Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.unter Jubel und Gesang, mit dem befriedigenden Bewußtsein der gelungenen Aber noch waren die Festkränze nicht verwelkt, noch summten die Köpfe . Zunächst wurde die Fortschrittspartei durch die Folgen des Pillauer Festes unter Jubel und Gesang, mit dem befriedigenden Bewußtsein der gelungenen Aber noch waren die Festkränze nicht verwelkt, noch summten die Köpfe . Zunächst wurde die Fortschrittspartei durch die Folgen des Pillauer Festes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98198"/> <p xml:id="ID_1286" prev="#ID_1285"> unter Jubel und Gesang, mit dem befriedigenden Bewußtsein der gelungenen<lb/> „That". Man hatte „Geschichte gemacht". — ,</p><lb/> <p xml:id="ID_1287"> Aber noch waren die Festkränze nicht verwelkt, noch summten die Köpfe<lb/> von den Toasten, Liedern und Reden, da erhob sich ein Sturm aus den untern<lb/> Schichten des „Volkes", für das man geredet, Bravo gerufen,.geschwärmt und<lb/> getrunken. Unheimliche Gerüchte raunte man sich in die Ohren. Schon 18ii<lb/> hatte der alte Riesen seinen Dampfer „Delphin" in eine Höllenmaschine ver¬<lb/> wandelt, um Se. Maj, nebst Gefolge in die Luft zu sprengen. In Pillau<lb/> war die Absetzung des Königs beschlossen. Riesen war zum Vicekönig von<lb/> Elbiug bestimmt, und dann — wehe den Patrioten! So die redlichen Freunde<lb/> des süßen Pöbels. Und der Erfolg zeigte, daß sie ihn richtig beurtheilt. Gleich<lb/> nach dem Feste warf i>er Janhagel dem „Elbinger Vicekönig" die Fenster ein, die<lb/> Bürgerversammlung ging unter tumultuarischen Scenen auf Nimmerwiedersehn<lb/> auseinander, und von Stund an standen in Elbing zwei Parteien sich gegen¬<lb/> über, zornerfüllt und kampfesmuthig. Unsre Ressourcen und Trinkstuben ver¬<lb/> wandelten sich in Partciquartiere, unsre Feste in Demonstrationen, unsre Com-<lb/> munalwcchlen in amerikanische Wahlschlachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> . Zunächst wurde die Fortschrittspartei durch die Folgen des Pillauer Festes<lb/> nicht entmuthigt. Ein geschlossener Club, die „Mittwochsgesellschaft" in Riesenö<lb/> Kaffeehaus „zum deutschen Michel" (das Giebelfeld zeigte aus schwarz-roth¬<lb/> goldenem Grunde einen langhaarigen Kops mit phrygi scher Mütze!), unter<lb/> der Aegide des originellsten und liebenswürdigsten aller Kaffeewirthe, trat an<lb/> die Stelle der öffentlichen Bürgerversammlungen. Man hielt dort Vorträge<lb/> über den christlichen Staat und die englische Verfassung, über Mädchenerziehung,<lb/> Naturphilosophie und Aesthetik, man disputirte über Dichter und Schriftsteller,<lb/> über Schulwesen, Abgaben und Pauperismus, man las Zeitungen und sorgte<lb/> für Vorrath an Broschüren und Tagesliteratur jeder Art — alles für das<lb/> europäische Gleichgewicht sehr gleichgiltige, für Elbing aber damals so neue<lb/> als ersprießliche Dinge. — Aehnliche Zwecke aus einem andern Gebiet ver¬<lb/> folgte ein Gesellenverein mit dem erfreulichsten Resultat. Die Theilnehmer,<lb/> anfangs nur etwa 20 an der Zahl, von ihren Zunftgenossen geschmäht, be¬<lb/> droht, verfolgt, ersetzten die hergebrachten Schlägereien und Trinkgelage des<lb/> blauen Montag durch vierstimmigen Gesang, durch Unterhaltung und Anhören<lb/> von Vorträgen historischen, gewerblichen und naturgeschichtlichen Inhalts. An¬<lb/> ständiges Betragen und Nüchternheit wurde durch ein Ehrengericht genau con-<lb/> trolirt, eine allmälig anwachsende Bibliothek gewährte Gelegenheit zur geistigen<lb/> Fortbildung, gesellige Vergnügungen, Spaziergänge und Wasferfahrten im<lb/> Sommer, Bälle im Winter, zogen das schönere, aber nicht schwächere Geschlecht<lb/> ins Interesse und der Sieg des Vereins über die Herbergen war entschieden.<lb/> Schon nach 2 Jahren ward es Ehrensache, ihm anzugehören, und damit war</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
