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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Ungeachtet Sie, aus Rücksichten, die in der Natur Ihrer Zeitschrift als
Wochenjournal liegen, in einem besonderen Schreiben an mich erst jüngst jede
Bezugnahme aus -etwaige Stimmungen und Gerüchte in der hiesigen Hauptstadt
ausdrücklich abgelehnt haben, kann ich dennoch nicht umhin, bei der nunmeh¬
rigen Lage der Dinge daraus einzugehen. Die Vorgänge in Preußen sind in
diesem Augenblicke in aller Munde, drücken auf die Stimmung der Diplomatie,
der Handelswelt, der sonstigen Bevölkerung und bestimmen den Curs auf der
Börse. Ich verhehle Ihnen nicht, daß man auf das äußerste durch die
Schwankung der preußischen Politik überrascht worden ist, daß hier wenige
denkende Leute leben, welche sie nicht unbegreiflich und mit den Interessen die¬
ses Staates durchaus unverträglich finden, und daß in der hiesigen deutschen
Kolonie zumal die Meinung nicht eben verborgen wird: es sei nunmehr die
Stunde gekommen, welche keinen Zweifel mehr darüber, lasse, an welche Gro߬
macht unter den beiden vaterländischen man sich zu halten habe.

Der Stern Oestreichs ist hier im Aufsteigen begriffen, indeß der preußische
mehr und mehr -- nicht ohne Schmerz schreibe ich es nieder. In Deutschland
selbst wird es.kaum anders stehen. Der hiesige Vertreter Friedrich Wilhelms IV.
hat, was man immerhin auch von ihm halten mag, eine üble Stellung, aber
er theilt damit das Geschick aller andern preußischen Repräsentanten.

Die sonstigen Nachrichten, die man empfangen, sind nicht tröstlicherer Art.
Von der Donau her wird die Nachricht von dem bei Nustschuck stattgefundenen
Uebergange des russischen Armeegros mehr und mehr bestätigt, und man will zu¬
gleich wissen, daß eine weitere Brücke bei Kalarasch, unterhalb Silistria, über die
Donau geworfen worden sei. Dieselbe würde den Zweck haben, den Transport
des Belagerungstrains vom anderen, linken Ufer her auf das rechte zu ver¬
mitteln, wonach man, nachdem nun längst schon die Ccrnirung des Platzes
vollzogen, einem ernsten Angriffe gegen denselben entgegenzusehen hat. Das
gestern in Pera umlaufende Gerücht, er sei bereits genommen, wird ohne
Zweifel wol in die Kategorie der Fabeln, .deren so viele hier aufgetischt wer¬
den, verwiesen werden können.

Wie Sie wissen ist die Verbindung mit Silistria durch den Vormarsch
eines starken Corps unter Lüders nach allen Seiten hin abgeschnitten. Nur
soviel hat man in Erfahrung gebracht, daß dieser General einen Parlamentär
an den Commandanten Mussa Pascha sendete, und ihn auffordern ließ, Weiber,
Kinder und Greise hinaufzusenden, indem es seine Absicht sei, den Platz zu
stürmen. Man erkennt leicht, daß hiermit nur eine Einschüchterung bezweckt
war. Die Antwort erfolgte im ablehnenden Sinne.



Ungeachtet Sie, aus Rücksichten, die in der Natur Ihrer Zeitschrift als
Wochenjournal liegen, in einem besonderen Schreiben an mich erst jüngst jede
Bezugnahme aus -etwaige Stimmungen und Gerüchte in der hiesigen Hauptstadt
ausdrücklich abgelehnt haben, kann ich dennoch nicht umhin, bei der nunmeh¬
rigen Lage der Dinge daraus einzugehen. Die Vorgänge in Preußen sind in
diesem Augenblicke in aller Munde, drücken auf die Stimmung der Diplomatie,
der Handelswelt, der sonstigen Bevölkerung und bestimmen den Curs auf der
Börse. Ich verhehle Ihnen nicht, daß man auf das äußerste durch die
Schwankung der preußischen Politik überrascht worden ist, daß hier wenige
denkende Leute leben, welche sie nicht unbegreiflich und mit den Interessen die¬
ses Staates durchaus unverträglich finden, und daß in der hiesigen deutschen
Kolonie zumal die Meinung nicht eben verborgen wird: es sei nunmehr die
Stunde gekommen, welche keinen Zweifel mehr darüber, lasse, an welche Gro߬
macht unter den beiden vaterländischen man sich zu halten habe.

Der Stern Oestreichs ist hier im Aufsteigen begriffen, indeß der preußische
mehr und mehr — nicht ohne Schmerz schreibe ich es nieder. In Deutschland
selbst wird es.kaum anders stehen. Der hiesige Vertreter Friedrich Wilhelms IV.
hat, was man immerhin auch von ihm halten mag, eine üble Stellung, aber
er theilt damit das Geschick aller andern preußischen Repräsentanten.

