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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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gänglich, theils in seiner ungeheuren Ausdehnung nicht härtlich genug. Die
gegenwärtige Ausgabe, auf die wir noch einmal zurückkommen wollen, sobald
eine größere Zahl Shakespearescher Stücke erschienen sein wird, hat wenigstens den
Vorzug, daß sie die Schwierigkeiten nicht unnöthigerweise häuft, was
jetzt Mode zu werden scheint. -- Für diesmal wollen wir uns nur auf die
Ausgabe neuerer Dichter mehr einlassen: Tennysons ausgewählte Gedichte von
Heinrich Fischer und zwei Stücke Byrons von Brockerhoff.

Tennyson verdient eine deutsche Ausgabe vielleicht am meisten unter den
englischen Dichtern. Es ist in seiner Poesie zum Theil ein ganz wunderbarer
Zauber, eine Kühnheit und zugleich Sinnigkeit der Bilder, eine Zartheit der
Empfindung und eine Melodie der Sprache, die seine Kenntniß sehr wünschens¬
wert!) machen. Dabei ist er zur Uebersetzung nur in den seltensten Fällen ge¬
eignet, denn das Beste von ihm geht verloren, wenn man den sinnigen Klang
wegwischt. Außerdem hat er eine große Neigung zu gewagten Uebergängen,
zu unklaren Ausdrücken, selbst zum Schwulst, die nachzuahmen von Seiten
des Uebersetzers eine Thorheit wäre und die auf der andern Seite doch wieder
nicht wegfallen kann, wenn man wirklich übersetzen jwill. Aber er bedarf
namentlich für den Deutschen gar sehr eines Commentars, denn er ist an vielen
Stellen sehr schwierig, schwieriger als irgend ein andrer von den neueren
englischen Dichtern. Der gegenwärtige Herausgeber ist seiner Ausgabe nicht ge¬
wachsen gewesen. Bei den wirklich schwierigen Stellen hat er auch nicht einmal den
Versuch einer Erklärung gemacht, dagegen führt er eine Menge unnützer Parallel¬
stellen an und überrascht den Leser durch die Erklärung von Stellen, die dem
ersten Anfänger der englischen Grammatik keine Schwierigkeit machen können.
So schein.t namentlich die Auslassung des Pronomen relativum seine Phantasie
fortdauernd zu beschäftigen, denn er kommt immer wieder vom neuen darauf
zurück und wundert sich immer wieder vom neuen darüber. Mit der Auswahl
der Gedichte sind wir im ganzen einverstanden. -- Ungleich größere Verdienste
hat die Ausgabe Byrons von Brockerhoff, wenn auch der Herausgeber hin und
wieder etwas zu viel gethan hat.

Bereits in der Vorrede gibt Herr Brockerhoff eine ziemlich ausführliche
Charakteristik seines Dichters, die mehr seine Vorliebe für denselben aus¬
drückt, als daß sie etwas zur Kenntniß seiner charakteristischen Eigenschaften
beitrüge. In den Anmerkungen läßt er fast keine Zeile vorübergehen, ohne
auf irgend eine Schönheit in der Sprache des Bildes oder der Empfindung
aufmerksam zu machen und zu erklären, was bisweilen keiner Erklärung bedarf.
Es ist schade, daß auf diese Weise durch zu große Beihilfe von Seiten des
Herausgebers die Aufmerksamkeit des Lesers ermüdet wird; denn im übrigen
hat die Ausgabe ein sehr großes Verdienst. Herr Brockerhoff hat seinen
Dichter sehr eifrig studirt und die Bemerkungen, die er gibt, sind zum Theil


gänglich, theils in seiner ungeheuren Ausdehnung nicht härtlich genug. Die
gegenwärtige Ausgabe, auf die wir noch einmal zurückkommen wollen, sobald
eine größere Zahl Shakespearescher Stücke erschienen sein wird, hat wenigstens den
Vorzug, daß sie die Schwierigkeiten nicht unnöthigerweise häuft, was
jetzt Mode zu werden scheint. — Für diesmal wollen wir uns nur auf die
Ausgabe neuerer Dichter mehr einlassen: Tennysons ausgewählte Gedichte von
Heinrich Fischer und zwei Stücke Byrons von Brockerhoff.

Tennyson verdient eine deutsche Ausgabe vielleicht am meisten unter den
englischen Dichtern. Es ist in seiner Poesie zum Theil ein ganz wunderbarer
Zauber, eine Kühnheit und zugleich Sinnigkeit der Bilder, eine Zartheit der
Empfindung und eine Melodie der Sprache, die seine Kenntniß sehr wünschens¬
wert!) machen. Dabei ist er zur Uebersetzung nur in den seltensten Fällen ge¬
eignet, denn das Beste von ihm geht verloren, wenn man den sinnigen Klang
wegwischt. Außerdem hat er eine große Neigung zu gewagten Uebergängen,
zu unklaren Ausdrücken, selbst zum Schwulst, die nachzuahmen von Seiten
des Uebersetzers eine Thorheit wäre und die auf der andern Seite doch wieder
nicht wegfallen kann, wenn man wirklich übersetzen jwill. Aber er bedarf
namentlich für den Deutschen gar sehr eines Commentars, denn er ist an vielen
Stellen sehr schwierig, schwieriger als irgend ein andrer von den neueren
englischen Dichtern. Der gegenwärtige Herausgeber ist seiner Ausgabe nicht ge¬
wachsen gewesen. Bei den wirklich schwierigen Stellen hat er auch nicht einmal den
Versuch einer Erklärung gemacht, dagegen führt er eine Menge unnützer Parallel¬
stellen an und überrascht den Leser durch die Erklärung von Stellen, die dem
ersten Anfänger der englischen Grammatik keine Schwierigkeit machen können.
So schein.t namentlich die Auslassung des Pronomen relativum seine Phantasie
fortdauernd zu beschäftigen, denn er kommt immer wieder vom neuen darauf
zurück und wundert sich immer wieder vom neuen darüber. Mit der Auswahl
der Gedichte sind wir im ganzen einverstanden. — Ungleich größere Verdienste
hat die Ausgabe Byrons von Brockerhoff, wenn auch der Herausgeber hin und
wieder etwas zu viel gethan hat.

Bereits in der Vorrede gibt Herr Brockerhoff eine ziemlich ausführliche
Charakteristik seines Dichters, die mehr seine Vorliebe für denselben aus¬
drückt, als daß sie etwas zur Kenntniß seiner charakteristischen Eigenschaften
beitrüge. In den Anmerkungen läßt er fast keine Zeile vorübergehen, ohne
auf irgend eine Schönheit in der Sprache des Bildes oder der Empfindung
aufmerksam zu machen und zu erklären, was bisweilen keiner Erklärung bedarf.
Es ist schade, daß auf diese Weise durch zu große Beihilfe von Seiten des
Herausgebers die Aufmerksamkeit des Lesers ermüdet wird; denn im übrigen
hat die Ausgabe ein sehr großes Verdienst. Herr Brockerhoff hat seinen
Dichter sehr eifrig studirt und die Bemerkungen, die er gibt, sind zum Theil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/477>, abgerufen am 22.12.2024.