Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

versehe Armee Tauschobject für die von den Engländern gemachten französischen
Gefangnen sein solle. Endlich forderte Mortier nur die Auflösung des hannö-
verschen Heeres, nicht die Kriegsgefangenschaft. In diesem Augenblick er¬
schienen im Lager des Feldmarschalls Wallmoden als Abgeordnete der Celle-
Kalenbergischen Landstände der Landschaftsdirector von Leuthe und der General
von Wangenheim mit dem Auftrage: wenn die hannoverschen Truppen sich
nicht vertheidigten, sondern die Waffen niederlegten, Pferde und Kanonen ab¬
gaben, so wolle die Landschaft für ihren Unterhalt sorgen, wenn sie sich aber
vertheidigten und dadurch Unglück über das Land brächten oder unterlagen, so
würden sie auch nichts vom Lande zu erwarten haben! Dieser schamlose Auf¬
trag ließ dem Soldaten nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Hunger.
Der Soldat zeigte überdies keine Lust, für die regierende Aristokratie, welche
das Land Preis gab, sich aufzuopfern. Als Wallmoden gegen die Franzosen
marschiren lassen wollte, brachen Meutereien aus und er sah sich genöthigt,
eine Convention zu unterzeichnen, nach welcher die Regierung selbst die
Truppen entwaffnete, das Kampfmaterial dem Feinde auslieferte, die Soldaten
aber in ihre Heimath zurückkehrten und solange nicht gegen Frankreich zu
fechten versprachen, bis sie von den Engländern gegen französische Kriegs¬
gefangene ausgewechselt würden. Eine übermüthige Fremdherrschaft kam nun
über das Land. Die 26 Monate französischer Occupation kosteten ihm über
26 Millionen Thaler, während die jährlichen Einkünfte Hannovers damals
höchstens fünf Millionen Thaler betrugen. Schlimmer hätte es dem Lande
nicht ergehen können, wenn es sich den Franzosen gewaltsam widersetzt hätte
und. nach der Strenge der Kriegsgesetze behandelt worden wäre. Französische
Spionage und geheime Polizei blieben auch nicht aus; die ganze Presse
in Norddeutschland gerieth unter französischen Einfluß; der "Hamburger un¬
parteiische Korrespondent" war ein mittelbares Organ der französischen
Politik. Ueberhaupt machte sich in Hamburg damals jenes kurzsichtige, mate¬
rielle Behagen breit, das den betäubenden Erwerb und Genuß des Augenblicks
mit Jahren der Noth und Reue erkauft! Schon als die Franzosen Lauenburg
und Curhafen besetzten, um die Elbschiffahrt zu hindern und den britischen
Handel abzusperren und als dann ein paar englische Fregatten Elbe und
Weser wirklich sperrten, litten die materiellen Interessen. Der Elbverkehr und
alle rückwärts liegenden Gebiete erlitten einen furchtbaren Stoß, den härtesten
freilich das preußische Schlesien und sein Leinwandhandel.

Preußen war gleichwol sehr selbstzufrieden. "Wozu," hieß es dort, "sich
für England opfern? Das System deS baseler Friedens habe sich ja trefflich
bewährt!" Das Höchste, wozu es sich in der hannöverschen Angelegenheit ent¬
schloß, war durch Lombard, einen der schuldigster Träger seiner Politik, bei
Bonaparte friedliche Vorstellungen zu machen, die natürlich erfolglos blieben.


