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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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und Reden hat uns lange genug zur Zielscheibe des Witzes unsrer aufgeklärter"
Nachbarn am Pregel gemacht. Auch an mehr oder weniger gelungenen Stil¬
übungen über das Ministerium Eichhorns über Constitutionalismus und So¬
cialismus, über Polen, Juden und Franzosen u. tgi. zeitgemäße Themen hat
es in Elbings sogenannten "demokratischen Versammlungen" nicht gefehlt.
Fast immer jedoch gab man dergleichen Herzensergießungen als das, was sie
waren, und der Schwerpunkt der Bewegung ruhte unverrückt in der praktischen,
und freilich sehr energischen und sehr gut organisirten Verfolgung localer Fort¬
schrittspläne. Man controlirte die Stadtverordneten, man wirkte aus die Wah¬
len , erweckte in weiten Kreisen Theilnahme an der städtischen Verwaltung --
und für die jüngern Männer gewährte das rasch aufblühende Turnwesen einen
erwünschten Vereinigungspunkt. Natürlich fiel es niemandem ein, die roman¬
tische Maskerade der Jahnschen Zeit neu in Scene zu setzen. Die Turner
redeten ihr richtiges Elbinger-Deutsch, wie andere Söhne der Flunder- und
Neunaugen verzehrenden Menschen, Friseur und Schneider wurden in keiner
Weise beeinträchtigt, auch directes Politisiren wurde auf dem Turnplatze gänz¬
lich gemieden. Aber fröhliche und hoch-patriotische Lieder wurden allerdings
aus voller Brust gesungen, ein frischer, kameradschaftlicher Ton ließ manche
conventionelle Schranke an den Turnabenden vergessen, und wenn meilenweite
Turnsahrten durch die prächtigen Buchenwälder der Umgegend und fröhliches
Wettturnen mit den Zunftgenossen der Nachbarstädte das kühle altpreußische
Blut einmal in Wallung brachten, so mochte immerhin in mancher Brust die
Ahnung sich regen, daß der Rechnungsabschluß eines Menschen- und Bür¬
gerlebens in Thlr. Sgr. Pf. nicht aufgehen .dürfe und daß das Turnen auch
wol mehr sein könne, als ein Mittel gegen Schlaflosigkeit und Hämorrhoiden.
Auch wurde wol in Trinksprüchen und Reden der damaligen "Männer des
Volkes" in Liebe gedacht. Aber alles das hatte nichts Systematisches, nichts
Gesuchtes. Man ließ die^ Dinge eben gehen, wie sie von, selbst sich mach¬
ten, und erwartete das Beste von der Zeit und von dem heranwachsenden
Geschlecht.

Das waren die Flitterwochen unsres Liberalismus. Ihren Höhepunkt er¬
reichten sie in dem vielbesprochenen Pillauer Fest, im Juni Von Kö¬
nigsberg, Elbing, Braunsberg, führten lustig beflaggte Dampfer und Segel¬
schiffe an ein paar tausend Turner und Nichtturner mach Pillau, ans Ufer
der Ostsee. Der ungewohnte Anblick einer großen Versammlung im Freien
steigerte die Feststimmung zum Enthusiasmus, die frische Seeluft, der echt
nordische Eiser, mit dem man ihren Mahnungen an Kehle und Magen ge¬
horchte, thaten das Ihre. Man fühlte sich einig, unüberwindlich, der selige
Glaube an die Allmacht der "öffentlichen Meinung" that Wunder, die Begei¬
sterung der Redner entzündete sich an dem Beifall det Hörer, man zog heim


Grenzboten. II. 1864- 52

und Reden hat uns lange genug zur Zielscheibe des Witzes unsrer aufgeklärter»
Nachbarn am Pregel gemacht. Auch an mehr oder weniger gelungenen Stil¬
übungen über das Ministerium Eichhorns über Constitutionalismus und So¬
cialismus, über Polen, Juden und Franzosen u. tgi. zeitgemäße Themen hat
es in Elbings sogenannten „demokratischen Versammlungen" nicht gefehlt.
Fast immer jedoch gab man dergleichen Herzensergießungen als das, was sie
waren, und der Schwerpunkt der Bewegung ruhte unverrückt in der praktischen,
und freilich sehr energischen und sehr gut organisirten Verfolgung localer Fort¬
schrittspläne. Man controlirte die Stadtverordneten, man wirkte aus die Wah¬
len , erweckte in weiten Kreisen Theilnahme an der städtischen Verwaltung —
und für die jüngern Männer gewährte das rasch aufblühende Turnwesen einen
erwünschten Vereinigungspunkt. Natürlich fiel es niemandem ein, die roman¬
tische Maskerade der Jahnschen Zeit neu in Scene zu setzen. Die Turner
redeten ihr richtiges Elbinger-Deutsch, wie andere Söhne der Flunder- und
Neunaugen verzehrenden Menschen, Friseur und Schneider wurden in keiner
Weise beeinträchtigt, auch directes Politisiren wurde auf dem Turnplatze gänz¬
lich gemieden. Aber fröhliche und hoch-patriotische Lieder wurden allerdings
aus voller Brust gesungen, ein frischer, kameradschaftlicher Ton ließ manche
conventionelle Schranke an den Turnabenden vergessen, und wenn meilenweite
Turnsahrten durch die prächtigen Buchenwälder der Umgegend und fröhliches
Wettturnen mit den Zunftgenossen der Nachbarstädte das kühle altpreußische
Blut einmal in Wallung brachten, so mochte immerhin in mancher Brust die
Ahnung sich regen, daß der Rechnungsabschluß eines Menschen- und Bür¬
gerlebens in Thlr. Sgr. Pf. nicht aufgehen .dürfe und daß das Turnen auch
wol mehr sein könne, als ein Mittel gegen Schlaflosigkeit und Hämorrhoiden.
Auch wurde wol in Trinksprüchen und Reden der damaligen „Männer des
Volkes" in Liebe gedacht. Aber alles das hatte nichts Systematisches, nichts
Gesuchtes. Man ließ die^ Dinge eben gehen, wie sie von, selbst sich mach¬
ten, und erwartete das Beste von der Zeit und von dem heranwachsenden
Geschlecht.

Das waren die Flitterwochen unsres Liberalismus. Ihren Höhepunkt er¬
reichten sie in dem vielbesprochenen Pillauer Fest, im Juni Von Kö¬
nigsberg, Elbing, Braunsberg, führten lustig beflaggte Dampfer und Segel¬
schiffe an ein paar tausend Turner und Nichtturner mach Pillau, ans Ufer
der Ostsee. Der ungewohnte Anblick einer großen Versammlung im Freien
steigerte die Feststimmung zum Enthusiasmus, die frische Seeluft, der echt
nordische Eiser, mit dem man ihren Mahnungen an Kehle und Magen ge¬
horchte, thaten das Ihre. Man fühlte sich einig, unüberwindlich, der selige
Glaube an die Allmacht der „öffentlichen Meinung" that Wunder, die Begei¬
sterung der Redner entzündete sich an dem Beifall det Hörer, man zog heim


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/416>, abgerufen am 23.07.2024.