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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Erziehung gewesen. Meine Schwester that was eine Frau bei der Knaben-Erziehung
thun kann.*) Was ist die Folge davon?

Ich bin -- ich bin biß auf diese Stunde Zuviel und zu Wenig in gleichem
Maaß. Ich habe zu viel Empfindlichkeit -- schnelles Gefühl, stets rasche
Ausführung. Diese Dinge soll der Mann, entgegengesetzt Schicksalen, Bitterkeiten
harten Begebenheiten -- er soll diese Eigenschaften durchaus nicht haben.
Vestigkeit, dauernde Gefühle, gründliches Urtheil und weises Abwägen
der Verhältniße, können ihn, diesen Dingen ausweichen, begegnen laßen, können
ihn sie ertragen machen. Hierin bin ich zu wenig.

In einem Gespräch mit meiner Schwester wurden wir über die Unzulänglichkeit
dieser Erziehung einig. Einig, daß die Erziehung auf keine der beiden Seiten ganz
hängen müße, daß gleiche Anhänglichkeit an Vater und Mutter ununterbrochen er¬
halten werden müße, daß, während der Mann den Karakter forme, die Frau die
Feinheit, -- ich mochte sagen, die Keuschheit det Gefühle erhalten müsse.

Habe ich von diesem System auch nicht gesprochen; so glaube ich doch, daß
der denkende Theil der Zuhörer, von den Mängeln die er geschildert sieht, am
Beßten ans das Gute kommt, daß er bewürken kann. Ich getraue mir sogar zu
sagen, daß diese nichtb earb eilete, aber zweckmäßig, und stark berührte Seite,
dem Stücke, den Beifall verschafft hat. Ich berührte gleichsam die Geheimniße
der Erzieher, und sie dankten daß ich sie nicht ausplauderte.

Daß ist, beiläufig die Geschichte des Stücks davon ich sprechen mußte, um zu
beweisen daß ich nicht ohne Kenntniße und Grundsätze diese Materie wählte.

Daß ist also bewiesen, daß ein junger Mann, von guten Ältern aufgewachsen
bei edlen Sitten und Schwächen, nicht ohne Noth -- -- -- gut ist!

Ein weit scheinbarerer Grund ist der, "daß der junge Rudberg zu dem --
H. Schröder nennt es Dieb stahl -- nicht gedrungen sey."

Er ist dazu gedrungen. Er, wie er nun einmal ist. So muß ihn aber
der Kunstrichter immer begleiten, nie anders.

Herr S. sagt, "er solle in Jahr und Tag Zahlung versprechen, oder Duell
fordern. Er vergißt "daß der Ehrsüchtige gar das Zahlungs-Unvermögen
nicht merken.lassen darf. Daß es sein adlicher Nebenbuler bey einer ad-
lichen Geliebten ist. Daß Hochmuth und Politiq, in gleichem Grade ihn
drängen.

Die Handlung die H. S. von dem jungen Rudberg begehrt, thut nur ein
entschloß en er geordneter Mann. Der ist Rudberg nicht. Er ist gehetzt, hängt
am Schein, opfert dem Schein und hofft vom Schein. Hofft von der leichte¬
sten Wahrscheinlichkeit, weil er Weichling ist. -- Weichling? gegen Demütigung
-- Bekenntniß irgend eines Unvermögens, ist Demütigung. Demütigung? duldet
kein Ehrsüchtiger, nicht einmal ein Ehrgeiziger. -- Das erste Beiwort aber, wählte
ich anpassend der Sache. Man kann einer Demütigung entgehen wollen, ohne
feig zu.seyn/



*) Nur eine Hindeutung darauf findet sich in Ifflands Selbstbiographie S. 42-
Grenzboten. II. I8si. SS

Erziehung gewesen. Meine Schwester that was eine Frau bei der Knaben-Erziehung
thun kann.*) Was ist die Folge davon?

Ich bin — ich bin biß auf diese Stunde Zuviel und zu Wenig in gleichem
Maaß. Ich habe zu viel Empfindlichkeit — schnelles Gefühl, stets rasche
Ausführung. Diese Dinge soll der Mann, entgegengesetzt Schicksalen, Bitterkeiten
harten Begebenheiten — er soll diese Eigenschaften durchaus nicht haben.
Vestigkeit, dauernde Gefühle, gründliches Urtheil und weises Abwägen
der Verhältniße, können ihn, diesen Dingen ausweichen, begegnen laßen, können
ihn sie ertragen machen. Hierin bin ich zu wenig.

In einem Gespräch mit meiner Schwester wurden wir über die Unzulänglichkeit
dieser Erziehung einig. Einig, daß die Erziehung auf keine der beiden Seiten ganz
hängen müße, daß gleiche Anhänglichkeit an Vater und Mutter ununterbrochen er¬
halten werden müße, daß, während der Mann den Karakter forme, die Frau die
Feinheit, — ich mochte sagen, die Keuschheit det Gefühle erhalten müsse.

Habe ich von diesem System auch nicht gesprochen; so glaube ich doch, daß
der denkende Theil der Zuhörer, von den Mängeln die er geschildert sieht, am
Beßten ans das Gute kommt, daß er bewürken kann. Ich getraue mir sogar zu
sagen, daß diese nichtb earb eilete, aber zweckmäßig, und stark berührte Seite,
dem Stücke, den Beifall verschafft hat. Ich berührte gleichsam die Geheimniße
der Erzieher, und sie dankten daß ich sie nicht ausplauderte.

