Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es ist vielmehr in den Einrichtungen Oestreichs noch vieles höchst Bedenkliche,
ok schon ein einfacher Hinblick auf die Finanzen lehrt. Aber als Staat in
seiner Gesammtheit betrachtet, macht Oestreich wieder einen imponirenden Ein¬
druck. Es steht dem Auslande gefürchtet und auch geachtet gegenüber, und
die innern Zwistigkeiten scheinen sich in eine allgemeine Begeisterung für den
jungen Kaiser und für das Haus Oestreich ausgelöst zu haben. Wir wollen
den Volksjubel bei Gelegenheit der kaiserlichen Vermählung nicht' höher an-
schlagen, als er es verdient; aber er ist auch nur eins von den vielfältigen
Symptomen, die uns zeigen, daß in Oestreich ein starker und allgemeiner
Patriotismus herrscht und daß im wesentlichen die Richtung der Regierung
mit der Richtung des allgemeinen Willens sich im Einklang befindet.

> Diese bemerkenswerthe Umgestaltung erklärt sich ans einer Reihe verschie¬
dener mitwirkender Ursachen, auf die wir uns vorbehalten, ausführlicher
einzugehen. Hier wollen wir nur auf einen Umstand aufmerksam machen, der
um so wichtiger ist, da er in die allgemeine Theorie vom Wesen der Monarchie
sehr bedeutend eingreift.

Zur Bekämpfung der revolutionären Ideen hat sich nämlich eine Theorie
des Servilismus ausgebildet, die unsre Monarchien in sehr bedenkliche Ver¬
wicklungen bringt. Praktischen Servilismus hat es zu jeder Zeit gegeben;
denn es liegt zu nah, der Macht zu schmeicheln und zu dienen, um von ihr
zu gewinnen: aber das System des Servilismus ist eine Errungenschaft der
neuesten Zeit. Dieses System sucht die wahrhaft monarchische, loyale Gesin¬
nung darin, daß man das Unterthanen- oder Knechtsgefühl in sich so unbe¬
dingt als möglich ausbildet; daß man den Monarchen als den Herrn seines
' Leibes und seiner Seele empfindet und in jedem Augenblicke das für recht,
gut und zweckmäßig anerkennt, was dem Herrscher so erscheint. Jede gesetz¬
liche Einwirkung auf diesen souveränen Willen, jede gesetzliche Einschränkung
desselben erscheint diesen Systematikern als revolutionär, und es irrt sie nicht
im geringsten, wenn die persönlichen Ansichten des Herrschers öfters wechseln,
denn dieser Wechsel ist ja nur ein neuer Prüfstein sür die Willensknechtschaft
der getreuen Unterthanen.

Diese Auffassung des Absolutismus findet in der gesammten Geschichte
kein anderes wirkliches Gegenbild, als im römischen Kaiserreich. Die Person
der römischen Imperatoren war in der That absolut. Der Kaiser war Gott-
solange' man ihn nicht umbrachte. Wenn Caracalla sein Pferd zum Prä-
fecten machte, so galt das für den höchsten Ausfluß der Sta.atsweisheit, so,
lange man nicht die Leiche des erwürgten Herrschers mit Füßen trat. Ein
solcher Absolutismus war aber nur möglich in einem Reiche des Unrechts und
der Lüge, in einem Reiche, welches auf die rohe Gewalt gegründet war und
keinen sittlichen Inhalt hatte, welches endlich seine angemessenste Form dadurch


es ist vielmehr in den Einrichtungen Oestreichs noch vieles höchst Bedenkliche,
ok schon ein einfacher Hinblick auf die Finanzen lehrt. Aber als Staat in
seiner Gesammtheit betrachtet, macht Oestreich wieder einen imponirenden Ein¬
druck. Es steht dem Auslande gefürchtet und auch geachtet gegenüber, und
die innern Zwistigkeiten scheinen sich in eine allgemeine Begeisterung für den
jungen Kaiser und für das Haus Oestreich ausgelöst zu haben. Wir wollen
den Volksjubel bei Gelegenheit der kaiserlichen Vermählung nicht' höher an-
schlagen, als er es verdient; aber er ist auch nur eins von den vielfältigen
Symptomen, die uns zeigen, daß in Oestreich ein starker und allgemeiner
Patriotismus herrscht und daß im wesentlichen die Richtung der Regierung
mit der Richtung des allgemeinen Willens sich im Einklang befindet.

> Diese bemerkenswerthe Umgestaltung erklärt sich ans einer Reihe verschie¬
dener mitwirkender Ursachen, auf die wir uns vorbehalten, ausführlicher
einzugehen. Hier wollen wir nur auf einen Umstand aufmerksam machen, der
um so wichtiger ist, da er in die allgemeine Theorie vom Wesen der Monarchie
sehr bedeutend eingreift.

