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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Morgens. Damals war die Einschließung noch nicht vollständig: dagegen
hatten die Sturmversuche auf die Außenwerke ihren Fortgang und zweihundert
Geschütze waren von beiden Seiten in beständiger Thätigkeit.

Diese Belagerung wird eine der denkwürdigsten in der neueren Kriegs¬
geschichte werden, wenn es den Türken gelingen sollte, sich hinter den vor¬
geschobenen Werken bis zu einem etwaigen Entsatz durch die englisch¬
französisch-türkische Armee zu behaupten. Zuverlässigen Nachrichten zufolge
besteht das eigentliche Belagerungscorps aus der erdrückenden Masse von
60,000 Mann. Ein anderes Corps von mindestens derselben Stärke deckt die
Belagerung. Letzteres Corps scheint seine Vorposten bis Basardschick vor¬
geschoben zu haben, mit seinem Gros aber auf der Höhe von Kusgun zu
halten, d. h. in einer Stellung, welche die Verbindung zwischen der Bela-
gerungsarmee und der vorgeschobenen Basis (Kara-Su-Linie) vermittelt.

Möglich, daß eine Vorwärtsbewegung der Verbündeten in Masse und in
der unverhehlter Absicht, eine Entscheidung zu suchen, die Russen zur Con-
centrirung, mithin zur Aufhebung der Belagerung zwingen würde. Aber die
Entschließung bliebe immer gewagt, eben weil Artillerie und zumal Cavalerie
nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Ehe sie anlangen, können mög¬
licherweise noch mehre Wochen, bevor sie vollzählig in Linie eingerückt sind,
ein ganzer Monat vergehen.

Fällt Silistria, so geschieht es nur infolge eines Zauderfystems seitens der
französischen-und englischen Armeeverwaltung, welches schon manche harte Rüge
in der Presse erfahren, dessen bedauernswerthe Evnsequenzen seither aber noch
nicht so offen gelegen haben, als eben jetzt. Denn diese Festung verlieren,
heißt die Möglichkeit einbüßen, demnächst, im dichten feindlichen Gegenüber,
an der Donau Fuß zu fassen und die Russen zum Rückzug auf ihre Basis
(Kara-Su-Linie) zu nöthigen.--

Der Frühling steht hier eben in höchster Pracht. Ohne daß die Hitze sehr
groß ist, haben wir hier herrliche Morgen und Abende beim klarsten Himmel.
Seit fünfzehn Jahren erinnert man sich hier nicht eines Ähnlicher Lenzes. Die
vorausgegangenen kühlen Monate hatten zwar die Entwicklung der Früchte
ausnehmend verzögert, aber dafür kommen sie nunmehr in Masse aus den
Markt. Neben den hochrothen Frühkirschen erscheinen bereits seit acht Tagen
die runden, rothen Erdbeeren, die man hier in den tief eingeschnittenen Thal¬
gründen mit besonderem Erfolg zu zkhen versteht. Dabei ist der Blumenflor
noch unerschöpst, und nachdem den Monat April hindurch die Veilchen, im
Mai die Narcissen und der Goldlack, die Straßen in der Nähe der Blumen-
verkäufer mit Wohlgerüchen erfüllt hatten, breiten sich nunmehr die Rosen und
Nelken in den flachen Blumenkörben und auf den Eheraten der Gärtner aus.




Morgens. Damals war die Einschließung noch nicht vollständig: dagegen
hatten die Sturmversuche auf die Außenwerke ihren Fortgang und zweihundert
Geschütze waren von beiden Seiten in beständiger Thätigkeit.

Diese Belagerung wird eine der denkwürdigsten in der neueren Kriegs¬
geschichte werden, wenn es den Türken gelingen sollte, sich hinter den vor¬
geschobenen Werken bis zu einem etwaigen Entsatz durch die englisch¬
französisch-türkische Armee zu behaupten. Zuverlässigen Nachrichten zufolge
besteht das eigentliche Belagerungscorps aus der erdrückenden Masse von
60,000 Mann. Ein anderes Corps von mindestens derselben Stärke deckt die
Belagerung. Letzteres Corps scheint seine Vorposten bis Basardschick vor¬
geschoben zu haben, mit seinem Gros aber auf der Höhe von Kusgun zu
halten, d. h. in einer Stellung, welche die Verbindung zwischen der Bela-
gerungsarmee und der vorgeschobenen Basis (Kara-Su-Linie) vermittelt.

Möglich, daß eine Vorwärtsbewegung der Verbündeten in Masse und in
der unverhehlter Absicht, eine Entscheidung zu suchen, die Russen zur Con-
centrirung, mithin zur Aufhebung der Belagerung zwingen würde. Aber die
Entschließung bliebe immer gewagt, eben weil Artillerie und zumal Cavalerie
nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Ehe sie anlangen, können mög¬
licherweise noch mehre Wochen, bevor sie vollzählig in Linie eingerückt sind,
ein ganzer Monat vergehen.

Fällt Silistria, so geschieht es nur infolge eines Zauderfystems seitens der
französischen-und englischen Armeeverwaltung, welches schon manche harte Rüge
in der Presse erfahren, dessen bedauernswerthe Evnsequenzen seither aber noch
nicht so offen gelegen haben, als eben jetzt. Denn diese Festung verlieren,
heißt die Möglichkeit einbüßen, demnächst, im dichten feindlichen Gegenüber,
an der Donau Fuß zu fassen und die Russen zum Rückzug auf ihre Basis
(Kara-Su-Linie) zu nöthigen.--

Der Frühling steht hier eben in höchster Pracht. Ohne daß die Hitze sehr
groß ist, haben wir hier herrliche Morgen und Abende beim klarsten Himmel.
Seit fünfzehn Jahren erinnert man sich hier nicht eines Ähnlicher Lenzes. Die
vorausgegangenen kühlen Monate hatten zwar die Entwicklung der Früchte
ausnehmend verzögert, aber dafür kommen sie nunmehr in Masse aus den
Markt. Neben den hochrothen Frühkirschen erscheinen bereits seit acht Tagen
die runden, rothen Erdbeeren, die man hier in den tief eingeschnittenen Thal¬
gründen mit besonderem Erfolg zu zkhen versteht. Dabei ist der Blumenflor
noch unerschöpst, und nachdem den Monat April hindurch die Veilchen, im
Mai die Narcissen und der Goldlack, die Straßen in der Nähe der Blumen-
verkäufer mit Wohlgerüchen erfüllt hatten, breiten sich nunmehr die Rosen und
Nelken in den flachen Blumenkörben und auf den Eheraten der Gärtner aus.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/475>, abgerufen am 23.07.2024.