge dem Reiche Genugthuung und Sicherstellung für die Zukunft ver¬ schaffen; als endlich Rußland darauf drang, „daß die Sache einen der Würde und Selbstständigkeit des Reichs angemessenen Ausgang nehme": desertirte die große Mehrheit der Neichstagsgesandten in Masse und der Reichstag machte „Ferien". Hieraus errichtete Bonaparte im Mai 1804 sein Kaiserthum, das im Namen und Wesen das römisch-mittelalterliche Kaiserthum erneuern sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/114>, abgerufen am 26.08.2024.