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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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bequemern Einschiffungspunkte marschirt, indem es anfangs ihre Bestimmung
war, nebst achttausend Mann Infanterie nach Varna transportirt zu werden.
Das letzte Lager liegt in der Nähe deö Dorfes Kadiköj. Man rechnet, daß
zwischen dieser Ortschaft und Skutari über 15,000 Mann vereinigt sind. Wei¬
tere 8000 Mann Engländer sollen in Gallipoli stehen und neuerdings hat
man die Vermuthung aufgestellt: diese letztem seien für Varna bestimmt, wo¬
gegen die bei Skutari lagernde Masse zum Schutz Konstantinopels zurückbleiben
werde.

Die Sonne war über Mittag hinaus, als ich nach einer kurzen Rast in
einem der Kaffeehäuser des erwähnten Dorfes mich in einem schlanken schnel¬
len Kalk zur Rückfahrt einschiffte. In Pera herrschte große Erregung. Man
wollte wissen: Preußen sei definitiv auf Seite Rußlands getreten. Mit grö߬
ter Spannung sieht jedermann der nächsten Balkanpost entgegen.




Aus Berli n.

Wenn man die dem Bundestage vorgelegte Erklärung Oestreichs und
Preußens mit dem zwischen beiden Staaten abgeschlossenen Vertrage vergleicht,
so sollte man meinen, daß die Ansichten der leitenden Kreise seit dem 20. April,
wenn nicht einen vollständigen Umschwung erlitten, so doch in erstaunlicher Weise
an Klarheit und Festigkeit gewonnen hätten. Aber soweit die preußische Re-,
gierung dabei betheiligt ist, merkt man hier an Ort und Stelle davon nichts;
es ist alles beim Alten geblieben, und der Contrast zwischen den beide'n Acker¬
stücken muß auf gewöhnlichem Wege erklärt werden. Die Neutralitätspolitiker
schauen nach Osten und Westen; in allen wirklich bedeutungsvollen Fragen
wissen sie eine Entscheidung herbeizuführen, die ihren wirklichen Sympathien
entspricht und ihren Wünschen den besten Erfolg sichert; während sie bei unter¬
geordneten Gegenständen auch dem Scheine des Gegentheils einen Platz
gönnen. Die Mittheilung an den Bundestag hat nicht das Verpflichtende
des Vertrags, und man scheint es nicht der Mühe für werth gehalten zu
haben, sie durch zahllose Correcturen, Abschwächungen und Einschiebsel zu ver¬
unstalten; so ist uns ein Actenstück fast ganz aus einem Guß erhalten worden;
nur das drittletzte Alinea trägt einen fremdartigen Stempel und ist etwas-un¬
geschickt in den strenglogischen Gang der Darstellung .eingefügt, wie es auch
hinsichtlich des Ausdrucks mit einigen Nebelflecken behaftet ist. Aber im ganzen
ist die Auseinandersetzung sachlich, klar, in sich zusammenhängend und in


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bequemern Einschiffungspunkte marschirt, indem es anfangs ihre Bestimmung
war, nebst achttausend Mann Infanterie nach Varna transportirt zu werden.
Das letzte Lager liegt in der Nähe deö Dorfes Kadiköj. Man rechnet, daß
zwischen dieser Ortschaft und Skutari über 15,000 Mann vereinigt sind. Wei¬
tere 8000 Mann Engländer sollen in Gallipoli stehen und neuerdings hat
man die Vermuthung aufgestellt: diese letztem seien für Varna bestimmt, wo¬
gegen die bei Skutari lagernde Masse zum Schutz Konstantinopels zurückbleiben
werde.

Die Sonne war über Mittag hinaus, als ich nach einer kurzen Rast in
einem der Kaffeehäuser des erwähnten Dorfes mich in einem schlanken schnel¬
len Kalk zur Rückfahrt einschiffte. In Pera herrschte große Erregung. Man
wollte wissen: Preußen sei definitiv auf Seite Rußlands getreten. Mit grö߬
ter Spannung sieht jedermann der nächsten Balkanpost entgegen.




Aus Berli n.

Wenn man die dem Bundestage vorgelegte Erklärung Oestreichs und
Preußens mit dem zwischen beiden Staaten abgeschlossenen Vertrage vergleicht,
so sollte man meinen, daß die Ansichten der leitenden Kreise seit dem 20. April,
wenn nicht einen vollständigen Umschwung erlitten, so doch in erstaunlicher Weise
an Klarheit und Festigkeit gewonnen hätten. Aber soweit die preußische Re-,
gierung dabei betheiligt ist, merkt man hier an Ort und Stelle davon nichts;
es ist alles beim Alten geblieben, und der Contrast zwischen den beide'n Acker¬
stücken muß auf gewöhnlichem Wege erklärt werden. Die Neutralitätspolitiker
schauen nach Osten und Westen; in allen wirklich bedeutungsvollen Fragen
wissen sie eine Entscheidung herbeizuführen, die ihren wirklichen Sympathien
entspricht und ihren Wünschen den besten Erfolg sichert; während sie bei unter¬
geordneten Gegenständen auch dem Scheine des Gegentheils einen Platz
gönnen. Die Mittheilung an den Bundestag hat nicht das Verpflichtende
des Vertrags, und man scheint es nicht der Mühe für werth gehalten zu
haben, sie durch zahllose Correcturen, Abschwächungen und Einschiebsel zu ver¬
unstalten; so ist uns ein Actenstück fast ganz aus einem Guß erhalten worden;
nur das drittletzte Alinea trägt einen fremdartigen Stempel und ist etwas-un¬
geschickt in den strenglogischen Gang der Darstellung .eingefügt, wie es auch
hinsichtlich des Ausdrucks mit einigen Nebelflecken behaftet ist. Aber im ganzen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/434>, abgerufen am 23.07.2024.