Grenzboten. IV. 14>

versehe Armee Tauschobject für die von den Engländern gemachten französischen
Gefangnen sein solle. Endlich forderte Mortier nur die Auflösung des hannö-
verschen Heeres, nicht die Kriegsgefangenschaft. In diesem Augenblick er¬
schienen im Lager des Feldmarschalls Wallmoden als Abgeordnete der Celle-
Kalenbergischen Landstände der Landschaftsdirector von Leuthe und der General
von Wangenheim mit dem Auftrage: wenn die hannoverschen Truppen sich
nicht vertheidigten, sondern die Waffen niederlegten, Pferde und Kanonen ab¬
gaben, so wolle die Landschaft für ihren Unterhalt sorgen, wenn sie sich aber
vertheidigten und dadurch Unglück über das Land brächten oder unterlagen, so
würden sie auch nichts vom Lande zu erwarten haben! Dieser schamlose Auf¬
trag ließ dem Soldaten nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Hunger.
Der Soldat zeigte überdies keine Lust, für die regierende Aristokratie, welche
das Land Preis gab, sich aufzuopfern. Als Wallmoden gegen die Franzosen
marschiren lassen wollte, brachen Meutereien aus und er sah sich genöthigt,
eine Convention zu unterzeichnen, nach welcher die Regierung selbst die
Truppen entwaffnete, das Kampfmaterial dem Feinde auslieferte, die Soldaten
aber in ihre Heimath zurückkehrten und solange nicht gegen Frankreich zu
fechten versprachen, bis sie von den Engländern gegen französische Kriegs¬
gefangene ausgewechselt würden. Eine übermüthige Fremdherrschaft kam nun
über das Land. Die 26 Monate französischer Occupation kosteten ihm über
26 Millionen Thaler, während die jährlichen Einkünfte Hannovers damals
höchstens fünf Millionen Thaler betrugen. Schlimmer hätte es dem Lande
nicht ergehen können, wenn es sich den Franzosen gewaltsam widersetzt hätte
und. nach der Strenge der Kriegsgesetze behandelt worden wäre. Französische
Spionage und geheime Polizei blieben auch nicht aus; die ganze Presse
in Norddeutschland gerieth unter französischen Einfluß; der „Hamburger un¬
parteiische Korrespondent" war ein mittelbares Organ der französischen
Politik. Ueberhaupt machte sich in Hamburg damals jenes kurzsichtige, mate¬
rielle Behagen breit, das den betäubenden Erwerb und Genuß des Augenblicks
mit Jahren der Noth und Reue erkauft! Schon als die Franzosen Lauenburg
und Curhafen besetzten, um die Elbschiffahrt zu hindern und den britischen
Handel abzusperren und als dann ein paar englische Fregatten Elbe und
Weser wirklich sperrten, litten die materiellen Interessen. Der Elbverkehr und
alle rückwärts liegenden Gebiete erlitten einen furchtbaren Stoß, den härtesten
freilich das preußische Schlesien und sein Leinwandhandel.

Preußen war gleichwol sehr selbstzufrieden. »Wozu," hieß es dort, „sich
für England opfern? Das System deS baseler Friedens habe sich ja trefflich
bewährt!" Das Höchste, wozu es sich in der hannöverschen Angelegenheit ent¬
schloß, war durch Lombard, einen der schuldigster Träger seiner Politik, bei
Bonaparte friedliche Vorstellungen zu machen, die natürlich erfolglos blieben.


