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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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schwornengerichte, über deutsche Einheit, Nationallehre und Russenhaß, das
seine Kränze auf den Altar der zehnten Muse niederlegte, den der konstitutio¬
nellen Poesie. Der Mittelstand, die Masse der Handwerker und kleinen Ge¬
schäftsleute ließ das Treiben an sich vorübergehen, wie eine recht hübsche
bunte Maskerade, ohne an dem Sinn der volltönenden Reden, der prächtigen
Lieder und Trinksprüche sich sonderlich den Kopf zu zerbrechen, und die eigent¬
liche Volksmasse verhielt sich gleichgiltig, wenn nicht gradezu feindlich. Das
Jahr 1848 hat an diesen Verhältnissen nichts geändert. Die Gleichgiltigkeit
des politistrenden Publicums gegen alle localen und unmittelbar praktischen
Fragen blieb die alte. Man debattirte über die "republikanische oder kaiserliche
Spitze", über Bundesstaat oder Staatenbund, man ertheilte bereitwillig seinen
Rath an die preußische und deutsche Nationalversammlung, an Minister, Feld¬
herrn und Generale und zuckte mitleidig die Achseln über den beschränkten Pro-
vinzialverstand derer, die in so großer Zeit an locale, städtische Reformen mahn¬
ten. Der schroffe Uebergang Königsbergs von der Chorführerin des liberalen
Deutschlands bis zur devotesten und bußfertigsten unter den vielen devoter
Städten der Monarchie, hatte deshalb für Kenner dortiger Zustände wenig
Auffallendes. Es war nur nöthig, durch eine rücksichtslose Preß- und Ver-
sammlungs-Polizei und namentlich durch nachsichtslose Verfolgung freisinniger
Beamten die Literaten und was an ihnen hing zum Schweigen zu bringen --
und der Materialismus der Massen fügte sich in altherkömmlicher Naivetät
"der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hatte". Zwischen den Volksversammlungen
in Böttchershöschen und dem officiellen Festjubel der Augusttage 1833 liegt
keine so weite Kluft, als man glauben sollte. --

Dagegen hatte die Bewegung in Elbing von vornherein einen vorwiegend
praktischen, localen Charakter. Möglichste Selbstregierung innerhalb der Landes-'
gesetze, Förderung der städtischen Interessen nach allen Seiten, Hebung der
Volksbildung durch Schulen, Vereine, Lesezirkel, Vorträge -- das war das
Programm der Elbinger Fortschrittspartei. Man ging durchweg von der Ueber¬
zeugung aus, daß intelligente, unabhängige, wohlhabende Gemeinden leichter ein
konstitutionelles Staatsleben schaffen, event, entbehren können, als das letztere sie,
und man begann die Arbeit eben da, wo man die Möglichkeit des Erfolges
sah. Ganz ohne politischen Humbug gings freilich auch in Elbing nicht ab.
Es war ergötzlich genug anzuhören, als die Bürgerversammlung im "deutschen
Michel" feierlichst abstimmte, ob man den Holsteinern "mit Gut und Blut"
oder "mit Gut oder Blut" sich verpflichten solle. Die Stentorstimme Dowiats,
des schwarzlockigen deutsch-katholischen Adonis wußte ein paar Mal auch unter
unsern Liberalen eine Art Widerhall des Jubels zu wecken, der von seinen
Triumphzügen am Rhein zu uns hcrübergetöyt war -- und die Elbinger
Feier des Februarpatentö von I8i7, mit Straßenauszug, Stocklaternen, Musik


schwornengerichte, über deutsche Einheit, Nationallehre und Russenhaß, das
seine Kränze auf den Altar der zehnten Muse niederlegte, den der konstitutio¬
nellen Poesie. Der Mittelstand, die Masse der Handwerker und kleinen Ge¬
schäftsleute ließ das Treiben an sich vorübergehen, wie eine recht hübsche
bunte Maskerade, ohne an dem Sinn der volltönenden Reden, der prächtigen
Lieder und Trinksprüche sich sonderlich den Kopf zu zerbrechen, und die eigent¬
liche Volksmasse verhielt sich gleichgiltig, wenn nicht gradezu feindlich. Das
Jahr 1848 hat an diesen Verhältnissen nichts geändert. Die Gleichgiltigkeit
des politistrenden Publicums gegen alle localen und unmittelbar praktischen
Fragen blieb die alte. Man debattirte über die „republikanische oder kaiserliche
Spitze", über Bundesstaat oder Staatenbund, man ertheilte bereitwillig seinen
Rath an die preußische und deutsche Nationalversammlung, an Minister, Feld¬
herrn und Generale und zuckte mitleidig die Achseln über den beschränkten Pro-
vinzialverstand derer, die in so großer Zeit an locale, städtische Reformen mahn¬
ten. Der schroffe Uebergang Königsbergs von der Chorführerin des liberalen
Deutschlands bis zur devotesten und bußfertigsten unter den vielen devoter
Städten der Monarchie, hatte deshalb für Kenner dortiger Zustände wenig
Auffallendes. Es war nur nöthig, durch eine rücksichtslose Preß- und Ver-
sammlungs-Polizei und namentlich durch nachsichtslose Verfolgung freisinniger
Beamten die Literaten und was an ihnen hing zum Schweigen zu bringen —
und der Materialismus der Massen fügte sich in altherkömmlicher Naivetät
„der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hatte". Zwischen den Volksversammlungen
in Böttchershöschen und dem officiellen Festjubel der Augusttage 1833 liegt
keine so weite Kluft, als man glauben sollte. —

