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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Es ist Thatsache, daß in den jüngsten Monaten mehre auswärtige Firmen
Commanditen hier errichteten, und niemals waren die Straßen von fliegenden
Händlern und Hausirern belebter wie in diesen Tagen.

Die energischen Entschließungen Oestreichs, seine Stellung Rußland gegen¬
über, mit der Hand am Schwert, haben hier nur im höchsten Maße freudig
zu berühren vermocht. Im Stillen sagen Türken, Engländer und Franzosen
zu sich und untereinander: dieser neue Verbündete ist uns gewiß.

Woraus man ein besonderes Gewicht legt, das ist der Umstand, daß in
diesem Verhältniß der beiden ostwärtigen Großmächte die Herrscher selbst es
sind, die einander den Handschuh bieten -- weniger die Diplomatie. Man
süßt mit Recht, indem man hofft und den Beitritt Oestreichs zur Westallianz
als ein Factum annimmt, aus der Würdigung der ziehenden, unwiderstehlichen
Gewalt persönlicher Antipathien.

Dieses nur, um Ihnen zu sagen, wie weit man bereits in der Beurtheilung
der neuen Lage der Dinge hier vorgerückt ist, und daß diese Erwartungen,
welche man auf Oestreichs Festigkeit setzt, schon einen bedeutenden Factor in
dem Product der Thatsachen ausmacht, die uns die letzte Woche gebracht hat.
Zunächst ist das wichtig, daß die englischen Truppen noch in Skutari lagern;
sie waren am Mittwoch Abend, wenn ich nicht irre, in Bobek eingeschifft
worden, wurden aber am Freitag Abend oder Sonnabend. Morgen wieder bei
Skutari ans Land gesetzt. Diese Maßregel kann nur darin begründet sein,
daß man mit Oestreich einen gemeinsamen Operationsplan zu verabreden
gedenkt, und sich nicht eher mit Landkräften militärisch engagiren will, bevor
nicht diese Verständigung erfolgt, und ein Übereinstimmendesund planmäßiges
Handeln gesichert ist.

Wie man hier wissen will, erfolgte der Befehl zur Wiederausschiffung
unmittelbar nachdem Lord Stratsord in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag
zwei Couriere, von denen einer über Belgrad, mithin aus Oestreich kam, em¬
pfangen hatte, was ich anführe, weil es die eben ausgesprochene Vermuthung
bestätigen würde. Ueber die Zweckmäßigkeit der Verzögerung kann man bei
dem allen verschiedener Meinung sein. Es ist nämlich gewiß, daß Varna eine
kaum ausreichende Besatzung hat^ und daß die Russen in den jüngsten Tagen
derartige Fortschritte gemacht haben, welche es ihnen möglich machen, diesen
Platz im Wege eines Handstreiches zu bedrohen.

Von Silistria ging noch am 22. Mai ein türkischer Courier ab. Der
Platz war bis dahin noch nicht eng eingeschlossen, indeß standen die Russen
mit 9 0,0 06 Mann im Angesicht der Festung, und hatten eins der vor¬
geschobenen Werke, eine große Lünette im Centrum der avancirten Ver-


Grenzbottn, II. 18si. 59

Es ist Thatsache, daß in den jüngsten Monaten mehre auswärtige Firmen
Commanditen hier errichteten, und niemals waren die Straßen von fliegenden
Händlern und Hausirern belebter wie in diesen Tagen.

Die energischen Entschließungen Oestreichs, seine Stellung Rußland gegen¬
über, mit der Hand am Schwert, haben hier nur im höchsten Maße freudig
zu berühren vermocht. Im Stillen sagen Türken, Engländer und Franzosen
zu sich und untereinander: dieser neue Verbündete ist uns gewiß.

Woraus man ein besonderes Gewicht legt, das ist der Umstand, daß in
diesem Verhältniß der beiden ostwärtigen Großmächte die Herrscher selbst es
sind, die einander den Handschuh bieten — weniger die Diplomatie. Man
süßt mit Recht, indem man hofft und den Beitritt Oestreichs zur Westallianz
als ein Factum annimmt, aus der Würdigung der ziehenden, unwiderstehlichen
Gewalt persönlicher Antipathien.

Dieses nur, um Ihnen zu sagen, wie weit man bereits in der Beurtheilung
der neuen Lage der Dinge hier vorgerückt ist, und daß diese Erwartungen,
welche man auf Oestreichs Festigkeit setzt, schon einen bedeutenden Factor in
dem Product der Thatsachen ausmacht, die uns die letzte Woche gebracht hat.
Zunächst ist das wichtig, daß die englischen Truppen noch in Skutari lagern;
sie waren am Mittwoch Abend, wenn ich nicht irre, in Bobek eingeschifft
worden, wurden aber am Freitag Abend oder Sonnabend. Morgen wieder bei
Skutari ans Land gesetzt. Diese Maßregel kann nur darin begründet sein,
daß man mit Oestreich einen gemeinsamen Operationsplan zu verabreden
gedenkt, und sich nicht eher mit Landkräften militärisch engagiren will, bevor
nicht diese Verständigung erfolgt, und ein Übereinstimmendesund planmäßiges
Handeln gesichert ist.