Grenzboten. IV. 14>
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100567"/>
            <p xml:id="ID_323" prev="#ID_322"> versehe Armee Tauschobject für die von den Engländern gemachten französischen<lb/>
Gefangnen sein solle. Endlich forderte Mortier nur die Auflösung des hannö-<lb/>
verschen Heeres, nicht die Kriegsgefangenschaft. In diesem Augenblick er¬<lb/>
schienen im Lager des Feldmarschalls Wallmoden als Abgeordnete der Celle-<lb/>
Kalenbergischen Landstände der Landschaftsdirector von Leuthe und der General<lb/>
von Wangenheim mit dem Auftrage: wenn die hannoverschen Truppen sich<lb/>
nicht vertheidigten, sondern die Waffen niederlegten, Pferde und Kanonen ab¬<lb/>
gaben, so wolle die Landschaft für ihren Unterhalt sorgen, wenn sie sich aber<lb/>
vertheidigten und dadurch Unglück über das Land brächten oder unterlagen, so<lb/>
würden sie auch nichts vom Lande zu erwarten haben! Dieser schamlose Auf¬<lb/>
trag ließ dem Soldaten nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Hunger.<lb/>
Der Soldat zeigte überdies keine Lust, für die regierende Aristokratie, welche<lb/>
das Land Preis gab, sich aufzuopfern. Als Wallmoden gegen die Franzosen<lb/>
marschiren lassen wollte, brachen Meutereien aus und er sah sich genöthigt,<lb/>
eine Convention zu unterzeichnen, nach welcher die Regierung selbst die<lb/>
Truppen entwaffnete, das Kampfmaterial dem Feinde auslieferte, die Soldaten<lb/>
aber in ihre Heimath zurückkehrten und solange nicht gegen Frankreich zu<lb/>
fechten versprachen, bis sie von den Engländern gegen französische Kriegs¬<lb/>
gefangene ausgewechselt würden. Eine übermüthige Fremdherrschaft kam nun<lb/>
über das Land. Die 26 Monate französischer Occupation kosteten ihm über<lb/>
26 Millionen Thaler, während die jährlichen Einkünfte Hannovers damals<lb/>
höchstens fünf Millionen Thaler betrugen. Schlimmer hätte es dem Lande<lb/>
nicht ergehen können, wenn es sich den Franzosen gewaltsam widersetzt hätte<lb/>
und. nach der Strenge der Kriegsgesetze behandelt worden wäre. Französische<lb/>
Spionage und geheime Polizei blieben auch nicht aus; die ganze Presse<lb/>
in Norddeutschland gerieth unter französischen Einfluß; der &#x201E;Hamburger un¬<lb/>
parteiische Korrespondent" war ein mittelbares Organ der französischen<lb/>
Politik. Ueberhaupt machte sich in Hamburg damals jenes kurzsichtige, mate¬<lb/>
rielle Behagen breit, das den betäubenden Erwerb und Genuß des Augenblicks<lb/>
mit Jahren der Noth und Reue erkauft! Schon als die Franzosen Lauenburg<lb/>
und Curhafen besetzten, um die Elbschiffahrt zu hindern und den britischen<lb/>
Handel abzusperren und als dann ein paar englische Fregatten Elbe und<lb/>
Weser wirklich sperrten, litten die materiellen Interessen. Der Elbverkehr und<lb/>
alle rückwärts liegenden Gebiete erlitten einen furchtbaren Stoß, den härtesten<lb/>
freilich das preußische Schlesien und sein Leinwandhandel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_324"> Preußen war gleichwol sehr selbstzufrieden. »Wozu," hieß es dort, &#x201E;sich<lb/>
für England opfern? Das System deS baseler Friedens habe sich ja trefflich<lb/>
bewährt!" Das Höchste, wozu es sich in der hannöverschen Angelegenheit ent¬<lb/>
schloß, war durch Lombard, einen der schuldigster Träger seiner Politik, bei<lb/>
Bonaparte friedliche Vorstellungen zu machen, die natürlich erfolglos blieben.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. IV. 14&gt;</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] versehe Armee Tauschobject für die von den Engländern gemachten französischen Gefangnen sein solle. Endlich forderte Mortier nur die Auflösung des hannö- verschen Heeres, nicht die Kriegsgefangenschaft. In diesem Augenblick er¬ schienen im Lager des Feldmarschalls Wallmoden als Abgeordnete der Celle- Kalenbergischen Landstände der Landschaftsdirector von Leuthe und der General von Wangenheim mit dem Auftrage: wenn die hannoverschen Truppen sich nicht vertheidigten, sondern die Waffen niederlegten, Pferde und Kanonen ab¬ gaben, so wolle die Landschaft für ihren Unterhalt sorgen, wenn sie sich aber vertheidigten und dadurch Unglück über das Land brächten oder unterlagen, so würden sie auch nichts vom Lande zu erwarten haben! Dieser schamlose Auf¬ trag ließ dem Soldaten nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Hunger. Der Soldat zeigte überdies keine Lust, für die regierende Aristokratie, welche das Land Preis gab, sich aufzuopfern. Als Wallmoden gegen die Franzosen marschiren lassen wollte, brachen Meutereien aus und er sah sich genöthigt, eine Convention zu unterzeichnen, nach welcher die Regierung selbst die Truppen entwaffnete, das Kampfmaterial dem Feinde auslieferte, die Soldaten aber in ihre Heimath zurückkehrten und solange nicht gegen Frankreich zu fechten versprachen, bis sie von den Engländern gegen französische Kriegs¬ gefangene ausgewechselt würden. Eine übermüthige Fremdherrschaft kam nun über das Land. Die 26 Monate französischer Occupation kosteten ihm über 26 Millionen Thaler, während die jährlichen Einkünfte Hannovers damals höchstens fünf Millionen Thaler betrugen. Schlimmer hätte es dem Lande nicht ergehen können, wenn es sich den Franzosen gewaltsam widersetzt hätte und. nach der Strenge der Kriegsgesetze behandelt worden wäre. Französische Spionage und geheime Polizei blieben auch nicht aus; die ganze Presse in Norddeutschland gerieth unter französischen Einfluß; der „Hamburger un¬ parteiische Korrespondent" war ein mittelbares Organ der französischen Politik. Ueberhaupt machte sich in Hamburg damals jenes kurzsichtige, mate¬ rielle Behagen breit, das den betäubenden Erwerb und Genuß des Augenblicks mit Jahren der Noth und Reue erkauft! Schon als die Franzosen Lauenburg und Curhafen besetzten, um die Elbschiffahrt zu hindern und den britischen Handel abzusperren und als dann ein paar englische Fregatten Elbe und Weser wirklich sperrten, litten die materiellen Interessen. Der Elbverkehr und alle rückwärts liegenden Gebiete erlitten einen furchtbaren Stoß, den härtesten freilich das preußische Schlesien und sein Leinwandhandel. Preußen war gleichwol sehr selbstzufrieden. »Wozu," hieß es dort, „sich für England opfern? Das System deS baseler Friedens habe sich ja trefflich bewährt!" Das Höchste, wozu es sich in der hannöverschen Angelegenheit ent¬ schloß, war durch Lombard, einen der schuldigster Träger seiner Politik, bei Bonaparte friedliche Vorstellungen zu machen, die natürlich erfolglos blieben. Grenzboten. IV. 14>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/113>, abgerufen am 26.08.2024.