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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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ten auf diese Weise nach und nach eingezogen werden, weil Elbing den auf
das von Brandenburg besetzte Gebiet fallenden Contributionsantheil hatte mit
bezahlen müssen. Diese Einziehung aber wurde durch die preußischen Beamten
unter allerlei Vorwänden verhindert und die Stadt konnte nichts erlangen, als
im Jahre 1706 die Rückgabe der den milden Stiftungen gehörigen und für
die Besoldung des Magistrats, der Geistlichen und Lehrer erforderlichen Renten.

So blieb die Sache bis zur preußischen Besitznahme Westpreußens, im
Jahre 1772. Die schon damals angeregte Bitte um Zurückgabe des wider¬
rechtlich entzogenen Eigenthums wurde durch den königlichen Commissarius
von Lindenowsky hintertrieben. Als sie im Jahre 1799, nach dem Regierungs¬
antritt Friedrich Wilhelms in. wirklich zu Stande kam, erhielt die Stadt die
Antwort: "Ihre Majestät seien nicht gemeint, die Facta Ihrer Regierungs¬
vorgänger eraminiren zu lassen" -- und als das Deficit der städtischen Ver¬
waltung zu besorgnißerregend wurde, ließ man sich 1803 nur zur Uebernahme
einer Stadtschuld von 36,000 Thalern auf den Fiscus herbei. (Der Werth
des Territoriums ward beiläufig in dem unglücklichen Jahre 1812 von Regie¬
rungswegen auf 690,930 Thaler geschätzt.) Dann überbürdete der unglückliche
Krieg von 1806--7 die Stadt Elbing, ähnlich wie Königsberg, mit einer ganz un-
verhältnißmäßigen Schuldenlast, die Anstrengungen während der Befreiungskriege
kosteten so ziemlich die letzten Kräfte, die allgemeine Handclsstockung nach dem
Frieden ließ die bisherigen Quellen des Wohlstandes fast gänzlich versiegen
(im Jahre 1822 kostete der Scheffel Roggen 8 Silbergroschen, der Getreide-
^ Handel, Altpreußens hauptsächliche Geldquelle, war gleich Null, der Grund und
Boden völlig entwerthet) -- und nun endlich trieb die Noth zu energischer Ver¬
folgung der bis dahin nur lässig betriebenen Sache und nach einer Reihe sehr
unerquicklicher Verhandlungen entsagte die Stadt ihrem Anspruch für 300,000 Tha¬
ler und Uebernahme der grundherrlichen Lasten durch den Staat. Eine Prä-
cisirung der letztern war trotz aller Mühe nicht zu erlangen.

Damit schien die Sache beseitigt, als, freilich sehr spät, der Oberbürger¬
meister Haase sich daran erinnerte, daß die "Rechtsaussührung Sr. Majestät
von Preußen auf Pomerellen und verschiedene polnische Landestheile," gedruckt
am sechsten December 1772, grade auf jene mehrerwähnte Pfandsumme die
Ansprüche Preußens an Westpreußen gründete. Man zog nun den nahelie¬
genden Schluß, daß die Besitznahme einer ganzen Provinz jene Geldforderung
wol endlich getilgt haben müßte, daß in jenem politischen Act unmöglich eine
Confiscation städtischen Privateigenthums ausgesprochen sein könnte, und die
Rechtswohlthat des wesentlichen Irrthums in der Hauptsache in Anspruch neh¬
mend, trug die Stadt auf Vernichtung des Vertrages von 1826, resp, auf
Verstattung des Rechtsweges an.

Von nicht geringem Interesse sind nun die Verhandlungen des Geheimen


ten auf diese Weise nach und nach eingezogen werden, weil Elbing den auf
das von Brandenburg besetzte Gebiet fallenden Contributionsantheil hatte mit
bezahlen müssen. Diese Einziehung aber wurde durch die preußischen Beamten
unter allerlei Vorwänden verhindert und die Stadt konnte nichts erlangen, als
im Jahre 1706 die Rückgabe der den milden Stiftungen gehörigen und für
die Besoldung des Magistrats, der Geistlichen und Lehrer erforderlichen Renten.

So blieb die Sache bis zur preußischen Besitznahme Westpreußens, im
Jahre 1772. Die schon damals angeregte Bitte um Zurückgabe des wider¬
rechtlich entzogenen Eigenthums wurde durch den königlichen Commissarius
von Lindenowsky hintertrieben. Als sie im Jahre 1799, nach dem Regierungs¬
antritt Friedrich Wilhelms in. wirklich zu Stande kam, erhielt die Stadt die
Antwort: „Ihre Majestät seien nicht gemeint, die Facta Ihrer Regierungs¬
vorgänger eraminiren zu lassen" -- und als das Deficit der städtischen Ver¬
waltung zu besorgnißerregend wurde, ließ man sich 1803 nur zur Uebernahme
einer Stadtschuld von 36,000 Thalern auf den Fiscus herbei. (Der Werth
des Territoriums ward beiläufig in dem unglücklichen Jahre 1812 von Regie¬
rungswegen auf 690,930 Thaler geschätzt.) Dann überbürdete der unglückliche
Krieg von 1806—7 die Stadt Elbing, ähnlich wie Königsberg, mit einer ganz un-
verhältnißmäßigen Schuldenlast, die Anstrengungen während der Befreiungskriege
kosteten so ziemlich die letzten Kräfte, die allgemeine Handclsstockung nach dem
Frieden ließ die bisherigen Quellen des Wohlstandes fast gänzlich versiegen
(im Jahre 1822 kostete der Scheffel Roggen 8 Silbergroschen, der Getreide-
^ Handel, Altpreußens hauptsächliche Geldquelle, war gleich Null, der Grund und
Boden völlig entwerthet) — und nun endlich trieb die Noth zu energischer Ver¬
folgung der bis dahin nur lässig betriebenen Sache und nach einer Reihe sehr
unerquicklicher Verhandlungen entsagte die Stadt ihrem Anspruch für 300,000 Tha¬
ler und Uebernahme der grundherrlichen Lasten durch den Staat. Eine Prä-
cisirung der letztern war trotz aller Mühe nicht zu erlangen.

Damit schien die Sache beseitigt, als, freilich sehr spät, der Oberbürger¬
meister Haase sich daran erinnerte, daß die „Rechtsaussührung Sr. Majestät
von Preußen auf Pomerellen und verschiedene polnische Landestheile," gedruckt
am sechsten December 1772, grade auf jene mehrerwähnte Pfandsumme die
Ansprüche Preußens an Westpreußen gründete. Man zog nun den nahelie¬
genden Schluß, daß die Besitznahme einer ganzen Provinz jene Geldforderung
wol endlich getilgt haben müßte, daß in jenem politischen Act unmöglich eine
Confiscation städtischen Privateigenthums ausgesprochen sein könnte, und die
Rechtswohlthat des wesentlichen Irrthums in der Hauptsache in Anspruch neh¬
mend, trug die Stadt auf Vernichtung des Vertrages von 1826, resp, auf
Verstattung des Rechtsweges an.

Von nicht geringem Interesse sind nun die Verhandlungen des Geheimen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/412>, abgerufen am 23.07.2024.