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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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erklärung die Länder an der untern Donau als zum Machtkreise Deutschlands
gehörig bezeichnet werden, so zeugt diese Auffassung von der Auferstehung der
lange begrabenen nationalen Politik und ist als ein vielversprechender Aus¬
gangspunkt der höchsten Beachtung würdig. Sie ist, wenn sie in ihrer vollen
Bedeutung erfaßt wird, geeignet, in den Ansichten über die Ereignisse im Orient
einen vollständigen Umschwung hervorzurufen; bilden die Länder an der untern
Donau, weil sie die Mündungen des größten deutschen Stromes beherrschen,
daS von der Natur uns zugewiesene Machtgebiet, dann ist ihre Besetzung
durch russische Truppen ein Act, der viel directer gegen uns, als gegen die
Westmächte gerichtet ist; dann zwingt uns das Gebot der Ehre, zur Sicherung
unsres natürlichen Machtgebiets in die erste Linie der Action zu treten, und
mit dem ganzen Nachdruck zu handeln, den eine Fvage der Macht verlangt.

Die genauere Prüfung der deutschen Interessen hat ferner zu dem nicht
minder erheblichen Resultat geführt, daß nun, da die Ereignisse im Orient ein¬
mal eine definitive Regelung der dortigen Verhältnisse nothwendig gemacht
haben, die schwebende Frage zu einer bessern Sicherstell.ung der deutschen
Interessen benutzt werden müsse, d. h. daß eine einfache Herstellung des Zu¬
standes vor der russischen Invasion nicht mehr als genügend betrachtet werten
könne. Diese Ueberzeugung bricht an verschiedenen Stellen 'des interessanten
Actenstückes hervor. Die Regierungen erkennen an, daß die Gefahren, die im
Kreise ihrer Macht erwachsen sind, einer "nachhaltigen" Abhilfe bedürfen;
sie bezeichnen es "als eine Forderung der politischen Stellung Deutschlands,
als ein Element seiner erhaltenden Politik und als eine Bedingung der na¬
türlichen Entfaltung seines Nationalreichthums, daß in den Ländern an der
untern Donau geordnete und den Interessen des mittlern Europa
entsprechende Zustände bestehen"; sie verhehlen es sich nicht, daß die
materiellen Interessen Deutschlands in der Richtung der großen Wasserstraße
nach dem Osten "des mächtigsten Aufschwungs sähig" sind, und stellen es
als "ein allgemein deutsches Anliegen" hin, "die Freiheit des Donauhandcls
möglichst gesichert und die naturgemäße Belebung der Verkehrswege nach
dem Orient nicht durch Beschränkungen zurückgedrängt zu sehen". Alle
diese Bemerkungen enthalten leichtverständliche Anspielungen auf die notorische
Unzulänglichkeit des staws quo ante, auf die dem deutschen Interesse wenig
entsprechenden Zustände der Donaufürstenthümer unter russischem Protectorat,
auf die Hemmnisse, mit denen der Donauhandel zu kämpfen hatte, seitdem die
Mündungen des Stromes im Besitz Rußlands waren. Wir sehen hier bereits
einzelne Punkte angedeutet, in Betreff deren die deutschen Großmächte eine
Verbesserung des 8law8 eine> ano zu Gunsten der deutschen Interessen als noth¬
wendig qnerkennen, und hierin liegt ein neuer Fortschritt in der Auffassung des
schwebenden Conflicts. Sobald man sich davon überzeugte, daß deutsche


erklärung die Länder an der untern Donau als zum Machtkreise Deutschlands
gehörig bezeichnet werden, so zeugt diese Auffassung von der Auferstehung der
lange begrabenen nationalen Politik und ist als ein vielversprechender Aus¬
gangspunkt der höchsten Beachtung würdig. Sie ist, wenn sie in ihrer vollen
Bedeutung erfaßt wird, geeignet, in den Ansichten über die Ereignisse im Orient
einen vollständigen Umschwung hervorzurufen; bilden die Länder an der untern
Donau, weil sie die Mündungen des größten deutschen Stromes beherrschen,
daS von der Natur uns zugewiesene Machtgebiet, dann ist ihre Besetzung
durch russische Truppen ein Act, der viel directer gegen uns, als gegen die
Westmächte gerichtet ist; dann zwingt uns das Gebot der Ehre, zur Sicherung
unsres natürlichen Machtgebiets in die erste Linie der Action zu treten, und
mit dem ganzen Nachdruck zu handeln, den eine Fvage der Macht verlangt.

