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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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und ebenso die Maschinerie dirigirt, wie in den "Pagenstreichen" oder im
-"Pariser Taugenichts", gehörte damals, wo die gute Gesellschaft plötzlich fromm
geworden war, zum guten Ton. Warum sollte man nicht solchen Verkleidungen
zu Liebe eine christliche Tragödie erfinden? --

Es ist eine merkwürdige Ironie des Schicksals, daß dieser Possenreißer
nicht nur selbst zu einem tragischen Ausgang bestimmt war, sondern auch
unfreiwillig durch seinen Tod die dämonische Natur der herrschenden Gesinnung
in der deutschen Jugend enthüllen mußte. Denn Sand hätte eine ganz künst¬
liche Berechnung anstellen müssen, um einen Menschen zu finden / dessen Er¬
mordung ein deutlicheres Zeichen von dem Wahnsinn dieser altklugen Selbst¬
gerechtigkeit gewesen wäre. Kotzebue hat allerdings in seinen spätern Journalen
wie in den officiellen Berichten an den russischen Hof über die deutsche Literatur
nach seiner gewöhnlichen oberflächlichen Manier über den deutschen Patriotismus
viel widerliche Dinge gesagt; aber aus einem Hanswurst einen Märtyrer zu
machen, dazu gehört eine krankhaft eraltirte Phantasie, die viel entschiedener
für die Gegner der deutschen Burschenschaft sprach, als alle möglichen Sophis¬
men politischer Bosheit. Nebenbei war Kotzebue noch immer nicht der schlimmste.
Daß- er mit seinem trockenen kleinlichen Verstände für die Begeisterung überhaupt
keinen Sinn haben konnte, namentlich wenn sie ihm in barokken Formen ent¬
gegentrat, war sehr natürlich. Er hat aber auf der andern Seite die Reaction
ebensowenig geschont. Wenn man z. B. ein Stück nimmt, wie "der deutsche
Mann und die vornehmen Leute", so wird man erstaunen über den dreisten
Ton, mit, welchem der Adel und die höfische Gesellschaft auf das treffendste
an ihre ehemalige Demüthigung erinnert werden, und wenn Kotzebue das zum
Schluß anscheinend wieder gut macht, indem er die frechsten Edelleute als
verkappte bürgerliche Schwindler enthüllt, so wußte der Adel sehr gut, was er
davon zu denken hatte. Wir haben im Laufe dieser ganzen Untersuchung das
Unsittliche in dieser Art Poesie sehr lebhaft hervorgehoben, aber wir dürfen
nicht vergessen, daß die meisten unter seinen Gegnern von ganz andern Mo¬
tiven bestimmt wurden. Was in seiner "Stimme der Natur" für uns senti¬
mentales, Schwächliches und Kokettes liegt, fühlten sie nicht heraus; sie haßten
in ihr vielmehr einen Rest von wirklicher Natur, der sie auf eine sehr unbequeme
Weise in dem Gefühl ihrer neuerworbenen Sicherheit unterbrach.




und ebenso die Maschinerie dirigirt, wie in den „Pagenstreichen" oder im
-„Pariser Taugenichts", gehörte damals, wo die gute Gesellschaft plötzlich fromm
geworden war, zum guten Ton. Warum sollte man nicht solchen Verkleidungen
zu Liebe eine christliche Tragödie erfinden? —

