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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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mehr noch: diese hätten in Silistria einen festen Punkt gewonnen, welcher sie
aller Arbeiten zu ihrer weitern Besetzung enthöbe. Höchstens einiger Schanzen
würde es bedürfen, um die Festung zu einem Brückenkopf sür den Passagepunkt
Kalarasch umzuschaffen. Der russischen Armee wäre mithin nach vollzogener
Besitznahme die Hand zu jeder Action vollkommen frei.. .

Es ist möglich, daß sie sich schon jetzt in dieser äußerst günstigen Situation
befindet. Was nunmehr zur Frage wird, ist dies: wie sie von da ab agiren
wird. Der gesunde Menschenverstand, sollte ich meinen, müßte sie gegen die
Seeküste weisen, und ihr zur Aufgabe stellen, Varna, und nächstdem alle
Küstenpunkte, aus denen gelandet werden kann, bis Cap Emin6 in Besitz zu
nehmen, wodurch den Brüten und Franzosen die Möglichkeit einer seewärtigen
Flankenoperation entzogen würde.

"Und Omer Pascha?" -- fragt man. Es ist dies eben der Kern der
Frage und über welchen der Stromübergang bei Rustschuck reichliche Auskunft
gibt. Omer Pascha wird in Schumla festgebannt sein, wenn 60,000--80,000
Mann Russen über Rasgrad her (Straße von Rustschuck) ihm nahen. Zugleich
ist er von seinen Streitkräften in Widdin und Kalasat getrennt, und auf eine
bewegungslose, abwartende Defensive verwiesen.

Mit andern Worten heißt das: die von der Dobrudscha her und über
Rustschuck (diese Festung ist keineswegs genommen) operirenden feindlichen
Massen haben durchaus gesonderte Bestimmungen. Die erstere unter General
Lüders wird zunächst Silistria nehmen, von welchem Platze aus eine Operation
in der Flanke der gegen Varna vorgehenden Kräfte möglich ist, und sodann
die Wegnahme dieser Seefestung und die Occupation der Küste sich zum Ziel
setzen. Das erheischt Eile, und man wird eben um deswillen sich nicht auf
eine lange, Menschenleben schonende Belagerung mit Tranchven und.Parallelen
einlassen, mithin Silistria und letztlich Varna stürmen.

Um die Armee in Schumla zu hindern, sich dieser Operation zu wider¬
setzen, läßt man 60,000--80,000 Mann bei Rustschuck über die Donau gehen.
Der Punkt ist gut ausgewählt und hat den Vortheil, die Festung Giurgewo
als Depot in unmittelbarer Nähe zu haben.

"Und die englisch-französischen Truppen?" Wenn sie mit Energie geleitet
würden, möchte es immer noch nicht zu spät sein, einen großen Gegenschlag
zu fuhren. Dieser würde in der beschleunigten Ueberführung der ganzen in
Stambul und Gallipoli disponiblen Streitmacht nach Varna und in der
Besetzung dieses Platzes, so wie des Ihnen bekannten wichtigen Punktes
von Prawadi bestehen. Leider hat man keine Hoffnung, daß eine so großartige
Maßregel ergriffen werden wird. Man will sich auf 8000 Mann beschränken,
die allerdings hinreichen dürsten, um Varna zu behaupten, die .indeß für
jede anderweitige Operation unzureichend sind.


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mehr noch: diese hätten in Silistria einen festen Punkt gewonnen, welcher sie
aller Arbeiten zu ihrer weitern Besetzung enthöbe. Höchstens einiger Schanzen
würde es bedürfen, um die Festung zu einem Brückenkopf sür den Passagepunkt
Kalarasch umzuschaffen. Der russischen Armee wäre mithin nach vollzogener
Besitznahme die Hand zu jeder Action vollkommen frei.. .

Es ist möglich, daß sie sich schon jetzt in dieser äußerst günstigen Situation
befindet. Was nunmehr zur Frage wird, ist dies: wie sie von da ab agiren
wird. Der gesunde Menschenverstand, sollte ich meinen, müßte sie gegen die
Seeküste weisen, und ihr zur Aufgabe stellen, Varna, und nächstdem alle
Küstenpunkte, aus denen gelandet werden kann, bis Cap Emin6 in Besitz zu
nehmen, wodurch den Brüten und Franzosen die Möglichkeit einer seewärtigen
Flankenoperation entzogen würde.

„Und Omer Pascha?" — fragt man. Es ist dies eben der Kern der
Frage und über welchen der Stromübergang bei Rustschuck reichliche Auskunft
gibt. Omer Pascha wird in Schumla festgebannt sein, wenn 60,000—80,000
Mann Russen über Rasgrad her (Straße von Rustschuck) ihm nahen. Zugleich
ist er von seinen Streitkräften in Widdin und Kalasat getrennt, und auf eine
bewegungslose, abwartende Defensive verwiesen.

Mit andern Worten heißt das: die von der Dobrudscha her und über
Rustschuck (diese Festung ist keineswegs genommen) operirenden feindlichen
Massen haben durchaus gesonderte Bestimmungen. Die erstere unter General
Lüders wird zunächst Silistria nehmen, von welchem Platze aus eine Operation
in der Flanke der gegen Varna vorgehenden Kräfte möglich ist, und sodann
die Wegnahme dieser Seefestung und die Occupation der Küste sich zum Ziel
setzen. Das erheischt Eile, und man wird eben um deswillen sich nicht auf
eine lange, Menschenleben schonende Belagerung mit Tranchven und.Parallelen
einlassen, mithin Silistria und letztlich Varna stürmen.

Um die Armee in Schumla zu hindern, sich dieser Operation zu wider¬
setzen, läßt man 60,000—80,000 Mann bei Rustschuck über die Donau gehen.
Der Punkt ist gut ausgewählt und hat den Vortheil, die Festung Giurgewo
als Depot in unmittelbarer Nähe zu haben.

„Und die englisch-französischen Truppen?" Wenn sie mit Energie geleitet
würden, möchte es immer noch nicht zu spät sein, einen großen Gegenschlag
zu fuhren. Dieser würde in der beschleunigten Ueberführung der ganzen in
Stambul und Gallipoli disponiblen Streitmacht nach Varna und in der
Besetzung dieses Platzes, so wie des Ihnen bekannten wichtigen Punktes
von Prawadi bestehen. Leider hat man keine Hoffnung, daß eine so großartige
Maßregel ergriffen werden wird. Man will sich auf 8000 Mann beschränken,
die allerdings hinreichen dürsten, um Varna zu behaupten, die .indeß für
jede anderweitige Operation unzureichend sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/426>, abgerufen am 01.10.2024.