unter Jubel und Gesang, mit dem befriedigenden Bewußtsein der gelungenen
„That". Man hatte „Geschichte gemacht". — ,
Aber noch waren die Festkränze nicht verwelkt, noch summten die Köpfe
von den Toasten, Liedern und Reden, da erhob sich ein Sturm aus den untern
Schichten des „Volkes", für das man geredet, Bravo gerufen,.geschwärmt und
getrunken. Unheimliche Gerüchte raunte man sich in die Ohren. Schon 18ii
hatte der alte Riesen seinen Dampfer „Delphin" in eine Höllenmaschine ver¬
wandelt, um Se. Maj, nebst Gefolge in die Luft zu sprengen. In Pillau
war die Absetzung des Königs beschlossen. Riesen war zum Vicekönig von
Elbiug bestimmt, und dann — wehe den Patrioten! So die redlichen Freunde
des süßen Pöbels. Und der Erfolg zeigte, daß sie ihn richtig beurtheilt. Gleich
nach dem Feste warf i>er Janhagel dem „Elbinger Vicekönig" die Fenster ein, die
Bürgerversammlung ging unter tumultuarischen Scenen auf Nimmerwiedersehn
auseinander, und von Stund an standen in Elbing zwei Parteien sich gegen¬
über, zornerfüllt und kampfesmuthig. Unsre Ressourcen und Trinkstuben ver¬
wandelten sich in Partciquartiere, unsre Feste in Demonstrationen, unsre Com-
munalwcchlen in amerikanische Wahlschlachten.
. Zunächst wurde die Fortschrittspartei durch die Folgen des Pillauer Festes
nicht entmuthigt. Ein geschlossener Club, die „Mittwochsgesellschaft" in Riesenö
Kaffeehaus „zum deutschen Michel" (das Giebelfeld zeigte aus schwarz-roth¬
goldenem Grunde einen langhaarigen Kops mit phrygi scher Mütze!), unter
der Aegide des originellsten und liebenswürdigsten aller Kaffeewirthe, trat an
die Stelle der öffentlichen Bürgerversammlungen. Man hielt dort Vorträge
über den christlichen Staat und die englische Verfassung, über Mädchenerziehung,
Naturphilosophie und Aesthetik, man disputirte über Dichter und Schriftsteller,
über Schulwesen, Abgaben und Pauperismus, man las Zeitungen und sorgte
für Vorrath an Broschüren und Tagesliteratur jeder Art — alles für das
europäische Gleichgewicht sehr gleichgiltige, für Elbing aber damals so neue
als ersprießliche Dinge. — Aehnliche Zwecke aus einem andern Gebiet ver¬
folgte ein Gesellenverein mit dem erfreulichsten Resultat. Die Theilnehmer,
anfangs nur etwa 20 an der Zahl, von ihren Zunftgenossen geschmäht, be¬
droht, verfolgt, ersetzten die hergebrachten Schlägereien und Trinkgelage des
blauen Montag durch vierstimmigen Gesang, durch Unterhaltung und Anhören
von Vorträgen historischen, gewerblichen und naturgeschichtlichen Inhalts. An¬
ständiges Betragen und Nüchternheit wurde durch ein Ehrengericht genau con-
trolirt, eine allmälig anwachsende Bibliothek gewährte Gelegenheit zur geistigen
Fortbildung, gesellige Vergnügungen, Spaziergänge und Wasferfahrten im
Sommer, Bälle im Winter, zogen das schönere, aber nicht schwächere Geschlecht
ins Interesse und der Sieg des Vereins über die Herbergen war entschieden.
Schon nach 2 Jahren ward es Ehrensache, ihm anzugehören, und damit war
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