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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Teufel zu verschreiben, sich ihn als Ergänzung heraufzubeschwören, da er ihn
ja als Ergänzung seines excentrischen Gefühls in seinem eignen Innern trägt.
Mephistopheles ist Faust selbst, wie er sich zuweilen erscheinen muß, wenn sein
Gefühl an der Höhe der Schranken erlahmt. Faust ist ein Bild jener schran¬
kenlosen Phantasie, jenes verwegenen Idealismus, der "mit mächtiger Faust"
die reale Welt in Trümmer schlug, um "sie prächtiger aus seinem Busen wie¬
der aufzubauen," und Mephistopheles das Bild des altklugen Skepticismus,
der von jenem Uebermaß nicht zu trennen ist, der närrische Geist des Wider¬
spruchs, der immer fragt: warum wird man geboren, wenn man doch sterben
muß? u. s. w. und der eine kindische Freude daran hat, wenn der liebe Gott
ihm auf diese sinnlose Frage nicht zu antworten weiß. Der Unterschied zwischen
den beiden Verbündeten ist, daß der eine sein Ideal, eben jene Frage des
Narren, als sein Recht, und daher sein Schicksal, keine Antwort zu erhalten,
als seine tragische Bestimmung betrachtet, während verändere sich durch Humor
und Cynismus mit seinen Widersprüchen abzufinden weiß und als lustiger
, Schalk selbst dem lieben Gott am wenigsten zur Last ist. Auch der Vertrag,
den die beiden machen, ist charakteristisch. Faust sucht ein "Ideal", das ein
Zauberspiegel ihm gezeigt, die schöne Helena von Griechenland; die absolute
Erscheinung, die alle Widersprüche in sich neutralisirt. Dieses "Ideal" will er
ganz genießen, wie er die Wahrheit ganz sehen will. Das Wesen soll sich
von der Erscheinung trennen; jedes einzelne Ding soll sich den nur scheinbaren
Einflüssen der Sonne, des Lichts und der Wärme, den Bedingungen- des
Raumes und der Zeit entziehen, und doch leben. Als er dem Teufel seine
Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬
gehören, wenn er einen Augenblick fände, in dem er genieße, ohne zu ent¬
behren; in dem er die höchste Erregung als Ruhe und^Dauer fühle. Der
Augenblick wird nicht kommen, denn jedes Sein ist mit dem Nichtsein behaftet;
jede That, jeder G*muß und jedes Wissen endlich. So wird er die Lust der
Unzufriedenheit, das stolze Bewußtsein eines Verlangens, dem der Augenblick
nie gerecht werden kann, in alle Ewigkeit büßen. Weder Gott noch'der Teufel
werden ihre Wette gewinnen.

Die Wahl eines solchen Gegenstandes ist eine sehr bedenkliche, auch für
den Genius, der das Bedenklichste wagen darf. Es ist ihm in dieser Dichtung
nicht gelungen, wie in seinen übrigen Werken, seine, Seele von einer Last, die
er nicht abwerfen konnte, durch dichterische Darstellung zu befreien. Es ist ihm
nicht gelungen, sich über die Einseitigkeit seines Helden zu erheben, weil es ihm
nicht gelang, ihn vollständig darzustellen. Der Grund davon ist, daß ihm dieses
Problem nicht aus dem innersten Quell seines Herzens aufging, sondern daß
halbverstandene Reminiscenzen darin ihr Wesen trieben. Die einzelnen Mo¬
mente, das Verhältniß zu Gretchen, das Verhältniß zu Mephistopheles, das


Teufel zu verschreiben, sich ihn als Ergänzung heraufzubeschwören, da er ihn
ja als Ergänzung seines excentrischen Gefühls in seinem eignen Innern trägt.
Mephistopheles ist Faust selbst, wie er sich zuweilen erscheinen muß, wenn sein
Gefühl an der Höhe der Schranken erlahmt. Faust ist ein Bild jener schran¬
kenlosen Phantasie, jenes verwegenen Idealismus, der „mit mächtiger Faust"
die reale Welt in Trümmer schlug, um „sie prächtiger aus seinem Busen wie¬
der aufzubauen," und Mephistopheles das Bild des altklugen Skepticismus,
der von jenem Uebermaß nicht zu trennen ist, der närrische Geist des Wider¬
spruchs, der immer fragt: warum wird man geboren, wenn man doch sterben
muß? u. s. w. und der eine kindische Freude daran hat, wenn der liebe Gott
ihm auf diese sinnlose Frage nicht zu antworten weiß. Der Unterschied zwischen
den beiden Verbündeten ist, daß der eine sein Ideal, eben jene Frage des
Narren, als sein Recht, und daher sein Schicksal, keine Antwort zu erhalten,
als seine tragische Bestimmung betrachtet, während verändere sich durch Humor
und Cynismus mit seinen Widersprüchen abzufinden weiß und als lustiger
, Schalk selbst dem lieben Gott am wenigsten zur Last ist. Auch der Vertrag,
den die beiden machen, ist charakteristisch. Faust sucht ein „Ideal", das ein
Zauberspiegel ihm gezeigt, die schöne Helena von Griechenland; die absolute
Erscheinung, die alle Widersprüche in sich neutralisirt. Dieses „Ideal" will er
ganz genießen, wie er die Wahrheit ganz sehen will. Das Wesen soll sich
von der Erscheinung trennen; jedes einzelne Ding soll sich den nur scheinbaren
Einflüssen der Sonne, des Lichts und der Wärme, den Bedingungen- des
Raumes und der Zeit entziehen, und doch leben. Als er dem Teufel seine
Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬
gehören, wenn er einen Augenblick fände, in dem er genieße, ohne zu ent¬
behren; in dem er die höchste Erregung als Ruhe und^Dauer fühle. Der
Augenblick wird nicht kommen, denn jedes Sein ist mit dem Nichtsein behaftet;
jede That, jeder G*muß und jedes Wissen endlich. So wird er die Lust der
Unzufriedenheit, das stolze Bewußtsein eines Verlangens, dem der Augenblick
nie gerecht werden kann, in alle Ewigkeit büßen. Weder Gott noch'der Teufel
werden ihre Wette gewinnen.