Die sonstigen Nachrichten, die man empfangen, sind nicht tröstlicherer Art.
Von der Donau her wird die Nachricht von dem bei Nustschuck stattgefundenen
Uebergange des russischen Armeegros mehr und mehr bestätigt, und man will zu¬
gleich wissen, daß eine weitere Brücke bei Kalarasch, unterhalb Silistria, über die
Donau geworfen worden sei. Dieselbe würde den Zweck haben, den Transport
des Belagerungstrains vom anderen, linken Ufer her auf das rechte zu ver¬
mitteln, wonach man, nachdem nun längst schon die Ccrnirung des Platzes
vollzogen, einem ernsten Angriffe gegen denselben entgegenzusehen hat. Das
gestern in Pera umlaufende Gerücht, er sei bereits genommen, wird ohne
Zweifel wol in die Kategorie der Fabeln, .deren so viele hier aufgetischt wer¬
den, verwiesen werden können.

Wie Sie wissen ist die Verbindung mit Silistria durch den Vormarsch
eines starken Corps unter Lüders nach allen Seiten hin abgeschnitten. Nur
soviel hat man in Erfahrung gebracht, daß dieser General einen Parlamentär
an den Commandanten Mussa Pascha sendete, und ihn auffordern ließ, Weiber,
Kinder und Greise hinaufzusenden, indem es seine Absicht sei, den Platz zu
stürmen. Man erkennt leicht, daß hiermit nur eine Einschüchterung bezweckt
war. Die Antwort erfolgte im ablehnenden Sinne.


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[0428] Ungeachtet Sie, aus Rücksichten, die in der Natur Ihrer Zeitschrift als Wochenjournal liegen, in einem besonderen Schreiben an mich erst jüngst jede Bezugnahme aus -etwaige Stimmungen und Gerüchte in der hiesigen Hauptstadt ausdrücklich abgelehnt haben, kann ich dennoch nicht umhin, bei der nunmeh¬ rigen Lage der Dinge daraus einzugehen. Die Vorgänge in Preußen sind in diesem Augenblicke in aller Munde, drücken auf die Stimmung der Diplomatie, der Handelswelt, der sonstigen Bevölkerung und bestimmen den Curs auf der Börse. Ich verhehle Ihnen nicht, daß man auf das äußerste durch die Schwankung der preußischen Politik überrascht worden ist, daß hier wenige denkende Leute leben, welche sie nicht unbegreiflich und mit den Interessen die¬ ses Staates durchaus unverträglich finden, und daß in der hiesigen deutschen Kolonie zumal die Meinung nicht eben verborgen wird: es sei nunmehr die Stunde gekommen, welche keinen Zweifel mehr darüber, lasse, an welche Gro߬ macht unter den beiden vaterländischen man sich zu halten habe. Der Stern Oestreichs ist hier im Aufsteigen begriffen, indeß der preußische mehr und mehr — nicht ohne Schmerz schreibe ich es nieder. In Deutschland selbst wird es.kaum anders stehen. Der hiesige Vertreter Friedrich Wilhelms IV. hat, was man immerhin auch von ihm halten mag, eine üble Stellung, aber er theilt damit das Geschick aller andern preußischen Repräsentanten. Die sonstigen Nachrichten, die man empfangen, sind nicht tröstlicherer Art. Von der Donau her wird die Nachricht von dem bei Nustschuck stattgefundenen Uebergange des russischen Armeegros mehr und mehr bestätigt, und man will zu¬ gleich wissen, daß eine weitere Brücke bei Kalarasch, unterhalb Silistria, über die Donau geworfen worden sei. Dieselbe würde den Zweck haben, den Transport des Belagerungstrains vom anderen, linken Ufer her auf das rechte zu ver¬ mitteln, wonach man, nachdem nun längst schon die Ccrnirung des Platzes vollzogen, einem ernsten Angriffe gegen denselben entgegenzusehen hat. Das gestern in Pera umlaufende Gerücht, er sei bereits genommen, wird ohne Zweifel wol in die Kategorie der Fabeln, .deren so viele hier aufgetischt wer¬ den, verwiesen werden können. Wie Sie wissen ist die Verbindung mit Silistria durch den Vormarsch eines starken Corps unter Lüders nach allen Seiten hin abgeschnitten. Nur soviel hat man in Erfahrung gebracht, daß dieser General einen Parlamentär an den Commandanten Mussa Pascha sendete, und ihn auffordern ließ, Weiber, Kinder und Greise hinaufzusenden, indem es seine Absicht sei, den Platz zu stürmen. Man erkennt leicht, daß hiermit nur eine Einschüchterung bezweckt war. Die Antwort erfolgte im ablehnenden Sinne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/427>, abgerufen am 03.07.2024.