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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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einer strengen gründlichen Forschung und unbefangenen Beobachtung, welche sich von
jedem Autoritätsglauben losgesagt hat.

Nach dem Abgänge OppolzcrS wurde Hamcrnik, der bis dahin über Auscul-
tation und Percussion donirte, klinischer Lehrer. Vor allen andern strömten die
Aerzte zu ihm, wenn er am Krankenbette stand. In der "Aufnahme" des Kran¬
ken erreicht ihn kein anderer. Er kennt nur physikalische Veränderungen, diese
werden aber mit eimr Schärfe sinnlicher Beobachtung erkannt, nach ihrer Entwick¬
lung, wie sie vorherging und wie sie mit Naturnotwendigkeit folgen muß, beurtheilt,
wie sie nicht ihres Gleichen findet und die Vorzüglichkeit der neuen Methode vor der
alten ins klarste Licht stellt. Wer sich gründlich unterrichten wollte, besuchte
Hamcruiks Klinik; sie hieß zwar die zweite, war aber in der That die
erste. Die erste, die des Professors I . . . zählte auch Schüler, aber sonderbarer¬
weise nur so viele als ihn, den alleinige" continuirlich tcrrorisircndcm Examinator
zu fürchten hatten.

In seinen Privatcnrscn hatte Professor Waller die größte Zahl der Zuhörer.
Er gilt mit Recht für eine der ersten Größen seines Faches. DaS Gebiet, auf
dem er sich ergeht, ist ein solches, in das man nicht alle Leser eines Fcuillctou-
artikcls einführe" kann, doch darf hier nicht unerwähnt gelassen werden, daß er die
Extravaganzen der Nicordscheu Lehren aus ihr rechtes Maß zurückgeführt nud
durch Jmpfexperimeute eine neue Anschauungsweise der Krankheitsform unumstößlich
gegründet hat. Diese Versuche wurden von vielen Seiten für unberechtigt erklärt,
die Wissenschaft jedoch hat dnrch sie einen Schritt vorwärts gethan.

Professor Engel, dessen Genialität zuerst das Ausland zur Anerkennung brin¬
gen mußte, vorzüglich deshalb^ weil er ein wissenschaftlicher ^Gegner NokitanökyS
ist, versammelte in seinen zahlreichen öffentlichen Vorträgen nächst Hamcrnik die
zahlreichsten Znhöttr. Er ist der Skeptiker unter den pathologischen Anatomen
und der strengste Kritiker der Schule, der er selbst angehört.

So waren also bis vor kurzer Zeit alle Zweige der praktischem Medicin in
den Händen scharfsinniger und vortrefflicher Forscher und die Leiter der Anstalten
boten der Wissenschaft alle nnr mögliche Unterstützung. Es hatte das Aussehe",
als ob diese medicinische Schule Prags vielleicht die erste Deutschlands werden
sollte. Leider zeigt, es sich nun, daß die Glanzperiode nur eine vorübergehende
sein sollte und zu seinem schmerzlichen Erstaunen trifft der fremde Arzt, der nach
Jahren Prag jetzt wieder besucht, allenthalben die Spuren des Rückschrittes, ja
des Verfalles. Eine egoistische Cotcrie, die unfähig selbst etwas zu schaffen, mit
Erbitterung die Neuerer in der Medicin verfolgt, hat einen mächtigen Einfluß ge¬
wonnen, eS ist ihr bereits gelungen, eine der Koriphäen hiesiger Wissenschaft zu
entfernen und es läßt sich fast vorhersagen, daß sie eS nicht bei diesem einen Opfer
bewenden lassen wird. Vor vier Monaten ungefähr wurde Hamcrnik seiner Stelle
als klinischer Lehrer nud Primärarzt entsetzt. Die Absetzung wurde in der Form'
geboten, daß die rcgierungsämtlichc Bestätigung, die jeder östreichische Professor
im dritten Jahre nach seiner Anstellung einzuholen hat, ihm versagt wurde. Lag
die Ursache seiner Entfernung darin, daß er im Jahre 18i8 Abgeordneter gewesen
oder ist das Verbrechen wahr, von dem mau munkelt: er habe nämlich ein paar
kleine, grell bemalte Heiligenbilder, mit denen eine fromme Wärterin die Wände


einer strengen gründlichen Forschung und unbefangenen Beobachtung, welche sich von
jedem Autoritätsglauben losgesagt hat.

