Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sentirteller, dem sogenannten türkischen Tisch. Derselbe ist zumeist mit einem
rothen Schleier verhangen, und läßt die Delicatessen nur vermuthen, die dar¬
unter verborgen sind. Haben Sie bei rechtgläubigen und den Vorschriften
des Koran streng nachlebenden Türken eingesprochen, so finden Sie darunter
nur Gläser mit Limonade, Orgade, Fruchteis, Zuckerwerk und andere kleinere
Näschereien; kehrten Sie indeß bei "modernen Leuten" ein, so dürfen Sie dar¬
auf rechnen, vor allen Dingen Grog, Punsch und Näki (starken Liqueur) zu
finden. Sie nennen das ig, leanko. leben. Dieser erste aufmunternde, Laune
und Appetit erregende Gang macht die Einleitung der eigentlichen Mahlzeit
aus. Nachdem noch einige Züge aus dem lcmgrohrigen Tschibuck gethan wor¬
den, räumen dienstfertige Pfeifenträger jene sammt Untersätzen hinweg, und
es erscheint ein oder mehre Diener mit einem Waschbecken, dem Jbrik (den
Wassertüchern und gestickten goldflimmernden Handtüchern). Das Waschen der
Hände geschieht stets mit warmem Wasser und indem der Aufwartende sich auf
> ein Knie niederläßt, das Becken aber auf das andere Knie stützt. Eine Suppe,
die verdeckt aufgetragen wird, eröffnet sodann die eigentliche Mahlzeit. Hatte
der Wirth Sie eingeladen und gehört er zu den modernisirten Türken, so wird
er nicht unterlassen haben, Teller aufzustellen und für jeden Gast silberne
Messer und Gabel, desgleichen schwere Löffel bereit legen zu lassen. Kom¬
men Sie jedoch von ohngefähr, so finden Sie lediglich die hölzernen, ge¬
brauchten, im besten Falle schwarz lackirten und mit silbernen Knöpfen be¬
schlagenen Löffel, mit denen man hier Suppe, Pillau und die weicheren
Gemüse ißt. Alle anderen und im besondern die Fleischspeisen werden mit
den Fingern tranchirt und zum Munde geführt. Man bedient sich dazu stets
nur der rechten Hand, und es würde im ganzen Orient ein arger Verstoß sein,
jemals die linke dazu zu verwenden, wie es denn auch als Beleidigung gilt,
mit letzterer zu- grüßen. Fordern Sie während der Mahlzeit Wasser zum
Trinken, so unterläßt Ihr höflicher Wirth, sobald Sie den Becher wieder ab¬
gesetzt haben, sicherlich nicht, Ihnen mit einer Handbewegung zur Stirn
hinaus ein: Wohl bekomm es Ihnen! zuzurufen. Sie danken, indem Sie
dieselbe Gesticulation nachahmen.

Mittelpunkt und Glanzstelle des Mahles ist stets der Braten. Im dies¬
jährigen Ramasan ist darauf zu wetten, daß es in neun Fällen unter zehn
ein Lamm sein wird, welches dann ganz, mit Schwanz und. Kops und den
vier Füßen auf der runden, blechernen, mit hohem Rande versehenen Schüssel
erscheint. Stets langt der Wirth zuerst zu, wenn nicht etwa sein Gast einen
militärisch höheren Rang einnimmt. Er thut dies eines aus Höflichkeit, um mit
einem kecken und nicht eben appetitlichen Griff den Bauch des Lammes auf¬
zureißen und mit eingesteckten Löffel dem Gast den Zugang zu d'er Füllung
ans Reis und Rosinen nachzuweisen, welches nunmehr den ganzen Raum ein-


sentirteller, dem sogenannten türkischen Tisch. Derselbe ist zumeist mit einem
rothen Schleier verhangen, und läßt die Delicatessen nur vermuthen, die dar¬
unter verborgen sind. Haben Sie bei rechtgläubigen und den Vorschriften
des Koran streng nachlebenden Türken eingesprochen, so finden Sie darunter
nur Gläser mit Limonade, Orgade, Fruchteis, Zuckerwerk und andere kleinere
Näschereien; kehrten Sie indeß bei „modernen Leuten" ein, so dürfen Sie dar¬
auf rechnen, vor allen Dingen Grog, Punsch und Näki (starken Liqueur) zu
finden. Sie nennen das ig, leanko. leben. Dieser erste aufmunternde, Laune
und Appetit erregende Gang macht die Einleitung der eigentlichen Mahlzeit
aus. Nachdem noch einige Züge aus dem lcmgrohrigen Tschibuck gethan wor¬
den, räumen dienstfertige Pfeifenträger jene sammt Untersätzen hinweg, und
es erscheint ein oder mehre Diener mit einem Waschbecken, dem Jbrik (den
Wassertüchern und gestickten goldflimmernden Handtüchern). Das Waschen der
Hände geschieht stets mit warmem Wasser und indem der Aufwartende sich auf
> ein Knie niederläßt, das Becken aber auf das andere Knie stützt. Eine Suppe,
die verdeckt aufgetragen wird, eröffnet sodann die eigentliche Mahlzeit. Hatte
der Wirth Sie eingeladen und gehört er zu den modernisirten Türken, so wird
er nicht unterlassen haben, Teller aufzustellen und für jeden Gast silberne
Messer und Gabel, desgleichen schwere Löffel bereit legen zu lassen. Kom¬
men Sie jedoch von ohngefähr, so finden Sie lediglich die hölzernen, ge¬
brauchten, im besten Falle schwarz lackirten und mit silbernen Knöpfen be¬
schlagenen Löffel, mit denen man hier Suppe, Pillau und die weicheren
Gemüse ißt. Alle anderen und im besondern die Fleischspeisen werden mit
den Fingern tranchirt und zum Munde geführt. Man bedient sich dazu stets
nur der rechten Hand, und es würde im ganzen Orient ein arger Verstoß sein,
jemals die linke dazu zu verwenden, wie es denn auch als Beleidigung gilt,
mit letzterer zu- grüßen. Fordern Sie während der Mahlzeit Wasser zum
Trinken, so unterläßt Ihr höflicher Wirth, sobald Sie den Becher wieder ab¬
gesetzt haben, sicherlich nicht, Ihnen mit einer Handbewegung zur Stirn
hinaus ein: Wohl bekomm es Ihnen! zuzurufen. Sie danken, indem Sie
dieselbe Gesticulation nachahmen.