Wie man hier wissen will, erfolgte der Befehl zur Wiederausschiffung
unmittelbar nachdem Lord Stratsord in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag
zwei Couriere, von denen einer über Belgrad, mithin aus Oestreich kam, em¬
pfangen hatte, was ich anführe, weil es die eben ausgesprochene Vermuthung
bestätigen würde. Ueber die Zweckmäßigkeit der Verzögerung kann man bei
dem allen verschiedener Meinung sein. Es ist nämlich gewiß, daß Varna eine
kaum ausreichende Besatzung hat^ und daß die Russen in den jüngsten Tagen
derartige Fortschritte gemacht haben, welche es ihnen möglich machen, diesen
Platz im Wege eines Handstreiches zu bedrohen.

Von Silistria ging noch am 22. Mai ein türkischer Courier ab. Der
Platz war bis dahin noch nicht eng eingeschlossen, indeß standen die Russen
mit 9 0,0 06 Mann im Angesicht der Festung, und hatten eins der vor¬
geschobenen Werke, eine große Lünette im Centrum der avancirten Ver-


Grenzbottn, II. 18si. 59
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[0473] Es ist Thatsache, daß in den jüngsten Monaten mehre auswärtige Firmen Commanditen hier errichteten, und niemals waren die Straßen von fliegenden Händlern und Hausirern belebter wie in diesen Tagen. Die energischen Entschließungen Oestreichs, seine Stellung Rußland gegen¬ über, mit der Hand am Schwert, haben hier nur im höchsten Maße freudig zu berühren vermocht. Im Stillen sagen Türken, Engländer und Franzosen zu sich und untereinander: dieser neue Verbündete ist uns gewiß. Woraus man ein besonderes Gewicht legt, das ist der Umstand, daß in diesem Verhältniß der beiden ostwärtigen Großmächte die Herrscher selbst es sind, die einander den Handschuh bieten — weniger die Diplomatie. Man süßt mit Recht, indem man hofft und den Beitritt Oestreichs zur Westallianz als ein Factum annimmt, aus der Würdigung der ziehenden, unwiderstehlichen Gewalt persönlicher Antipathien. Dieses nur, um Ihnen zu sagen, wie weit man bereits in der Beurtheilung der neuen Lage der Dinge hier vorgerückt ist, und daß diese Erwartungen, welche man auf Oestreichs Festigkeit setzt, schon einen bedeutenden Factor in dem Product der Thatsachen ausmacht, die uns die letzte Woche gebracht hat. Zunächst ist das wichtig, daß die englischen Truppen noch in Skutari lagern; sie waren am Mittwoch Abend, wenn ich nicht irre, in Bobek eingeschifft worden, wurden aber am Freitag Abend oder Sonnabend. Morgen wieder bei Skutari ans Land gesetzt. Diese Maßregel kann nur darin begründet sein, daß man mit Oestreich einen gemeinsamen Operationsplan zu verabreden gedenkt, und sich nicht eher mit Landkräften militärisch engagiren will, bevor nicht diese Verständigung erfolgt, und ein Übereinstimmendesund planmäßiges Handeln gesichert ist. Wie man hier wissen will, erfolgte der Befehl zur Wiederausschiffung unmittelbar nachdem Lord Stratsord in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag zwei Couriere, von denen einer über Belgrad, mithin aus Oestreich kam, em¬ pfangen hatte, was ich anführe, weil es die eben ausgesprochene Vermuthung bestätigen würde. Ueber die Zweckmäßigkeit der Verzögerung kann man bei dem allen verschiedener Meinung sein. Es ist nämlich gewiß, daß Varna eine kaum ausreichende Besatzung hat^ und daß die Russen in den jüngsten Tagen derartige Fortschritte gemacht haben, welche es ihnen möglich machen, diesen Platz im Wege eines Handstreiches zu bedrohen. Von Silistria ging noch am 22. Mai ein türkischer Courier ab. Der Platz war bis dahin noch nicht eng eingeschlossen, indeß standen die Russen mit 9 0,0 06 Mann im Angesicht der Festung, und hatten eins der vor¬ geschobenen Werke, eine große Lünette im Centrum der avancirten Ver- Grenzbottn, II. 18si. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/472>, abgerufen am 23.07.2024.