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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Alp beängstigend auf den Völkern, er geht zu Ende; danket dafür Gott, der
das schwere Siegel von Blei aufhebt, unter deM die Menschheit erstickte.....
Jetzt seid ihr wieder in der hohen und schwierigen Lage eurer Mütter in den
Tagen der großen Kämpfe. Denkt daran, wie sie diese Probezeit bestanden
haben. Sie ließen nicht allein das Opfer über sich ergehen, sie liebten es, sie
gingen ihm entgegen. Das Schicksal, das ihnen mit entblößtem Schwert ent¬
gegenging und ihnen Furcht einzuflößen glaubte, fand sie stark und lächelnd,
ohne Klage und zum Tode bereit. Es schlug, die sie liebten; und auch da
sagten sie in ihrer Trauer: möge der Tod sie ereilen, wenn er sie nur unsterb¬
lich macht!" -- "Vielleicht werdet auch ihr der Gefahr widerstehen; aber auch
den Entbehrungen? Auch der verlängerten Verwandlung der Lage, der Ge¬
wohnheiten? Werdet ihr euch losreißen können von dieser Welt unützcr An¬
nehmlichkeiten, die in dem gegenwärtigen Zustande unsrer Sitten die Poesie
des Weibes auszumachen scheinen? -- In den Jahren, die man glücklich
nennt, die aber 1848 herbeiführten, als der moralische Horizont sich so ver¬
düsterte, als die dumpfe Eristenz, weder durch, eine Hoffnung noch durch eine
Prüfung mehr bewegt, in sich selber zusammenfiel, suchte ich oft mit ängstlicher Un¬
ruhe, nach einer Aussicht, von der uns das Heil kommen könne. Wol sah ich
um mich eine glänzende, liebenswürdige Jugend, begabter als, jemals ^i?
auch wol fähig, sich einer J.dee hinzugeben, aber für die Mehrzahl war die
Klippe das Uebermaß der Bildung: die unendliche Neugierde und Beweglich¬
keit des Geistes, die flüchtige Sympathie für die Systeme, die nur harmonische
Welt ohne Kampf und Streit versprechen, und die, indem sie jede Entbehrung
unnütz machen, die Nothwendigkeit des Opfers von der Erde verschwinden las--
sen würden. Aber das Opfer ist das Gesetz, der Welt, es ist der Punkt des
Archimedes, von dem aus man die Zeit bewegen kann. Das Opfer geht aber
nicht aus der Pflicht, sondern aus der Liebe hervor. Aber wo soll man noch
die Liebe suchen in dieser eiskalten Welt der Interessen, der Selbstsucht, der
politischen Intrigue, der Speculation? In dieser Welt liebt nur noch das
Weib. Als Jungfrau liebt sie einen Tag, als Mutter -liebt sie ihr ganzes
Leben. Also nur von dem Weibe, nur von der Mutter kann die Initiative
zu der großen socialen Umgestaltung ausgehen." --- Wir, haben diesen Dithy¬
rambus sehr stark abgekürzt, denn es sind noch sehr viele romantische Redens¬
arten darin, die bedeutend weniger Verstand verrathen, als das, was wir mit¬
getheilt haben. Dies ist aber der Gesichtspunkt, von welchem aus die sämmtlichen
bunten Bilder dieses Buches aufgefaßt sein wollen. Es sollen Beispiele sein,
die uns zeigen, wie man lieben, wie man sich opfern muß,' um eine sociale
Wiedergeburt möglich zu machen. Die Beispiele sind nicht immer glücklich ge¬
wählt; sie sind außerdem in einem so excentrischen Gefühle und einer so
romantischen Beleuchtung dargestellt, daß sie weder den Eindruck historischer


Alp beängstigend auf den Völkern, er geht zu Ende; danket dafür Gott, der
das schwere Siegel von Blei aufhebt, unter deM die Menschheit erstickte.....
Jetzt seid ihr wieder in der hohen und schwierigen Lage eurer Mütter in den
Tagen der großen Kämpfe. Denkt daran, wie sie diese Probezeit bestanden
haben. Sie ließen nicht allein das Opfer über sich ergehen, sie liebten es, sie
gingen ihm entgegen. Das Schicksal, das ihnen mit entblößtem Schwert ent¬
gegenging und ihnen Furcht einzuflößen glaubte, fand sie stark und lächelnd,
ohne Klage und zum Tode bereit. Es schlug, die sie liebten; und auch da
sagten sie in ihrer Trauer: möge der Tod sie ereilen, wenn er sie nur unsterb¬
lich macht!" — „Vielleicht werdet auch ihr der Gefahr widerstehen; aber auch
den Entbehrungen? Auch der verlängerten Verwandlung der Lage, der Ge¬
wohnheiten? Werdet ihr euch losreißen können von dieser Welt unützcr An¬
nehmlichkeiten, die in dem gegenwärtigen Zustande unsrer Sitten die Poesie
des Weibes auszumachen scheinen? — In den Jahren, die man glücklich
nennt, die aber 1848 herbeiführten, als der moralische Horizont sich so ver¬
düsterte, als die dumpfe Eristenz, weder durch, eine Hoffnung noch durch eine
Prüfung mehr bewegt, in sich selber zusammenfiel, suchte ich oft mit ängstlicher Un¬
ruhe, nach einer Aussicht, von der uns das Heil kommen könne. Wol sah ich
um mich eine glänzende, liebenswürdige Jugend, begabter als, jemals ^i?
auch wol fähig, sich einer J.dee hinzugeben, aber für die Mehrzahl war die
Klippe das Uebermaß der Bildung: die unendliche Neugierde und Beweglich¬
keit des Geistes, die flüchtige Sympathie für die Systeme, die nur harmonische
Welt ohne Kampf und Streit versprechen, und die, indem sie jede Entbehrung
unnütz machen, die Nothwendigkeit des Opfers von der Erde verschwinden las--
sen würden. Aber das Opfer ist das Gesetz, der Welt, es ist der Punkt des
Archimedes, von dem aus man die Zeit bewegen kann. Das Opfer geht aber
nicht aus der Pflicht, sondern aus der Liebe hervor. Aber wo soll man noch
die Liebe suchen in dieser eiskalten Welt der Interessen, der Selbstsucht, der
politischen Intrigue, der Speculation? In dieser Welt liebt nur noch das
Weib. Als Jungfrau liebt sie einen Tag, als Mutter -liebt sie ihr ganzes
Leben. Also nur von dem Weibe, nur von der Mutter kann die Initiative
zu der großen socialen Umgestaltung ausgehen." -— Wir, haben diesen Dithy¬
rambus sehr stark abgekürzt, denn es sind noch sehr viele romantische Redens¬
arten darin, die bedeutend weniger Verstand verrathen, als das, was wir mit¬
getheilt haben. Dies ist aber der Gesichtspunkt, von welchem aus die sämmtlichen
bunten Bilder dieses Buches aufgefaßt sein wollen. Es sollen Beispiele sein,
die uns zeigen, wie man lieben, wie man sich opfern muß,' um eine sociale
Wiedergeburt möglich zu machen. Die Beispiele sind nicht immer glücklich ge¬
wählt; sie sind außerdem in einem so excentrischen Gefühle und einer so
romantischen Beleuchtung dargestellt, daß sie weder den Eindruck historischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/388>, abgerufen am 23.07.2024.