Mittelpunkt und Glanzstelle des Mahles ist stets der Braten. Im dies¬
jährigen Ramasan ist darauf zu wetten, daß es in neun Fällen unter zehn
ein Lamm sein wird, welches dann ganz, mit Schwanz und. Kops und den
vier Füßen auf der runden, blechernen, mit hohem Rande versehenen Schüssel
erscheint. Stets langt der Wirth zuerst zu, wenn nicht etwa sein Gast einen
militärisch höheren Rang einnimmt. Er thut dies eines aus Höflichkeit, um mit
einem kecken und nicht eben appetitlichen Griff den Bauch des Lammes auf¬
zureißen und mit eingesteckten Löffel dem Gast den Zugang zu d'er Füllung
ans Reis und Rosinen nachzuweisen, welches nunmehr den ganzen Raum ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98290"/>
            <p xml:id="ID_1634" prev="#ID_1633"> sentirteller, dem sogenannten türkischen Tisch. Derselbe ist zumeist mit einem<lb/>
rothen Schleier verhangen, und läßt die Delicatessen nur vermuthen, die dar¬<lb/>
unter verborgen sind. Haben Sie bei rechtgläubigen und den Vorschriften<lb/>
des Koran streng nachlebenden Türken eingesprochen, so finden Sie darunter<lb/>
nur Gläser mit Limonade, Orgade, Fruchteis, Zuckerwerk und andere kleinere<lb/>
Näschereien; kehrten Sie indeß bei &#x201E;modernen Leuten" ein, so dürfen Sie dar¬<lb/>
auf rechnen, vor allen Dingen Grog, Punsch und Näki (starken Liqueur) zu<lb/>
finden. Sie nennen das ig, leanko. leben. Dieser erste aufmunternde, Laune<lb/>
und Appetit erregende Gang macht die Einleitung der eigentlichen Mahlzeit<lb/>
aus. Nachdem noch einige Züge aus dem lcmgrohrigen Tschibuck gethan wor¬<lb/>
den, räumen dienstfertige Pfeifenträger jene sammt Untersätzen hinweg, und<lb/>
es erscheint ein oder mehre Diener mit einem Waschbecken, dem Jbrik (den<lb/>
Wassertüchern und gestickten goldflimmernden Handtüchern). Das Waschen der<lb/>
Hände geschieht stets mit warmem Wasser und indem der Aufwartende sich auf<lb/>
&gt; ein Knie niederläßt, das Becken aber auf das andere Knie stützt. Eine Suppe,<lb/>
die verdeckt aufgetragen wird, eröffnet sodann die eigentliche Mahlzeit. Hatte<lb/>
der Wirth Sie eingeladen und gehört er zu den modernisirten Türken, so wird<lb/>
er nicht unterlassen haben, Teller aufzustellen und für jeden Gast silberne<lb/>
Messer und Gabel, desgleichen schwere Löffel bereit legen zu lassen. Kom¬<lb/>
men Sie jedoch von ohngefähr, so finden Sie lediglich die hölzernen, ge¬<lb/>
brauchten, im besten Falle schwarz lackirten und mit silbernen Knöpfen be¬<lb/>
schlagenen Löffel, mit denen man hier Suppe, Pillau und die weicheren<lb/>
Gemüse ißt. Alle anderen und im besondern die Fleischspeisen werden mit<lb/>
den Fingern tranchirt und zum Munde geführt. Man bedient sich dazu stets<lb/>
nur der rechten Hand, und es würde im ganzen Orient ein arger Verstoß sein,<lb/>
jemals die linke dazu zu verwenden, wie es denn auch als Beleidigung gilt,<lb/>
mit letzterer zu- grüßen. Fordern Sie während der Mahlzeit Wasser zum<lb/>
Trinken, so unterläßt Ihr höflicher Wirth, sobald Sie den Becher wieder ab¬<lb/>
gesetzt haben, sicherlich nicht, Ihnen mit einer Handbewegung zur Stirn<lb/>
hinaus ein: Wohl bekomm es Ihnen! zuzurufen. Sie danken, indem Sie<lb/>
dieselbe Gesticulation nachahmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1635" next="#ID_1636"> Mittelpunkt und Glanzstelle des Mahles ist stets der Braten. Im dies¬<lb/>
jährigen Ramasan ist darauf zu wetten, daß es in neun Fällen unter zehn<lb/>
ein Lamm sein wird, welches dann ganz, mit Schwanz und. Kops und den<lb/>