Zur Bekämpfung der revolutionären Ideen hat sich nämlich eine Theorie
des Servilismus ausgebildet, die unsre Monarchien in sehr bedenkliche Ver¬
wicklungen bringt. Praktischen Servilismus hat es zu jeder Zeit gegeben;
denn es liegt zu nah, der Macht zu schmeicheln und zu dienen, um von ihr
zu gewinnen: aber das System des Servilismus ist eine Errungenschaft der
neuesten Zeit. Dieses System sucht die wahrhaft monarchische, loyale Gesin¬
nung darin, daß man das Unterthanen- oder Knechtsgefühl in sich so unbe¬
dingt als möglich ausbildet; daß man den Monarchen als den Herrn seines
' Leibes und seiner Seele empfindet und in jedem Augenblicke das für recht,
gut und zweckmäßig anerkennt, was dem Herrscher so erscheint. Jede gesetz¬
liche Einwirkung auf diesen souveränen Willen, jede gesetzliche Einschränkung
desselben erscheint diesen Systematikern als revolutionär, und es irrt sie nicht
im geringsten, wenn die persönlichen Ansichten des Herrschers öfters wechseln,
denn dieser Wechsel ist ja nur ein neuer Prüfstein sür die Willensknechtschaft
der getreuen Unterthanen.

