Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.obgleich ich nur eine Frau bin, ein mit seinem Neichswappen geziertes Brillantarmband Aber trotz dieser Metamorphosen der Uebersetzung kommen einem die Briefe der obgleich ich nur eine Frau bin, ein mit seinem Neichswappen geziertes Brillantarmband Aber trotz dieser Metamorphosen der Uebersetzung kommen einem die Briefe der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98144"/> <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> obgleich ich nur eine Frau bin, ein mit seinem Neichswappen geziertes Brillantarmband<lb/> übersandt. Es ist wahr, Seine Majestät ist in diesem Augenblick der größte Dichter<lb/> der That, der eine Krone trägt." Darum ist es auch wol sehr erklärlich, daß sie für<lb/> die türkischen Einrichtungen so eingenommen ist. Zuerst, und das ist wol das Unbe¬<lb/> fangenste, macht sie auf die hübschen Gesichter der Türken aufmerksam. Dann geht sie<lb/> auf die Religion ein. „An der türkischen Reform liebe ich als Christin ganz besonders,<lb/> daß sie bei ihrem Glauben achtungsvoll stehen bleibt und nicht meint, die Errungen- ',<lb/> schaften ihrer Intelligenz auf die Verachtung der Gegenstände ihrer alten Verehrung<lb/> und auf den Unglauben stützen zu müssen, der die Vergangenheit dahingibt." -—-<lb/> „Ich will die jungen Einrichtungen dieses alten Staats studiren, der nicht nöthig hat,<lb/> seine emporschießenden Trcibreiser zu stützen, um sich einen neuen Sast einznimpsen; wo<lb/> die Gerechtigkeit nach dem natürlichen Gefühl ganz verständig gehandhabt wird und<lb/> nicht in staunenswerthen Codificationen enthalten ist, deren Sinn so leicht zu drehen und<lb/> zu deuten ist; wo die Classen vermöge einer wie von selbst verlaufenden Ordnung und<lb/> durch gegenseitiges Nachgeben sich in gutem Vernehmen erhalten."— Ob diese Einfälle<lb/> einer blasirten Solondamc, die der Abwechslung wegen auch wol einmal die Dinge<lb/> auf den Kopf stellt, auch zu den tiefen Wahrheiten gehören, welche die Prinzessin ent¬<lb/> deckt haben soll, wissen wir nicht. Wir können nur versichern, daß' wir in den ge¬<lb/> stimmten Briefen nicht einen einzigen Satz gesunden haben, in dem eine neue Wahrheit<lb/> deutlich ausgesprochen, eine neue Anschauung uns correct überliefert wäre. Ob dieser<lb/> Mangel durch, die Schönheit des Stils ersetzt wird, der nach der Aussage des Her¬<lb/> ausgebers und anderer bezaubernd sein soll, können wir nach dieser Uebersetzung nicht<lb/> beurtheilen, da der Uebersetzer sür den Rhythmus des Stils keinen Sinn hat. Schon<lb/> der wunderliche Titel der „Denkerbriefe" gehört dem Original nicht an, wo es „Briefe<lb/> eines Denkers" heißt. Und so haben wir noch bei mehren ungewöhnlichen und un¬<lb/> schönen Wendungen den Uebersetzer in Verdacht, er habe von seiner Färbung etwas<lb/> dazu gethan. Manches läßt sich in einer fremden Sprache ausdrücken, was durch die<lb/> Uebersetzung gradezu lächerlich wird. So S. 79, wo die Prinzessin einen Verstorbenen<lb/> in einer langen und rührenden Apostrophe mit „Sie" anredet. „In der ersten Jugend<lb/> noch sind Sie dahingegangen, ein Geist so voller Anziehung, der zu zartfühlend war<lb/> für die Kämpfe des Lebens und des Glücks. Daran sind Sie gestorben u. s. w." —<lb/> Das französische ,,Vous" hat eine ganz andere Ausdehnung als das deutsche „Sie".<lb/> Die Franzosen gebrauchen die Höflichkeitsform des Plural, auch wenn sie sich an,<lb/> Gott wenden. Im Deutschen aber würde es sehr lächerlich klingen, wenn man sagen<lb/> wollte: „Lieber-Gott, geben Sie mir Frieden und Ruhe des Gemüthes" u. s. w.</p><lb/> <p xml:id="ID_1136" next="#ID_1137"> Aber trotz dieser Metamorphosen der Uebersetzung kommen einem die Briefe der<lb/> Prinzessin noch immer sehr einfach und ungcsiicht vor, wenn man das Nachwort<lb/> des Uebersetzers an die Verfasserin der Denkbriefe damit vergleicht. „Sie haben,<lb/> redet er sie an, außer, dem frischen, lebendig poetischen Sinn für den Ton und die<lb/> Farbe, sür die Malerei und die Musik, neben der. durchgehenden, wahrhaft gesell¬<lb/> schaftlichen Auffassung der politschen wie der religiösen Beziehungen und Ereignisse<lb/> in Ihrem Styl das, was ich den Harfenton einer klingenden Seele nennen möchte;<lb/> jenen Ton, den die Milanollo aus den Saiten ihrer Violine sprechen läßt, indem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0364]