vier Füßen auf der runden, blechernen, mit hohem Rande versehenen Schüssel<lb/>
erscheint. Stets langt der Wirth zuerst zu, wenn nicht etwa sein Gast einen<lb/>
militärisch höheren Rang einnimmt. Er thut dies eines aus Höflichkeit, um mit<lb/>
einem kecken und nicht eben appetitlichen Griff den Bauch des Lammes auf¬<lb/>
zureißen und mit eingesteckten Löffel dem Gast den Zugang zu d'er Füllung<lb/>
ans Reis und Rosinen nachzuweisen, welches nunmehr den ganzen Raum ein-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] sentirteller, dem sogenannten türkischen Tisch. Derselbe ist zumeist mit einem rothen Schleier verhangen, und läßt die Delicatessen nur vermuthen, die dar¬ unter verborgen sind. Haben Sie bei rechtgläubigen und den Vorschriften des Koran streng nachlebenden Türken eingesprochen, so finden Sie darunter nur Gläser mit Limonade, Orgade, Fruchteis, Zuckerwerk und andere kleinere Näschereien; kehrten Sie indeß bei „modernen Leuten" ein, so dürfen Sie dar¬ auf rechnen, vor allen Dingen Grog, Punsch und Näki (starken Liqueur) zu finden. Sie nennen das ig, leanko. leben. Dieser erste aufmunternde, Laune und Appetit erregende Gang macht die Einleitung der eigentlichen Mahlzeit aus. Nachdem noch einige Züge aus dem lcmgrohrigen Tschibuck gethan wor¬ den, räumen dienstfertige Pfeifenträger jene sammt Untersätzen hinweg, und es erscheint ein oder mehre Diener mit einem Waschbecken, dem Jbrik (den Wassertüchern und gestickten goldflimmernden Handtüchern). Das Waschen der Hände geschieht stets mit warmem Wasser und indem der Aufwartende sich auf > ein Knie niederläßt, das Becken aber auf das andere Knie stützt. Eine Suppe, die verdeckt aufgetragen wird, eröffnet sodann die eigentliche Mahlzeit. Hatte der Wirth Sie eingeladen und gehört er zu den modernisirten Türken, so wird er nicht unterlassen haben, Teller aufzustellen und für jeden Gast silberne Messer und Gabel, desgleichen schwere Löffel bereit legen zu lassen. Kom¬ men Sie jedoch von ohngefähr, so finden Sie lediglich die hölzernen, ge¬ brauchten, im besten Falle schwarz lackirten und mit silbernen Knöpfen be¬ schlagenen Löffel, mit denen man hier Suppe, Pillau und die weicheren Gemüse ißt. Alle anderen und im besondern die Fleischspeisen werden mit den Fingern tranchirt und zum Munde geführt. Man bedient sich dazu stets nur der rechten Hand, und es würde im ganzen Orient ein arger Verstoß sein, jemals die linke dazu zu verwenden, wie es denn auch als Beleidigung gilt, mit letzterer zu- grüßen. Fordern Sie während der Mahlzeit Wasser zum Trinken, so unterläßt Ihr höflicher Wirth, sobald Sie den Becher wieder ab¬ gesetzt haben, sicherlich nicht, Ihnen mit einer Handbewegung zur Stirn hinaus ein: Wohl bekomm es Ihnen! zuzurufen. Sie danken, indem Sie dieselbe Gesticulation nachahmen. Mittelpunkt und Glanzstelle des Mahles ist stets der Braten. Im dies¬ jährigen Ramasan ist darauf zu wetten, daß es in neun Fällen unter zehn ein Lamm sein wird, welches dann ganz, mit Schwanz und. Kops und den vier Füßen auf der runden, blechernen, mit hohem Rande versehenen Schüssel erscheint. Stets langt der Wirth zuerst zu, wenn nicht etwa sein Gast einen militärisch höheren Rang einnimmt. Er thut dies eines aus Höflichkeit, um mit einem kecken und nicht eben appetitlichen Griff den Bauch des Lammes auf¬ zureißen und mit eingesteckten Löffel dem Gast den Zugang zu d'er Füllung ans Reis und Rosinen nachzuweisen, welches nunmehr den ganzen Raum ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/509>, abgerufen am 22.12.2024.