Dagegen hatte die Bewegung in Elbing von vornherein einen vorwiegend
praktischen, localen Charakter. Möglichste Selbstregierung innerhalb der Landes-'
gesetze, Förderung der städtischen Interessen nach allen Seiten, Hebung der
Volksbildung durch Schulen, Vereine, Lesezirkel, Vorträge — das war das
Programm der Elbinger Fortschrittspartei. Man ging durchweg von der Ueber¬
zeugung aus, daß intelligente, unabhängige, wohlhabende Gemeinden leichter ein
konstitutionelles Staatsleben schaffen, event, entbehren können, als das letztere sie,
und man begann die Arbeit eben da, wo man die Möglichkeit des Erfolges
sah. Ganz ohne politischen Humbug gings freilich auch in Elbing nicht ab.
Es war ergötzlich genug anzuhören, als die Bürgerversammlung im „deutschen
Michel" feierlichst abstimmte, ob man den Holsteinern „mit Gut und Blut"
oder „mit Gut oder Blut" sich verpflichten solle. Die Stentorstimme Dowiats,
des schwarzlockigen deutsch-katholischen Adonis wußte ein paar Mal auch unter
unsern Liberalen eine Art Widerhall des Jubels zu wecken, der von seinen
Triumphzügen am Rhein zu uns hcrübergetöyt war — und die Elbinger
Feier des Februarpatentö von I8i7, mit Straßenauszug, Stocklaternen, Musik


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[0416] schwornengerichte, über deutsche Einheit, Nationallehre und Russenhaß, das seine Kränze auf den Altar der zehnten Muse niederlegte, den der konstitutio¬ nellen Poesie. Der Mittelstand, die Masse der Handwerker und kleinen Ge¬ schäftsleute ließ das Treiben an sich vorübergehen, wie eine recht hübsche bunte Maskerade, ohne an dem Sinn der volltönenden Reden, der prächtigen Lieder und Trinksprüche sich sonderlich den Kopf zu zerbrechen, und die eigent¬ liche Volksmasse verhielt sich gleichgiltig, wenn nicht gradezu feindlich. Das Jahr 1848 hat an diesen Verhältnissen nichts geändert. Die Gleichgiltigkeit des politistrenden Publicums gegen alle localen und unmittelbar praktischen Fragen blieb die alte. Man debattirte über die „republikanische oder kaiserliche Spitze", über Bundesstaat oder Staatenbund, man ertheilte bereitwillig seinen Rath an die preußische und deutsche Nationalversammlung, an Minister, Feld¬ herrn und Generale und zuckte mitleidig die Achseln über den beschränkten Pro- vinzialverstand derer, die in so großer Zeit an locale, städtische Reformen mahn¬ ten. Der schroffe Uebergang Königsbergs von der Chorführerin des liberalen Deutschlands bis zur devotesten und bußfertigsten unter den vielen devoter Städten der Monarchie, hatte deshalb für Kenner dortiger Zustände wenig Auffallendes. Es war nur nöthig, durch eine rücksichtslose Preß- und Ver- sammlungs-Polizei und namentlich durch nachsichtslose Verfolgung freisinniger Beamten die Literaten und was an ihnen hing zum Schweigen zu bringen — und der Materialismus der Massen fügte sich in altherkömmlicher Naivetät „der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hatte". Zwischen den Volksversammlungen in Böttchershöschen und dem officiellen Festjubel der Augusttage 1833 liegt keine so weite Kluft, als man glauben sollte. — Dagegen hatte die Bewegung in Elbing von vornherein einen vorwiegend praktischen, localen Charakter. Möglichste Selbstregierung innerhalb der Landes-' gesetze, Förderung der städtischen Interessen nach allen Seiten, Hebung der Volksbildung durch Schulen, Vereine, Lesezirkel, Vorträge — das war das Programm der Elbinger Fortschrittspartei. Man ging durchweg von der Ueber¬ zeugung aus, daß intelligente, unabhängige, wohlhabende Gemeinden leichter ein konstitutionelles Staatsleben schaffen, event, entbehren können, als das letztere sie, und man begann die Arbeit eben da, wo man die Möglichkeit des Erfolges sah. Ganz ohne politischen Humbug gings freilich auch in Elbing nicht ab. Es war ergötzlich genug anzuhören, als die Bürgerversammlung im „deutschen Michel" feierlichst abstimmte, ob man den Holsteinern „mit Gut und Blut" oder „mit Gut oder Blut" sich verpflichten solle. Die Stentorstimme Dowiats, des schwarzlockigen deutsch-katholischen Adonis wußte ein paar Mal auch unter unsern Liberalen eine Art Widerhall des Jubels zu wecken, der von seinen Triumphzügen am Rhein zu uns hcrübergetöyt war — und die Elbinger Feier des Februarpatentö von I8i7, mit Straßenauszug, Stocklaternen, Musik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/415>, abgerufen am 23.07.2024.