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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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gen an, die Folgen der Krise zu spüren, aber die Regierung ist wenig dadurch
berührt, da sie in der Meinung des Pnblicmus gegen die französische Gewohn¬
heit ganz außer Spiel bleibt. Dieser Umstand bestätigt auch, was ich schon mehr¬
mals behauptet, daß Frankreich ohne Enthusiasmus für den Krieg den Kampf
gegen Nußland doch für nothwendig halte. Harte Zeiten wird dieses arme Land
jedenfalls zu bestehen haben, denn wo alle Aussichten und Interessen ans Unter¬
nehmungen gestellt sind, die nur unter Voraussetzung eines dauernden Friedens
gedeihen können, muß eine so nachhaltige Erschütterung, ein so schlecht vorberei¬
teter Sprung große Noth und arge Zerrüttung herbeiführen.




Eine Stimme aus alter Zeit.

I'l'0 I'oMll) Kei'Mllnico, von E. M. Arndt. Berlin, Reimer. --

Wer denkt nicht in diesen trüben und schweren Tagen mit Rührung und
Begeisterung an jene Zeit zurück, in welcher das stillverborgene Leben des dentschen
Volks sich entfaltete, an jene Zeit, in welcher Arndt einer der würdigsten "ut be¬
deutendsten Stimmführer war; die Zeiten haben sich verändert, aber nicht zum
Bessern. "Gewähre ich nicht, fragt Arndt in der Einleitung, indem ich die Ge¬
sichter der Jünglinge und Männer um mich her betrachte, ihre Töne vernehme
und ihre Reden höre, daß ein gar anderes Menschenalter da ist, ein ganz anders
lebendes, empfindendes, denkendes Menschengeschlecht, als die da vor fünfzig,
sechzig Jahren auf Erden weideten? gewahre ich nicht, daß jene Tage, in welchen
ich frisch und muthig cinherpilgerte, längst verlebt und überlebt aus dem Ge¬
dächtniß der Menschen verschollen sind? 'Kann es anders sei" bei dem Geschwind¬
schritte der Zeit, die jetzt ganz andere Stiefeln an hat als jene fabelhaft ge¬
glaubten Siebeumeileustrefel", welche 'jetzt zu Pantoffeln für Greise verschlissen
sind? Dürfte ich wünschen,, daß es anders wäre? Wahrlich nein, ich nicht.
Und doch, und doch -- immer wieder flattern meine allen Geister um mich her,
ja fliegen, als wenn sie Schnellfliegler wären, klatschend und knallend vor mir
auf wie eine Kette ausgejagter Repphühner. Sie dränge", und eine Stimme in
mir, eine zugleich warnende "ut drohende Stimme des Gewissens, treibt und
mahnt: A"f! und thu deinen letzten Dienst, ehe du deine irdischen Angen auf
immer schließest. -- So muß ich denn, und will ich denn, und gehe ans Werk,
und spreche mir selbst Lust und Muth ein, die nicht ganz in mir sind, daß es
mir doch vielleicht gelingen könnte, ans dieser Zeit und ans ihren Erscheinungen
heraus, wenn gleich in meine" Gefühlen, Gedanken und Ansichten fast gleich
ni"em Fremdling ans fernste" Lattde", oder einem gespenstischen Wiedernmlänfer


gen an, die Folgen der Krise zu spüren, aber die Regierung ist wenig dadurch
berührt, da sie in der Meinung des Pnblicmus gegen die französische Gewohn¬
heit ganz außer Spiel bleibt. Dieser Umstand bestätigt auch, was ich schon mehr¬
mals behauptet, daß Frankreich ohne Enthusiasmus für den Krieg den Kampf
gegen Nußland doch für nothwendig halte. Harte Zeiten wird dieses arme Land
jedenfalls zu bestehen haben, denn wo alle Aussichten und Interessen ans Unter¬
nehmungen gestellt sind, die nur unter Voraussetzung eines dauernden Friedens
gedeihen können, muß eine so nachhaltige Erschütterung, ein so schlecht vorberei¬
teter Sprung große Noth und arge Zerrüttung herbeiführen.




Eine Stimme aus alter Zeit.

I'l'0 I'oMll) Kei'Mllnico, von E. M. Arndt. Berlin, Reimer. —

Wer denkt nicht in diesen trüben und schweren Tagen mit Rührung und
Begeisterung an jene Zeit zurück, in welcher das stillverborgene Leben des dentschen
Volks sich entfaltete, an jene Zeit, in welcher Arndt einer der würdigsten »ut be¬
deutendsten Stimmführer war; die Zeiten haben sich verändert, aber nicht zum
Bessern. „Gewähre ich nicht, fragt Arndt in der Einleitung, indem ich die Ge¬
sichter der Jünglinge und Männer um mich her betrachte, ihre Töne vernehme
und ihre Reden höre, daß ein gar anderes Menschenalter da ist, ein ganz anders
lebendes, empfindendes, denkendes Menschengeschlecht, als die da vor fünfzig,
sechzig Jahren auf Erden weideten? gewahre ich nicht, daß jene Tage, in welchen
ich frisch und muthig cinherpilgerte, längst verlebt und überlebt aus dem Ge¬
dächtniß der Menschen verschollen sind? 'Kann es anders sei» bei dem Geschwind¬
schritte der Zeit, die jetzt ganz andere Stiefeln an hat als jene fabelhaft ge¬
glaubten Siebeumeileustrefel», welche 'jetzt zu Pantoffeln für Greise verschlissen
sind? Dürfte ich wünschen,, daß es anders wäre? Wahrlich nein, ich nicht.
Und doch, und doch — immer wieder flattern meine allen Geister um mich her,
ja fliegen, als wenn sie Schnellfliegler wären, klatschend und knallend vor mir
auf wie eine Kette ausgejagter Repphühner. Sie dränge», und eine Stimme in
mir, eine zugleich warnende »ut drohende Stimme des Gewissens, treibt und
mahnt: A»f! und thu deinen letzten Dienst, ehe du deine irdischen Angen auf
immer schließest. — So muß ich denn, und will ich denn, und gehe ans Werk,
und spreche mir selbst Lust und Muth ein, die nicht ganz in mir sind, daß es
mir doch vielleicht gelingen könnte, ans dieser Zeit und ans ihren Erscheinungen
heraus, wenn gleich in meine» Gefühlen, Gedanken und Ansichten fast gleich
ni»em Fremdling ans fernste» Lattde», oder einem gespenstischen Wiedernmlänfer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/65>, abgerufen am 03.07.2024.