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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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wie auf Londoner Platze hinzurechnet, so kann man sich ein Bild von der unerquick¬
lichen Situation machen, in der wir uns befinden.

Es wird gewiß besser werden, sowie die That an die Reihe kommt, nach langer
Herrschaft der Diplomatie, aber vorerst hat noch niemand eine rechte Anschauung von
dem, was da kommen wird.. Das gegenwärtige Regime hat zu lange schon aus uner¬
wartete und ungchosste Phasen gefaßt gemacht, als daß diesmal die Gedanken
aus die unwahrscheinlichsten Eventualitäten absolut zurückgewiesen werden könnten.

Daß die Negierung noch Zeit findet, neben der europäischen Angelegenheit an die
Zukunft unserer unschädlichen Presse zu denken, ist ebenfalls nicht geeignet, große Be¬
ruhigung zu erwecken, und der Act gegen Montalembert, zu dem die Kammer in die¬
sem Augenblick von der Regierung gedrängt wird, läßt errathen, was ihr später noch
zugemuthet werden könnte. Montalembert, dieser Jesuit im kurzen Rocke, gehört nicht
zu unsern Sympathien, er hat außer seinem Redner- und Jntriguentale.nee wenig vor
dem platten Dupin voraus, aber diese Verfolgung eines vom allgemeinen Stimmrechte
Erwählten wegen eines Privatschreibens, dessen Veröffentlichung ihm denn doch nicht
nachgewiesen werden kann, ist eine Anomalie selbst unter unsern anomalen Zuständen.
In den Massen interessirt man sich nicht dafür, was in der Kammer vorgeht, hat also
auch kein Urtheil darüber, aber in den gebildeten Kreisen hält man dafür, die Kammer
werde trotz des Berichtes ihrer Commission ihren Kollegen fallen lassen.

Die Vorbereitungen zum Kriege wie zur allmäligen Absendung unserer Truppen
werden fortgesetzt. Marschall Se. Arnaud und der Prinz Napoleon werden Paris
schon in den ersten Tagen des nächsten Monats verlassen. Letzterer hat gestern ein
Abschiedsd.cjcuncr gegeben, das unter seinem Kricgszclte gedeckt war. Es waren wieder
meist als liberale Männer Bekannte, die an diesem Mahle theilnahmen. In den Tui-
lerien war eine feierliche Ceremonie, die Hochzeit des jungen Murat mit Fräulein Wa¬
gram. Man erzählt sich hier, daß der Bischof von Nancy bei dieser Gelegenheit von
den Rechtsansprüchen des Bräutigams aus den Thron von Neapel Erwähnung gethan.
Ich glaube Ihnen versichern zu dürfen, daß dieses Gerücht jeden Grundes entbehre.
Es ist aber bezeichnend für die Geschäftigkeit der Pariser Fama, die keinen Anlaß vor¬
beigehen läßt, ihren Witz und Scharfsinn an den Tag zu legen.

Eine andere Anekdote, die nicht minder interessant ist und für deren Genauigkeit
ich Ihnen bürgen zu dürfen glaube, ist folgende. Der Kaiser hatte jüngst, umgeben
von seinem Generalstabe, im Tuileriengarten gelustwandelt, als ein Invalide aus ihn
losging, und ein Zeichen machte, daß er den Kaiser anzureden wünschte. Dieser blieb
stehen und ermunterte den Veteranen. Sir, sagte dieser: Ich bin erst sechzig Jahre
alt -- und noch rüstig -- ich habe den Feldzug in Rußland mitgemacht und könnte
noch im Orient Dienste leisten. Als dieser Antrag beifällig aufgenommen zu werden
schien, fuhr unser geschwätziger Alte wieder fort: Ja, Sire, ich bitte mir diese Gnade
aus, ich habe unter Napoleon dem Großen gedient und möchte ebenso gern unter Na¬
poleon dem Kleinen dienen.

Unsere Theater bieten wenig Bedeutendes. Ein gelungener, besonders durch seine
Dctailausführnng interessanter Act von Madame Girardin I,a jaie l'net i>cur und Oc-
tave Fcuillcts I.a Ol^e im Gymnasc haben das Glück, in der Mode zu sein. Letzte¬
res ist ein bereits seit lange gedrucktes Proverbe, das Bauernseld unter dem Titel "Die


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wie auf Londoner Platze hinzurechnet, so kann man sich ein Bild von der unerquick¬
lichen Situation machen, in der wir uns befinden.