Nach dem Abgänge OppolzcrS wurde Hamcrnik, der bis dahin über Auscul-
tation und Percussion donirte, klinischer Lehrer. Vor allen andern strömten die
Aerzte zu ihm, wenn er am Krankenbette stand. In der „Aufnahme" des Kran¬
ken erreicht ihn kein anderer. Er kennt nur physikalische Veränderungen, diese
werden aber mit eimr Schärfe sinnlicher Beobachtung erkannt, nach ihrer Entwick¬
lung, wie sie vorherging und wie sie mit Naturnotwendigkeit folgen muß, beurtheilt,
wie sie nicht ihres Gleichen findet und die Vorzüglichkeit der neuen Methode vor der
alten ins klarste Licht stellt. Wer sich gründlich unterrichten wollte, besuchte
Hamcruiks Klinik; sie hieß zwar die zweite, war aber in der That die
erste. Die erste, die des Professors I . . . zählte auch Schüler, aber sonderbarer¬
weise nur so viele als ihn, den alleinige» continuirlich tcrrorisircndcm Examinator
zu fürchten hatten.

In seinen Privatcnrscn hatte Professor Waller die größte Zahl der Zuhörer.
Er gilt mit Recht für eine der ersten Größen seines Faches. DaS Gebiet, auf
dem er sich ergeht, ist ein solches, in das man nicht alle Leser eines Fcuillctou-
artikcls einführe» kann, doch darf hier nicht unerwähnt gelassen werden, daß er die
Extravaganzen der Nicordscheu Lehren aus ihr rechtes Maß zurückgeführt nud
durch Jmpfexperimeute eine neue Anschauungsweise der Krankheitsform unumstößlich
gegründet hat. Diese Versuche wurden von vielen Seiten für unberechtigt erklärt,
die Wissenschaft jedoch hat dnrch sie einen Schritt vorwärts gethan.

Professor Engel, dessen Genialität zuerst das Ausland zur Anerkennung brin¬
gen mußte, vorzüglich deshalb^ weil er ein wissenschaftlicher ^Gegner NokitanökyS
ist, versammelte in seinen zahlreichen öffentlichen Vorträgen nächst Hamcrnik die
zahlreichsten Znhöttr. Er ist der Skeptiker unter den pathologischen Anatomen
und der strengste Kritiker der Schule, der er selbst angehört.

So waren also bis vor kurzer Zeit alle Zweige der praktischem Medicin in
den Händen scharfsinniger und vortrefflicher Forscher und die Leiter der Anstalten
boten der Wissenschaft alle nnr mögliche Unterstützung. Es hatte das Aussehe»,
als ob diese medicinische Schule Prags vielleicht die erste Deutschlands werden
sollte. Leider zeigt, es sich nun, daß die Glanzperiode nur eine vorübergehende
sein sollte und zu seinem schmerzlichen Erstaunen trifft der fremde Arzt, der nach
Jahren Prag jetzt wieder besucht, allenthalben die Spuren des Rückschrittes, ja
des Verfalles. Eine egoistische Cotcrie, die unfähig selbst etwas zu schaffen, mit
Erbitterung die Neuerer in der Medicin verfolgt, hat einen mächtigen Einfluß ge¬
wonnen, eS ist ihr bereits gelungen, eine der Koriphäen hiesiger Wissenschaft zu
entfernen und es läßt sich fast vorhersagen, daß sie eS nicht bei diesem einen Opfer
bewenden lassen wird. Vor vier Monaten ungefähr wurde Hamcrnik seiner Stelle
als klinischer Lehrer nud Primärarzt entsetzt. Die Absetzung wurde in der Form'
geboten, daß die rcgierungsämtlichc Bestätigung, die jeder östreichische Professor
im dritten Jahre nach seiner Anstellung einzuholen hat, ihm versagt wurde. Lag
die Ursache seiner Entfernung darin, daß er im Jahre 18i8 Abgeordneter gewesen
oder ist das Verbrechen wahr, von dem mau munkelt: er habe nämlich ein paar
kleine, grell bemalte Heiligenbilder, mit denen eine fromme Wärterin die Wände


