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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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drohen, wenn sie nicht zustimmten und Preußen mit Redensarten abzuspeisen.
Am 1. December 1797 machte Oestreich gegen Bonaparte sich verbindlich, sofort
das Reichsgebiet zu verlassen, die deutschen Grenzsestungen zu räumen und
Mainz den Franzosen zu übergeben. Die Franzosen hielten Oestreich und
Preußen in Entfremdung. Sie lockten Oestreich durch Zusagen, die angeblich
am Widerstande Preußens scheiterten, und sie trieben mit Preußen ein ähnliches
Spiel. Die kleineren Reichsstände schreckten sie mit ihren eignen, Oestreich
und Preußen gemachten Anerbietungen, als seien es Ansinnen der wiener und
berliner Politik. So wurden sie bald vollständig Herren der Situation. Am
-17. Januar 1798 erklärten sie unumwunden, Frankreich verlange als Grund¬
lage des Friedens die Rheingrenze. Die einzelnen Reichsstände sollten für ihre
Verluste entschädigt werden. Die Neichsfriedensdeputation bot die Hälfte
der auf dem linken Rheinufer liegenden Reichslande. Die Franzosen erwi¬
derten, die betheiligten erblichen Fürsten hätten in die Abtretung ihrer Be¬
sitzungen bereits eingewilligt. Die Deputation stellte nun eine Reihe von
deutschen Gegenforderungen auf. Die Minister der französischen Republik ant¬
worteten, "es sei Zeit, diesen Discussionen ein Ende zu machen; sie verlang¬
ten eine positive Erklärung, ob die Deputation der vorgeschlagenen Basis bei¬
treten wolle oder nicht?" Oestreich und Preußen kümmerten sich wenig um
die Integrität des Reiches; sie arbeiteten vor allem daraus hin, eines die
Vergrößerung des andern zu hindern und wurden so beide zum Spielball der
französischen Politik. Die mittleren und kleineren Fürsten, welche am linken
Rheinufer Besitzungen verloren, hatten sich entweder bereits mit Frankreich
darüber verständigt oder wollten dem Frieden dies schmerzliche Opfer bringen.
Die geistlichen Reichsstände fürchteten weit weniger die Abtretung deS linken
Rheinufers als die Säcularisation; als Frankreich letztere fallen zu lassen
Miene machte, gaben auch sie nach. Alle Mächte und Fürsten des Reiches
sind an dieser Schuld gleich betheiligt, keiner kann den andern deswegen vor
der Nachwelt anklagen. Am 11. März erklärte die Friedensdeputation, daß sie
in die Abtretung des ganzen linken Rheinufers einwillige. Sie knüpfte zwar
an dieselbe noch einige Klauseln, aber Frankreich nahm die Abtretung in sei¬
ner Antwort als eine unbedingte auf. Nun fragte sich, nach welchem Grund¬
satz entschädigt werden sollte? Frankreich trat offen mit dem Grundsatz der
Entschädigung durch Säcularisation hervor; diese Basis sei nicht weniger noth¬
wendig als die Basis der Rheingrenze. Die geistlichen Reichsstände wider¬
setzten sich, die weltlichen aber sahen in dem Vorschlage Frankreichs die Er¬
füllung ihrer geheimsten und lebhaftesten Wünsche. Jeder derselben hatte, wie
der Ritter Lang in seinen Annalen sagt, sich schon seinen Plan gemacht, der
größere irgendein Bisthum oder einen Fetzen davon, der kleinere irgendeine
Abtei, der geringste Edelmann irgendeinen Schafhof an sich zu reißen. Am


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drohen, wenn sie nicht zustimmten und Preußen mit Redensarten abzuspeisen.
Am 1. December 1797 machte Oestreich gegen Bonaparte sich verbindlich, sofort
das Reichsgebiet zu verlassen, die deutschen Grenzsestungen zu räumen und
Mainz den Franzosen zu übergeben. Die Franzosen hielten Oestreich und
Preußen in Entfremdung. Sie lockten Oestreich durch Zusagen, die angeblich
am Widerstande Preußens scheiterten, und sie trieben mit Preußen ein ähnliches
Spiel. Die kleineren Reichsstände schreckten sie mit ihren eignen, Oestreich
und Preußen gemachten Anerbietungen, als seien es Ansinnen der wiener und
berliner Politik. So wurden sie bald vollständig Herren der Situation. Am
-17. Januar 1798 erklärten sie unumwunden, Frankreich verlange als Grund¬
lage des Friedens die Rheingrenze. Die einzelnen Reichsstände sollten für ihre
Verluste entschädigt werden. Die Neichsfriedensdeputation bot die Hälfte
der auf dem linken Rheinufer liegenden Reichslande. Die Franzosen erwi¬
derten, die betheiligten erblichen Fürsten hätten in die Abtretung ihrer Be¬
sitzungen bereits eingewilligt. Die Deputation stellte nun eine Reihe von
deutschen Gegenforderungen auf. Die Minister der französischen Republik ant¬
worteten, „es sei Zeit, diesen Discussionen ein Ende zu machen; sie verlang¬
ten eine positive Erklärung, ob die Deputation der vorgeschlagenen Basis bei¬
treten wolle oder nicht?" Oestreich und Preußen kümmerten sich wenig um
die Integrität des Reiches; sie arbeiteten vor allem daraus hin, eines die
Vergrößerung des andern zu hindern und wurden so beide zum Spielball der
französischen Politik. Die mittleren und kleineren Fürsten, welche am linken
Rheinufer Besitzungen verloren, hatten sich entweder bereits mit Frankreich
darüber verständigt oder wollten dem Frieden dies schmerzliche Opfer bringen.
Die geistlichen Reichsstände fürchteten weit weniger die Abtretung deS linken
Rheinufers als die Säcularisation; als Frankreich letztere fallen zu lassen
Miene machte, gaben auch sie nach. Alle Mächte und Fürsten des Reiches
sind an dieser Schuld gleich betheiligt, keiner kann den andern deswegen vor
der Nachwelt anklagen. Am 11. März erklärte die Friedensdeputation, daß sie
in die Abtretung des ganzen linken Rheinufers einwillige. Sie knüpfte zwar
an dieselbe noch einige Klauseln, aber Frankreich nahm die Abtretung in sei¬
ner Antwort als eine unbedingte auf. Nun fragte sich, nach welchem Grund¬
satz entschädigt werden sollte? Frankreich trat offen mit dem Grundsatz der
Entschädigung durch Säcularisation hervor; diese Basis sei nicht weniger noth¬
wendig als die Basis der Rheingrenze. Die geistlichen Reichsstände wider¬
setzten sich, die weltlichen aber sahen in dem Vorschlage Frankreichs die Er¬
füllung ihrer geheimsten und lebhaftesten Wünsche. Jeder derselben hatte, wie
der Ritter Lang in seinen Annalen sagt, sich schon seinen Plan gemacht, der
größere irgendein Bisthum oder einen Fetzen davon, der kleinere irgendeine
Abtei, der geringste Edelmann irgendeinen Schafhof an sich zu reißen. Am


Grenzboten. IV. <8so. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/105>, abgerufen am 26.08.2024.