Diese Auffassung des Absolutismus findet in der gesammten Geschichte
kein anderes wirkliches Gegenbild, als im römischen Kaiserreich. Die Person
der römischen Imperatoren war in der That absolut. Der Kaiser war Gott-
solange' man ihn nicht umbrachte. Wenn Caracalla sein Pferd zum Prä-
fecten machte, so galt das für den höchsten Ausfluß der Sta.atsweisheit, so,
lange man nicht die Leiche des erwürgten Herrschers mit Füßen trat. Ein
solcher Absolutismus war aber nur möglich in einem Reiche des Unrechts und
der Lüge, in einem Reiche, welches auf die rohe Gewalt gegründet war und
keinen sittlichen Inhalt hatte, welches endlich seine angemessenste Form dadurch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98150"/>
            <p xml:id="ID_1151" prev="#ID_1150"> es ist vielmehr in den Einrichtungen Oestreichs noch vieles höchst Bedenkliche,<lb/>
ok schon ein einfacher Hinblick auf die Finanzen lehrt. Aber als Staat in<lb/>
seiner Gesammtheit betrachtet, macht Oestreich wieder einen imponirenden Ein¬<lb/>
druck. Es steht dem Auslande gefürchtet und auch geachtet gegenüber, und<lb/>
die innern Zwistigkeiten scheinen sich in eine allgemeine Begeisterung für den<lb/>
jungen Kaiser und für das Haus Oestreich ausgelöst zu haben. Wir wollen<lb/>
den Volksjubel bei Gelegenheit der kaiserlichen Vermählung nicht' höher an-<lb/>
schlagen, als er es verdient; aber er ist auch nur eins von den vielfältigen<lb/>
Symptomen, die uns zeigen, daß in Oestreich ein starker und allgemeiner<lb/>
Patriotismus herrscht und daß im wesentlichen die Richtung der Regierung<lb/>
mit der Richtung des allgemeinen Willens sich im Einklang befindet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1152"> &gt; Diese bemerkenswerthe Umgestaltung erklärt sich ans einer Reihe verschie¬<lb/>
dener mitwirkender Ursachen, auf die wir uns vorbehalten, ausführlicher<lb/>
einzugehen. Hier wollen wir nur auf einen Umstand aufmerksam machen, der<lb/>
um so wichtiger ist, da er in die allgemeine Theorie vom Wesen der Monarchie<lb/>
sehr bedeutend eingreift.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1153"> Zur Bekämpfung der revolutionären Ideen hat sich nämlich eine Theorie<lb/>
des Servilismus ausgebildet, die unsre Monarchien in sehr bedenkliche Ver¬<lb/>
wicklungen bringt. Praktischen Servilismus hat es zu jeder Zeit gegeben;<lb/>
denn es liegt zu nah, der Macht zu schmeicheln und zu dienen, um von ihr<lb/>
zu gewinnen: aber das System des Servilismus ist eine Errungenschaft der<lb/>
neuesten Zeit. Dieses System sucht die wahrhaft monarchische, loyale Gesin¬<lb/>
nung darin, daß man das Unterthanen- oder Knechtsgefühl in sich so unbe¬<lb/>
dingt als möglich ausbildet; daß man den Monarchen als den Herrn seines<lb/>
' Leibes und seiner Seele empfindet und in jedem Augenblicke das für recht,<lb/>
gut und zweckmäßig anerkennt, was dem Herrscher so erscheint. Jede gesetz¬<lb/>
liche Einwirkung auf diesen souveränen Willen, jede gesetzliche Einschränkung<lb/>
desselben erscheint diesen Systematikern als revolutionär, und es irrt sie nicht<lb/>
im geringsten, wenn die persönlichen Ansichten des Herrschers öfters wechseln,<lb/>
denn dieser Wechsel ist ja nur ein neuer Prüfstein sür die Willensknechtschaft<lb/>
der getreuen Unterthanen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1154" next="#ID_1155"> Diese Auffassung des Absolutismus findet in der gesammten Geschichte<lb/>
kein anderes wirkliches Gegenbild, als im römischen Kaiserreich. Die Person<lb/>
der römischen Imperatoren war in der That absolut. Der Kaiser war Gott-<lb/>
solange' man ihn nicht umbrachte. Wenn Caracalla sein Pferd zum Prä-<lb/>
fecten machte, so galt das für den höchsten Ausfluß der Sta.atsweisheit, so,<lb/>
lange man nicht die Leiche des erwürgten Herrschers mit Füßen trat. Ein<lb/>
solcher Absolutismus war aber nur möglich in einem Reiche des Unrechts und<lb/>
der Lüge, in einem Reiche, welches auf die rohe Gewalt gegründet war und<lb/>
keinen sittlichen Inhalt hatte, welches endlich seine angemessenste Form dadurch</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] es ist vielmehr in den Einrichtungen Oestreichs noch vieles höchst Bedenkliche, ok schon ein einfacher Hinblick auf die Finanzen lehrt. Aber als Staat in seiner Gesammtheit betrachtet, macht Oestreich wieder einen imponirenden Ein¬ druck. Es steht dem Auslande gefürchtet und auch geachtet gegenüber, und die innern Zwistigkeiten scheinen sich in eine allgemeine Begeisterung für den jungen Kaiser und für das Haus Oestreich ausgelöst zu haben. Wir wollen den Volksjubel bei Gelegenheit der kaiserlichen Vermählung nicht' höher an- schlagen, als er es verdient; aber er ist auch nur eins von den vielfältigen Symptomen, die uns zeigen, daß in Oestreich ein starker und allgemeiner Patriotismus herrscht und daß im wesentlichen die Richtung der Regierung mit der Richtung des allgemeinen Willens sich im Einklang befindet. > Diese bemerkenswerthe Umgestaltung erklärt sich ans einer Reihe verschie¬ dener mitwirkender Ursachen, auf die wir uns vorbehalten, ausführlicher einzugehen. Hier wollen wir nur auf einen Umstand aufmerksam machen, der um so wichtiger ist, da er in die allgemeine Theorie vom Wesen der Monarchie sehr bedeutend eingreift. Zur Bekämpfung der revolutionären Ideen hat sich nämlich eine Theorie des Servilismus ausgebildet, die unsre Monarchien in sehr bedenkliche Ver¬ wicklungen bringt. Praktischen Servilismus hat es zu jeder Zeit gegeben; denn es liegt zu nah, der Macht zu schmeicheln und zu dienen, um von ihr zu gewinnen: aber das System des Servilismus ist eine Errungenschaft der neuesten Zeit. Dieses System sucht die wahrhaft monarchische, loyale Gesin¬ nung darin, daß man das Unterthanen- oder Knechtsgefühl in sich so unbe¬ dingt als möglich ausbildet; daß man den Monarchen als den Herrn seines ' Leibes und seiner Seele empfindet und in jedem Augenblicke das für recht, gut und zweckmäßig anerkennt, was dem Herrscher so erscheint. Jede gesetz¬ liche Einwirkung auf diesen souveränen Willen, jede gesetzliche Einschränkung desselben erscheint diesen Systematikern als revolutionär, und es irrt sie nicht im geringsten, wenn die persönlichen Ansichten des Herrschers öfters wechseln, denn dieser Wechsel ist ja nur ein neuer Prüfstein sür die Willensknechtschaft der getreuen Unterthanen. Diese Auffassung des Absolutismus findet in der gesammten Geschichte kein anderes wirkliches Gegenbild, als im römischen Kaiserreich. Die Person der römischen Imperatoren war in der That absolut. Der Kaiser war Gott- solange' man ihn nicht umbrachte. Wenn Caracalla sein Pferd zum Prä- fecten machte, so galt das für den höchsten Ausfluß der Sta.atsweisheit, so, lange man nicht die Leiche des erwürgten Herrschers mit Füßen trat. Ein solcher Absolutismus war aber nur möglich in einem Reiche des Unrechts und der Lüge, in einem Reiche, welches auf die rohe Gewalt gegründet war und keinen sittlichen Inhalt hatte, welches endlich seine angemessenste Form dadurch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/369>, abgerufen am 22.12.2024.