Die Wahl eines solchen Gegenstandes ist eine sehr bedenkliche, auch für
den Genius, der das Bedenklichste wagen darf. Es ist ihm in dieser Dichtung
nicht gelungen, wie in seinen übrigen Werken, seine, Seele von einer Last, die
er nicht abwerfen konnte, durch dichterische Darstellung zu befreien. Es ist ihm
nicht gelungen, sich über die Einseitigkeit seines Helden zu erheben, weil es ihm
nicht gelang, ihn vollständig darzustellen. Der Grund davon ist, daß ihm dieses
Problem nicht aus dem innersten Quell seines Herzens aufging, sondern daß
halbverstandene Reminiscenzen darin ihr Wesen trieben. Die einzelnen Mo¬
mente, das Verhältniß zu Gretchen, das Verhältniß zu Mephistopheles, das


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[0494] Teufel zu verschreiben, sich ihn als Ergänzung heraufzubeschwören, da er ihn ja als Ergänzung seines excentrischen Gefühls in seinem eignen Innern trägt. Mephistopheles ist Faust selbst, wie er sich zuweilen erscheinen muß, wenn sein Gefühl an der Höhe der Schranken erlahmt. Faust ist ein Bild jener schran¬ kenlosen Phantasie, jenes verwegenen Idealismus, der „mit mächtiger Faust" die reale Welt in Trümmer schlug, um „sie prächtiger aus seinem Busen wie¬ der aufzubauen," und Mephistopheles das Bild des altklugen Skepticismus, der von jenem Uebermaß nicht zu trennen ist, der närrische Geist des Wider¬ spruchs, der immer fragt: warum wird man geboren, wenn man doch sterben muß? u. s. w. und der eine kindische Freude daran hat, wenn der liebe Gott ihm auf diese sinnlose Frage nicht zu antworten weiß. Der Unterschied zwischen den beiden Verbündeten ist, daß der eine sein Ideal, eben jene Frage des Narren, als sein Recht, und daher sein Schicksal, keine Antwort zu erhalten, als seine tragische Bestimmung betrachtet, während verändere sich durch Humor und Cynismus mit seinen Widersprüchen abzufinden weiß und als lustiger , Schalk selbst dem lieben Gott am wenigsten zur Last ist. Auch der Vertrag, den die beiden machen, ist charakteristisch. Faust sucht ein „Ideal", das ein Zauberspiegel ihm gezeigt, die schöne Helena von Griechenland; die absolute Erscheinung, die alle Widersprüche in sich neutralisirt. Dieses „Ideal" will er ganz genießen, wie er die Wahrheit ganz sehen will. Das Wesen soll sich von der Erscheinung trennen; jedes einzelne Ding soll sich den nur scheinbaren Einflüssen der Sonne, des Lichts und der Wärme, den Bedingungen- des Raumes und der Zeit entziehen, und doch leben. Als er dem Teufel seine Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬ gehören, wenn er einen Augenblick fände, in dem er genieße, ohne zu ent¬ behren; in dem er die höchste Erregung als Ruhe und^Dauer fühle. Der Augenblick wird nicht kommen, denn jedes Sein ist mit dem Nichtsein behaftet; jede That, jeder G*muß und jedes Wissen endlich. So wird er die Lust der Unzufriedenheit, das stolze Bewußtsein eines Verlangens, dem der Augenblick nie gerecht werden kann, in alle Ewigkeit büßen. Weder Gott noch'der Teufel werden ihre Wette gewinnen. Die Wahl eines solchen Gegenstandes ist eine sehr bedenkliche, auch für den Genius, der das Bedenklichste wagen darf. Es ist ihm in dieser Dichtung nicht gelungen, wie in seinen übrigen Werken, seine, Seele von einer Last, die er nicht abwerfen konnte, durch dichterische Darstellung zu befreien. Es ist ihm nicht gelungen, sich über die Einseitigkeit seines Helden zu erheben, weil es ihm nicht gelang, ihn vollständig darzustellen. Der Grund davon ist, daß ihm dieses Problem nicht aus dem innersten Quell seines Herzens aufging, sondern daß halbverstandene Reminiscenzen darin ihr Wesen trieben. Die einzelnen Mo¬ mente, das Verhältniß zu Gretchen, das Verhältniß zu Mephistopheles, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/493>, abgerufen am 22.12.2024.