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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Nachfolger erhielt. Die Motive liegen in einer wenig verborgenen Familien¬
intrigue. Um dieselbe zu verstehen, müssen Sie wissen, daß Mustapha Pascha,
der Vater des seitherigen türkischen Gesandten Wely (Velp) Pascha in Paris
ist, und sein Sturz eine Consequenz von der seines Sohnes war, oder umge¬
kehrt, die Absetzung des letzteren der seinigen als Wahrzeichen voranging. Man
wird den Alten nach der Insel Kreta senden, wo er vordem fünfundzwanzig
Jahre hindurch Gouverneur war. Jedenfalls wird die Pforte nicht viel in
seiner Person verlieren. Mehr Talent besaß Wely Pascha, der nun durch Namik
Pascha ersetzt ist.

Wichtiger als dies alles ist die endliche Entschließung des Marschalls Se.
Arnaud und seines englischen College" Lord Raglan, den Feldzug zu eröffnen,
und zur Basis der beginnenden Operationen die See- und Berglinie zwischen
den Festungen Varna und Schumla zu wählen. Bereits sind -10,000 Mann
Engländer in Varna gelandet, und der erste französische Truppentransport
passirt, von Gallipoli kommend, soeben den Bosporus. Bevor diese Woche
schließt, werden mindestens 30,000 Engländer und Franzosen die Position zu¬
nächst dem Dewnosee bezogen haben, und ehe weitere acht Tage vergangen
sind, werden 50,000 Mann beisammen sein. Man will Varna mit einer fran¬
zösischen Garnison unter General Bosquet versehen, und den französischen
Truppen den rechten Flügel, den englischen das Centrum und endlich den
Türken bei Schumla den linken Flügel zuweisen. Diese Disposition ist ein¬
fach und aus diesem Grunde zweckmäßig. Sie beläßt die türkische Armee auf
dem Punkte, wo soeben ihr Gros versammelt ist, läßt ihr dadurch sreie Hand,
sich in Verbindung mit ihren detachirten Corps zu erhalten (Kalasat, Sofia),
sichert den europäischen Truppen die nächste Verbindung mit der über das
Meer hinlaufenden Linie, inmittelst welcher sie verpflegt werden und ihre Be¬
dürfnisse aller Art zugeführt erhalten, und bringt bei dem allen die Massen,
mit denen man die Entscheidung erzielt, so nahe nebeneinander, daß es keiner
weiteren Operation bedarf, um beim Vorgehen oder Abwarten ihre gemeinsame
und gleichzeitige Action zu vermitteln.

Ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich die in Rede stehenden Maßregeln
als sehr gut ansehe, und daß sie meiner Meinung nach die besten sind, welche
man treffen konnte. Bei dem allen können sie den Zeitverlust nicht aufwiegen,
der durch das verspätete Anlangen aus dem Kriegstheater entstanden ist. Auch
ist nicht abzusehen, wie man bei dem thatsächlichen Mangel an Artillerie und na¬
mentlich an Cavalerie, bevor diese Waffen nicht in voller Stärke zur Hand sind, bal¬
digst etwas Entscheidendes undwo man die eigneArmee erponirt, unternehmen will.

Wozu die Umstände vor allen Dingen die beiden Generale dringend auf¬
fordern, ist dies: der Festung Silistria so schnell es angeht Luft zu machen.
Unsre neuesten Nachrichten aus diesem Platz sind vom 24. vorigen Monats


S9*

Nachfolger erhielt. Die Motive liegen in einer wenig verborgenen Familien¬
intrigue. Um dieselbe zu verstehen, müssen Sie wissen, daß Mustapha Pascha,
der Vater des seitherigen türkischen Gesandten Wely (Velp) Pascha in Paris
ist, und sein Sturz eine Consequenz von der seines Sohnes war, oder umge¬
kehrt, die Absetzung des letzteren der seinigen als Wahrzeichen voranging. Man
wird den Alten nach der Insel Kreta senden, wo er vordem fünfundzwanzig
Jahre hindurch Gouverneur war. Jedenfalls wird die Pforte nicht viel in
seiner Person verlieren. Mehr Talent besaß Wely Pascha, der nun durch Namik
Pascha ersetzt ist.

Wichtiger als dies alles ist die endliche Entschließung des Marschalls Se.
Arnaud und seines englischen College» Lord Raglan, den Feldzug zu eröffnen,
und zur Basis der beginnenden Operationen die See- und Berglinie zwischen
den Festungen Varna und Schumla zu wählen. Bereits sind -10,000 Mann
Engländer in Varna gelandet, und der erste französische Truppentransport
passirt, von Gallipoli kommend, soeben den Bosporus. Bevor diese Woche
schließt, werden mindestens 30,000 Engländer und Franzosen die Position zu¬
nächst dem Dewnosee bezogen haben, und ehe weitere acht Tage vergangen
sind, werden 50,000 Mann beisammen sein. Man will Varna mit einer fran¬
zösischen Garnison unter General Bosquet versehen, und den französischen
Truppen den rechten Flügel, den englischen das Centrum und endlich den
Türken bei Schumla den linken Flügel zuweisen. Diese Disposition ist ein¬
fach und aus diesem Grunde zweckmäßig. Sie beläßt die türkische Armee auf
dem Punkte, wo soeben ihr Gros versammelt ist, läßt ihr dadurch sreie Hand,
sich in Verbindung mit ihren detachirten Corps zu erhalten (Kalasat, Sofia),
sichert den europäischen Truppen die nächste Verbindung mit der über das
Meer hinlaufenden Linie, inmittelst welcher sie verpflegt werden und ihre Be¬
dürfnisse aller Art zugeführt erhalten, und bringt bei dem allen die Massen,
mit denen man die Entscheidung erzielt, so nahe nebeneinander, daß es keiner
weiteren Operation bedarf, um beim Vorgehen oder Abwarten ihre gemeinsame
und gleichzeitige Action zu vermitteln.

Ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich die in Rede stehenden Maßregeln
als sehr gut ansehe, und daß sie meiner Meinung nach die besten sind, welche
man treffen konnte. Bei dem allen können sie den Zeitverlust nicht aufwiegen,
der durch das verspätete Anlangen aus dem Kriegstheater entstanden ist. Auch
ist nicht abzusehen, wie man bei dem thatsächlichen Mangel an Artillerie und na¬
mentlich an Cavalerie, bevor diese Waffen nicht in voller Stärke zur Hand sind, bal¬
digst etwas Entscheidendes undwo man die eigneArmee erponirt, unternehmen will.

Wozu die Umstände vor allen Dingen die beiden Generale dringend auf¬
fordern, ist dies: der Festung Silistria so schnell es angeht Luft zu machen.
Unsre neuesten Nachrichten aus diesem Platz sind vom 24. vorigen Monats


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[0475] Nachfolger erhielt. Die Motive liegen in einer wenig verborgenen Familien¬ intrigue. Um dieselbe zu verstehen, müssen Sie wissen, daß Mustapha Pascha, der Vater des seitherigen türkischen Gesandten Wely (Velp) Pascha in Paris ist, und sein Sturz eine Consequenz von der seines Sohnes war, oder umge¬ kehrt, die Absetzung des letzteren der seinigen als Wahrzeichen voranging. Man wird den Alten nach der Insel Kreta senden, wo er vordem fünfundzwanzig Jahre hindurch Gouverneur war. Jedenfalls wird die Pforte nicht viel in seiner Person verlieren. Mehr Talent besaß Wely Pascha, der nun durch Namik Pascha ersetzt ist. Wichtiger als dies alles ist die endliche Entschließung des Marschalls Se. Arnaud und seines englischen College» Lord Raglan, den Feldzug zu eröffnen, und zur Basis der beginnenden Operationen die See- und Berglinie zwischen den Festungen Varna und Schumla zu wählen. Bereits sind -10,000 Mann Engländer in Varna gelandet, und der erste französische Truppentransport passirt, von Gallipoli kommend, soeben den Bosporus. Bevor diese Woche schließt, werden mindestens 30,000 Engländer und Franzosen die Position zu¬ nächst dem Dewnosee bezogen haben, und ehe weitere acht Tage vergangen sind, werden 50,000 Mann beisammen sein. Man will Varna mit einer fran¬ zösischen Garnison unter General Bosquet versehen, und den französischen Truppen den rechten Flügel, den englischen das Centrum und endlich den Türken bei Schumla den linken Flügel zuweisen. Diese Disposition ist ein¬ fach und aus diesem Grunde zweckmäßig. Sie beläßt die türkische Armee auf dem Punkte, wo soeben ihr Gros versammelt ist, läßt ihr dadurch sreie Hand, sich in Verbindung mit ihren detachirten Corps zu erhalten (Kalasat, Sofia), sichert den europäischen Truppen die nächste Verbindung mit der über das Meer hinlaufenden Linie, inmittelst welcher sie verpflegt werden und ihre Be¬ dürfnisse aller Art zugeführt erhalten, und bringt bei dem allen die Massen, mit denen man die Entscheidung erzielt, so nahe nebeneinander, daß es keiner weiteren Operation bedarf, um beim Vorgehen oder Abwarten ihre gemeinsame und gleichzeitige Action zu vermitteln. Ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich die in Rede stehenden Maßregeln als sehr gut ansehe, und daß sie meiner Meinung nach die besten sind, welche man treffen konnte. Bei dem allen können sie den Zeitverlust nicht aufwiegen, der durch das verspätete Anlangen aus dem Kriegstheater entstanden ist. Auch ist nicht abzusehen, wie man bei dem thatsächlichen Mangel an Artillerie und na¬ mentlich an Cavalerie, bevor diese Waffen nicht in voller Stärke zur Hand sind, bal¬ digst etwas Entscheidendes undwo man die eigneArmee erponirt, unternehmen will. Wozu die Umstände vor allen Dingen die beiden Generale dringend auf¬ fordern, ist dies: der Festung Silistria so schnell es angeht Luft zu machen. Unsre neuesten Nachrichten aus diesem Platz sind vom 24. vorigen Monats S9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/474>, abgerufen am 26.08.2024.