Die genauere Prüfung der deutschen Interessen hat ferner zu dem nicht
minder erheblichen Resultat geführt, daß nun, da die Ereignisse im Orient ein¬
mal eine definitive Regelung der dortigen Verhältnisse nothwendig gemacht
haben, die schwebende Frage zu einer bessern Sicherstell.ung der deutschen
Interessen benutzt werden müsse, d. h. daß eine einfache Herstellung des Zu¬
standes vor der russischen Invasion nicht mehr als genügend betrachtet werten
könne. Diese Ueberzeugung bricht an verschiedenen Stellen 'des interessanten
Actenstückes hervor. Die Regierungen erkennen an, daß die Gefahren, die im
Kreise ihrer Macht erwachsen sind, einer „nachhaltigen" Abhilfe bedürfen;
sie bezeichnen es „als eine Forderung der politischen Stellung Deutschlands,
als ein Element seiner erhaltenden Politik und als eine Bedingung der na¬
türlichen Entfaltung seines Nationalreichthums, daß in den Ländern an der
untern Donau geordnete und den Interessen des mittlern Europa
entsprechende Zustände bestehen"; sie verhehlen es sich nicht, daß die
materiellen Interessen Deutschlands in der Richtung der großen Wasserstraße
nach dem Osten „des mächtigsten Aufschwungs sähig" sind, und stellen es
als „ein allgemein deutsches Anliegen" hin, „die Freiheit des Donauhandcls
möglichst gesichert und die naturgemäße Belebung der Verkehrswege nach
dem Orient nicht durch Beschränkungen zurückgedrängt zu sehen". Alle
diese Bemerkungen enthalten leichtverständliche Anspielungen auf die notorische
Unzulänglichkeit des staws quo ante, auf die dem deutschen Interesse wenig
entsprechenden Zustände der Donaufürstenthümer unter russischem Protectorat,
auf die Hemmnisse, mit denen der Donauhandel zu kämpfen hatte, seitdem die
Mündungen des Stromes im Besitz Rußlands waren. Wir sehen hier bereits
einzelne Punkte angedeutet, in Betreff deren die deutschen Großmächte eine
Verbesserung des 8law8 eine> ano zu Gunsten der deutschen Interessen als noth¬
wendig qnerkennen, und hierin liegt ein neuer Fortschritt in der Auffassung des
schwebenden Conflicts. Sobald man sich davon überzeugte, daß deutsche


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[0437] erklärung die Länder an der untern Donau als zum Machtkreise Deutschlands gehörig bezeichnet werden, so zeugt diese Auffassung von der Auferstehung der lange begrabenen nationalen Politik und ist als ein vielversprechender Aus¬ gangspunkt der höchsten Beachtung würdig. Sie ist, wenn sie in ihrer vollen Bedeutung erfaßt wird, geeignet, in den Ansichten über die Ereignisse im Orient einen vollständigen Umschwung hervorzurufen; bilden die Länder an der untern Donau, weil sie die Mündungen des größten deutschen Stromes beherrschen, daS von der Natur uns zugewiesene Machtgebiet, dann ist ihre Besetzung durch russische Truppen ein Act, der viel directer gegen uns, als gegen die Westmächte gerichtet ist; dann zwingt uns das Gebot der Ehre, zur Sicherung unsres natürlichen Machtgebiets in die erste Linie der Action zu treten, und mit dem ganzen Nachdruck zu handeln, den eine Fvage der Macht verlangt. Die genauere Prüfung der deutschen Interessen hat ferner zu dem nicht minder erheblichen Resultat geführt, daß nun, da die Ereignisse im Orient ein¬ mal eine definitive Regelung der dortigen Verhältnisse nothwendig gemacht haben, die schwebende Frage zu einer bessern Sicherstell.ung der deutschen Interessen benutzt werden müsse, d. h. daß eine einfache Herstellung des Zu¬ standes vor der russischen Invasion nicht mehr als genügend betrachtet werten könne. Diese Ueberzeugung bricht an verschiedenen Stellen 'des interessanten Actenstückes hervor. Die Regierungen erkennen an, daß die Gefahren, die im Kreise ihrer Macht erwachsen sind, einer „nachhaltigen" Abhilfe bedürfen; sie bezeichnen es „als eine Forderung der politischen Stellung Deutschlands, als ein Element seiner erhaltenden Politik und als eine Bedingung der na¬ türlichen Entfaltung seines Nationalreichthums, daß in den Ländern an der untern Donau geordnete und den Interessen des mittlern Europa entsprechende Zustände bestehen"; sie verhehlen es sich nicht, daß die materiellen Interessen Deutschlands in der Richtung der großen Wasserstraße nach dem Osten „des mächtigsten Aufschwungs sähig" sind, und stellen es als „ein allgemein deutsches Anliegen" hin, „die Freiheit des Donauhandcls möglichst gesichert und die naturgemäße Belebung der Verkehrswege nach dem Orient nicht durch Beschränkungen zurückgedrängt zu sehen". Alle diese Bemerkungen enthalten leichtverständliche Anspielungen auf die notorische Unzulänglichkeit des staws quo ante, auf die dem deutschen Interesse wenig entsprechenden Zustände der Donaufürstenthümer unter russischem Protectorat, auf die Hemmnisse, mit denen der Donauhandel zu kämpfen hatte, seitdem die Mündungen des Stromes im Besitz Rußlands waren. Wir sehen hier bereits einzelne Punkte angedeutet, in Betreff deren die deutschen Großmächte eine Verbesserung des 8law8 eine> ano zu Gunsten der deutschen Interessen als noth¬ wendig qnerkennen, und hierin liegt ein neuer Fortschritt in der Auffassung des schwebenden Conflicts. Sobald man sich davon überzeugte, daß deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/436>, abgerufen am 23.07.2024.