obgleich ich nur eine Frau bin, ein mit seinem Neichswappen geziertes Brillantarmband
übersandt. Es ist wahr, Seine Majestät ist in diesem Augenblick der größte Dichter
der That, der eine Krone trägt." Darum ist es auch wol sehr erklärlich, daß sie für
die türkischen Einrichtungen so eingenommen ist. Zuerst, und das ist wol das Unbe¬
fangenste, macht sie auf die hübschen Gesichter der Türken aufmerksam. Dann geht sie
auf die Religion ein. „An der türkischen Reform liebe ich als Christin ganz besonders,
daß sie bei ihrem Glauben achtungsvoll stehen bleibt und nicht meint, die Errungen- ',
schaften ihrer Intelligenz auf die Verachtung der Gegenstände ihrer alten Verehrung
und auf den Unglauben stützen zu müssen, der die Vergangenheit dahingibt." -—-
„Ich will die jungen Einrichtungen dieses alten Staats studiren, der nicht nöthig hat,
seine emporschießenden Trcibreiser zu stützen, um sich einen neuen Sast einznimpsen; wo
die Gerechtigkeit nach dem natürlichen Gefühl ganz verständig gehandhabt wird und
nicht in staunenswerthen Codificationen enthalten ist, deren Sinn so leicht zu drehen und
zu deuten ist; wo die Classen vermöge einer wie von selbst verlaufenden Ordnung und
durch gegenseitiges Nachgeben sich in gutem Vernehmen erhalten."— Ob diese Einfälle
einer blasirten Solondamc, die der Abwechslung wegen auch wol einmal die Dinge
auf den Kopf stellt, auch zu den tiefen Wahrheiten gehören, welche die Prinzessin ent¬
deckt haben soll, wissen wir nicht. Wir können nur versichern, daß' wir in den ge¬
stimmten Briefen nicht einen einzigen Satz gesunden haben, in dem eine neue Wahrheit
deutlich ausgesprochen, eine neue Anschauung uns correct überliefert wäre. Ob dieser
Mangel durch, die Schönheit des Stils ersetzt wird, der nach der Aussage des Her¬
ausgebers und anderer bezaubernd sein soll, können wir nach dieser Uebersetzung nicht
beurtheilen, da der Uebersetzer sür den Rhythmus des Stils keinen Sinn hat. Schon
der wunderliche Titel der „Denkerbriefe" gehört dem Original nicht an, wo es „Briefe
eines Denkers" heißt. Und so haben wir noch bei mehren ungewöhnlichen und un¬
schönen Wendungen den Uebersetzer in Verdacht, er habe von seiner Färbung etwas
dazu gethan. Manches läßt sich in einer fremden Sprache ausdrücken, was durch die
Uebersetzung gradezu lächerlich wird. So S. 79, wo die Prinzessin einen Verstorbenen
in einer langen und rührenden Apostrophe mit „Sie" anredet. „In der ersten Jugend
noch sind Sie dahingegangen, ein Geist so voller Anziehung, der zu zartfühlend war
für die Kämpfe des Lebens und des Glücks. Daran sind Sie gestorben u. s. w." —
Das französische ,,Vous" hat eine ganz andere Ausdehnung als das deutsche „Sie".
Die Franzosen gebrauchen die Höflichkeitsform des Plural, auch wenn sie sich an,
Gott wenden. Im Deutschen aber würde es sehr lächerlich klingen, wenn man sagen
wollte: „Lieber-Gott, geben Sie mir Frieden und Ruhe des Gemüthes" u. s. w.
Aber trotz dieser Metamorphosen der Uebersetzung kommen einem die Briefe der
Prinzessin noch immer sehr einfach und ungcsiicht vor, wenn man das Nachwort
des Uebersetzers an die Verfasserin der Denkbriefe damit vergleicht. „Sie haben,
redet er sie an, außer, dem frischen, lebendig poetischen Sinn für den Ton und die
Farbe, sür die Malerei und die Musik, neben der. durchgehenden, wahrhaft gesell¬
schaftlichen Auffassung der politschen wie der religiösen Beziehungen und Ereignisse
in Ihrem Styl das, was ich den Harfenton einer klingenden Seele nennen möchte;
jenen Ton, den die Milanollo aus den Saiten ihrer Violine sprechen läßt, indem
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