Daß ist, beiläufig die Geschichte des Stücks davon ich sprechen mußte, um zu
beweisen daß ich nicht ohne Kenntniße und Grundsätze diese Materie wählte.

Daß ist also bewiesen, daß ein junger Mann, von guten Ältern aufgewachsen
bei edlen Sitten und Schwächen, nicht ohne Noth — — — gut ist!

Ein weit scheinbarerer Grund ist der, „daß der junge Rudberg zu dem —
H. Schröder nennt es Dieb stahl — nicht gedrungen sey."

Er ist dazu gedrungen. Er, wie er nun einmal ist. So muß ihn aber
der Kunstrichter immer begleiten, nie anders.

Herr S. sagt, „er solle in Jahr und Tag Zahlung versprechen, oder Duell
fordern. Er vergißt „daß der Ehrsüchtige gar das Zahlungs-Unvermögen
nicht merken.lassen darf. Daß es sein adlicher Nebenbuler bey einer ad-
lichen Geliebten ist. Daß Hochmuth und Politiq, in gleichem Grade ihn
drängen.

Die Handlung die H. S. von dem jungen Rudberg begehrt, thut nur ein
entschloß en er geordneter Mann. Der ist Rudberg nicht. Er ist gehetzt, hängt
am Schein, opfert dem Schein und hofft vom Schein. Hofft von der leichte¬
sten Wahrscheinlichkeit, weil er Weichling ist. — Weichling? gegen Demütigung
— Bekenntniß irgend eines Unvermögens, ist Demütigung. Demütigung? duldet
kein Ehrsüchtiger, nicht einmal ein Ehrgeiziger. — Das erste Beiwort aber, wählte
ich anpassend der Sache. Man kann einer Demütigung entgehen wollen, ohne
feig zu.seyn/



*) Nur eine Hindeutung darauf findet sich in Ifflands Selbstbiographie S. 42-
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[0441] Erziehung gewesen. Meine Schwester that was eine Frau bei der Knaben-Erziehung thun kann.*) Was ist die Folge davon? Ich bin — ich bin biß auf diese Stunde Zuviel und zu Wenig in gleichem Maaß. Ich habe zu viel Empfindlichkeit — schnelles Gefühl, stets rasche Ausführung. Diese Dinge soll der Mann, entgegengesetzt Schicksalen, Bitterkeiten harten Begebenheiten — er soll diese Eigenschaften durchaus nicht haben. Vestigkeit, dauernde Gefühle, gründliches Urtheil und weises Abwägen der Verhältniße, können ihn, diesen Dingen ausweichen, begegnen laßen, können ihn sie ertragen machen. Hierin bin ich zu wenig. In einem Gespräch mit meiner Schwester wurden wir über die Unzulänglichkeit dieser Erziehung einig. Einig, daß die Erziehung auf keine der beiden Seiten ganz hängen müße, daß gleiche Anhänglichkeit an Vater und Mutter ununterbrochen er¬ halten werden müße, daß, während der Mann den Karakter forme, die Frau die Feinheit, — ich mochte sagen, die Keuschheit det Gefühle erhalten müsse. Habe ich von diesem System auch nicht gesprochen; so glaube ich doch, daß der denkende Theil der Zuhörer, von den Mängeln die er geschildert sieht, am Beßten ans das Gute kommt, daß er bewürken kann. Ich getraue mir sogar zu sagen, daß diese nichtb earb eilete, aber zweckmäßig, und stark berührte Seite, dem Stücke, den Beifall verschafft hat. Ich berührte gleichsam die Geheimniße der Erzieher, und sie dankten daß ich sie nicht ausplauderte. Daß ist, beiläufig die Geschichte des Stücks davon ich sprechen mußte, um zu beweisen daß ich nicht ohne Kenntniße und Grundsätze diese Materie wählte. Daß ist also bewiesen, daß ein junger Mann, von guten Ältern aufgewachsen bei edlen Sitten und Schwächen, nicht ohne Noth — — — gut ist! Ein weit scheinbarerer Grund ist der, „daß der junge Rudberg zu dem — H. Schröder nennt es Dieb stahl — nicht gedrungen sey." Er ist dazu gedrungen. Er, wie er nun einmal ist. So muß ihn aber der Kunstrichter immer begleiten, nie anders. Herr S. sagt, „er solle in Jahr und Tag Zahlung versprechen, oder Duell fordern. Er vergißt „daß der Ehrsüchtige gar das Zahlungs-Unvermögen nicht merken.lassen darf. Daß es sein adlicher Nebenbuler bey einer ad- lichen Geliebten ist. Daß Hochmuth und Politiq, in gleichem Grade ihn drängen. Die Handlung die H. S. von dem jungen Rudberg begehrt, thut nur ein entschloß en er geordneter Mann. Der ist Rudberg nicht. Er ist gehetzt, hängt am Schein, opfert dem Schein und hofft vom Schein. Hofft von der leichte¬ sten Wahrscheinlichkeit, weil er Weichling ist. — Weichling? gegen Demütigung — Bekenntniß irgend eines Unvermögens, ist Demütigung. Demütigung? duldet kein Ehrsüchtiger, nicht einmal ein Ehrgeiziger. — Das erste Beiwort aber, wählte ich anpassend der Sache. Man kann einer Demütigung entgehen wollen, ohne feig zu.seyn/ *) Nur eine Hindeutung darauf findet sich in Ifflands Selbstbiographie S. 42- Grenzboten. II. I8si. SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/440>, abgerufen am 22.12.2024.