Es wird gewiß besser werden, sowie die That an die Reihe kommt, nach langer
Herrschaft der Diplomatie, aber vorerst hat noch niemand eine rechte Anschauung von
dem, was da kommen wird.. Das gegenwärtige Regime hat zu lange schon aus uner¬
wartete und ungchosste Phasen gefaßt gemacht, als daß diesmal die Gedanken
aus die unwahrscheinlichsten Eventualitäten absolut zurückgewiesen werden könnten.

Daß die Negierung noch Zeit findet, neben der europäischen Angelegenheit an die
Zukunft unserer unschädlichen Presse zu denken, ist ebenfalls nicht geeignet, große Be¬
ruhigung zu erwecken, und der Act gegen Montalembert, zu dem die Kammer in die¬
sem Augenblick von der Regierung gedrängt wird, läßt errathen, was ihr später noch
zugemuthet werden könnte. Montalembert, dieser Jesuit im kurzen Rocke, gehört nicht
zu unsern Sympathien, er hat außer seinem Redner- und Jntriguentale.nee wenig vor
dem platten Dupin voraus, aber diese Verfolgung eines vom allgemeinen Stimmrechte
Erwählten wegen eines Privatschreibens, dessen Veröffentlichung ihm denn doch nicht
nachgewiesen werden kann, ist eine Anomalie selbst unter unsern anomalen Zuständen.
In den Massen interessirt man sich nicht dafür, was in der Kammer vorgeht, hat also
auch kein Urtheil darüber, aber in den gebildeten Kreisen hält man dafür, die Kammer
werde trotz des Berichtes ihrer Commission ihren Kollegen fallen lassen.

Die Vorbereitungen zum Kriege wie zur allmäligen Absendung unserer Truppen
werden fortgesetzt. Marschall Se. Arnaud und der Prinz Napoleon werden Paris
schon in den ersten Tagen des nächsten Monats verlassen. Letzterer hat gestern ein
Abschiedsd.cjcuncr gegeben, das unter seinem Kricgszclte gedeckt war. Es waren wieder
meist als liberale Männer Bekannte, die an diesem Mahle theilnahmen. In den Tui-
lerien war eine feierliche Ceremonie, die Hochzeit des jungen Murat mit Fräulein Wa¬
gram. Man erzählt sich hier, daß der Bischof von Nancy bei dieser Gelegenheit von
den Rechtsansprüchen des Bräutigams aus den Thron von Neapel Erwähnung gethan.
Ich glaube Ihnen versichern zu dürfen, daß dieses Gerücht jeden Grundes entbehre.
Es ist aber bezeichnend für die Geschäftigkeit der Pariser Fama, die keinen Anlaß vor¬
beigehen läßt, ihren Witz und Scharfsinn an den Tag zu legen.

Eine andere Anekdote, die nicht minder interessant ist und für deren Genauigkeit
ich Ihnen bürgen zu dürfen glaube, ist folgende. Der Kaiser hatte jüngst, umgeben
von seinem Generalstabe, im Tuileriengarten gelustwandelt, als ein Invalide aus ihn
losging, und ein Zeichen machte, daß er den Kaiser anzureden wünschte. Dieser blieb
stehen und ermunterte den Veteranen. Sir, sagte dieser: Ich bin erst sechzig Jahre
alt — und noch rüstig — ich habe den Feldzug in Rußland mitgemacht und könnte
noch im Orient Dienste leisten. Als dieser Antrag beifällig aufgenommen zu werden
schien, fuhr unser geschwätziger Alte wieder fort: Ja, Sire, ich bitte mir diese Gnade
aus, ich habe unter Napoleon dem Großen gedient und möchte ebenso gern unter Na¬
poleon dem Kleinen dienen.

Unsere Theater bieten wenig Bedeutendes. Ein gelungener, besonders durch seine
Dctailausführnng interessanter Act von Madame Girardin I,a jaie l'net i>cur und Oc-
tave Fcuillcts I.a Ol^e im Gymnasc haben das Glück, in der Mode zu sein. Letzte¬
res ist ein bereits seit lange gedrucktes Proverbe, das Bauernseld unter dem Titel „Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/42>, abgerufen am 22.12.2024.