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[0077] einer strengen gründlichen Forschung und unbefangenen Beobachtung, welche sich von jedem Autoritätsglauben losgesagt hat. Nach dem Abgänge OppolzcrS wurde Hamcrnik, der bis dahin über Auscul- tation und Percussion donirte, klinischer Lehrer. Vor allen andern strömten die Aerzte zu ihm, wenn er am Krankenbette stand. In der „Aufnahme" des Kran¬ ken erreicht ihn kein anderer. Er kennt nur physikalische Veränderungen, diese werden aber mit eimr Schärfe sinnlicher Beobachtung erkannt, nach ihrer Entwick¬ lung, wie sie vorherging und wie sie mit Naturnotwendigkeit folgen muß, beurtheilt, wie sie nicht ihres Gleichen findet und die Vorzüglichkeit der neuen Methode vor der alten ins klarste Licht stellt. Wer sich gründlich unterrichten wollte, besuchte Hamcruiks Klinik; sie hieß zwar die zweite, war aber in der That die erste. Die erste, die des Professors I . . . zählte auch Schüler, aber sonderbarer¬ weise nur so viele als ihn, den alleinige» continuirlich tcrrorisircndcm Examinator zu fürchten hatten. In seinen Privatcnrscn hatte Professor Waller die größte Zahl der Zuhörer. Er gilt mit Recht für eine der ersten Größen seines Faches. DaS Gebiet, auf dem er sich ergeht, ist ein solches, in das man nicht alle Leser eines Fcuillctou- artikcls einführe» kann, doch darf hier nicht unerwähnt gelassen werden, daß er die Extravaganzen der Nicordscheu Lehren aus ihr rechtes Maß zurückgeführt nud durch Jmpfexperimeute eine neue Anschauungsweise der Krankheitsform unumstößlich gegründet hat. Diese Versuche wurden von vielen Seiten für unberechtigt erklärt, die Wissenschaft jedoch hat dnrch sie einen Schritt vorwärts gethan. Professor Engel, dessen Genialität zuerst das Ausland zur Anerkennung brin¬ gen mußte, vorzüglich deshalb^ weil er ein wissenschaftlicher ^Gegner NokitanökyS ist, versammelte in seinen zahlreichen öffentlichen Vorträgen nächst Hamcrnik die zahlreichsten Znhöttr. Er ist der Skeptiker unter den pathologischen Anatomen und der strengste Kritiker der Schule, der er selbst angehört. So waren also bis vor kurzer Zeit alle Zweige der praktischem Medicin in den Händen scharfsinniger und vortrefflicher Forscher und die Leiter der Anstalten boten der Wissenschaft alle nnr mögliche Unterstützung. Es hatte das Aussehe», als ob diese medicinische Schule Prags vielleicht die erste Deutschlands werden sollte. Leider zeigt, es sich nun, daß die Glanzperiode nur eine vorübergehende sein sollte und zu seinem schmerzlichen Erstaunen trifft der fremde Arzt, der nach Jahren Prag jetzt wieder besucht, allenthalben die Spuren des Rückschrittes, ja des Verfalles. Eine egoistische Cotcrie, die unfähig selbst etwas zu schaffen, mit Erbitterung die Neuerer in der Medicin verfolgt, hat einen mächtigen Einfluß ge¬ wonnen, eS ist ihr bereits gelungen, eine der Koriphäen hiesiger Wissenschaft zu entfernen und es läßt sich fast vorhersagen, daß sie eS nicht bei diesem einen Opfer bewenden lassen wird. Vor vier Monaten ungefähr wurde Hamcrnik seiner Stelle als klinischer Lehrer nud Primärarzt entsetzt. Die Absetzung wurde in der Form' geboten, daß die rcgierungsämtlichc Bestätigung, die jeder östreichische Professor im dritten Jahre nach seiner Anstellung einzuholen hat, ihm versagt wurde. Lag die Ursache seiner Entfernung darin, daß er im Jahre 18i8 Abgeordneter gewesen oder ist das Verbrechen wahr, von dem mau munkelt: er habe nämlich ein paar kleine, grell bemalte Heiligenbilder, mit denen eine fromme Wärterin die Wände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/76>, abgerufen am 22.12.2024.