Es ist eine merkwürdige Ironie des Schicksals, daß dieser Possenreißer
nicht nur selbst zu einem tragischen Ausgang bestimmt war, sondern auch
unfreiwillig durch seinen Tod die dämonische Natur der herrschenden Gesinnung
in der deutschen Jugend enthüllen mußte. Denn Sand hätte eine ganz künst¬
liche Berechnung anstellen müssen, um einen Menschen zu finden / dessen Er¬
mordung ein deutlicheres Zeichen von dem Wahnsinn dieser altklugen Selbst¬
gerechtigkeit gewesen wäre. Kotzebue hat allerdings in seinen spätern Journalen
wie in den officiellen Berichten an den russischen Hof über die deutsche Literatur
nach seiner gewöhnlichen oberflächlichen Manier über den deutschen Patriotismus
viel widerliche Dinge gesagt; aber aus einem Hanswurst einen Märtyrer zu
machen, dazu gehört eine krankhaft eraltirte Phantasie, die viel entschiedener
für die Gegner der deutschen Burschenschaft sprach, als alle möglichen Sophis¬
men politischer Bosheit. Nebenbei war Kotzebue noch immer nicht der schlimmste.
Daß- er mit seinem trockenen kleinlichen Verstände für die Begeisterung überhaupt
keinen Sinn haben konnte, namentlich wenn sie ihm in barokken Formen ent¬
gegentrat, war sehr natürlich. Er hat aber auf der andern Seite die Reaction
ebensowenig geschont. Wenn man z. B. ein Stück nimmt, wie „der deutsche
Mann und die vornehmen Leute", so wird man erstaunen über den dreisten
Ton, mit, welchem der Adel und die höfische Gesellschaft auf das treffendste
an ihre ehemalige Demüthigung erinnert werden, und wenn Kotzebue das zum
Schluß anscheinend wieder gut macht, indem er die frechsten Edelleute als
verkappte bürgerliche Schwindler enthüllt, so wußte der Adel sehr gut, was er
davon zu denken hatte. Wir haben im Laufe dieser ganzen Untersuchung das
Unsittliche in dieser Art Poesie sehr lebhaft hervorgehoben, aber wir dürfen
nicht vergessen, daß die meisten unter seinen Gegnern von ganz andern Mo¬
tiven bestimmt wurden. Was in seiner „Stimme der Natur" für uns senti¬
mentales, Schwächliches und Kokettes liegt, fühlten sie nicht heraus; sie haßten
in ihr vielmehr einen Rest von wirklicher Natur, der sie auf eine sehr unbequeme
Weise in dem Gefühl ihrer neuerworbenen Sicherheit unterbrach.




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[0352] und ebenso die Maschinerie dirigirt, wie in den „Pagenstreichen" oder im -„Pariser Taugenichts", gehörte damals, wo die gute Gesellschaft plötzlich fromm geworden war, zum guten Ton. Warum sollte man nicht solchen Verkleidungen zu Liebe eine christliche Tragödie erfinden? — Es ist eine merkwürdige Ironie des Schicksals, daß dieser Possenreißer nicht nur selbst zu einem tragischen Ausgang bestimmt war, sondern auch unfreiwillig durch seinen Tod die dämonische Natur der herrschenden Gesinnung in der deutschen Jugend enthüllen mußte. Denn Sand hätte eine ganz künst¬ liche Berechnung anstellen müssen, um einen Menschen zu finden / dessen Er¬ mordung ein deutlicheres Zeichen von dem Wahnsinn dieser altklugen Selbst¬ gerechtigkeit gewesen wäre. Kotzebue hat allerdings in seinen spätern Journalen wie in den officiellen Berichten an den russischen Hof über die deutsche Literatur nach seiner gewöhnlichen oberflächlichen Manier über den deutschen Patriotismus viel widerliche Dinge gesagt; aber aus einem Hanswurst einen Märtyrer zu machen, dazu gehört eine krankhaft eraltirte Phantasie, die viel entschiedener für die Gegner der deutschen Burschenschaft sprach, als alle möglichen Sophis¬ men politischer Bosheit. Nebenbei war Kotzebue noch immer nicht der schlimmste. Daß- er mit seinem trockenen kleinlichen Verstände für die Begeisterung überhaupt keinen Sinn haben konnte, namentlich wenn sie ihm in barokken Formen ent¬ gegentrat, war sehr natürlich. Er hat aber auf der andern Seite die Reaction ebensowenig geschont. Wenn man z. B. ein Stück nimmt, wie „der deutsche Mann und die vornehmen Leute", so wird man erstaunen über den dreisten Ton, mit, welchem der Adel und die höfische Gesellschaft auf das treffendste an ihre ehemalige Demüthigung erinnert werden, und wenn Kotzebue das zum Schluß anscheinend wieder gut macht, indem er die frechsten Edelleute als verkappte bürgerliche Schwindler enthüllt, so wußte der Adel sehr gut, was er davon zu denken hatte. Wir haben im Laufe dieser ganzen Untersuchung das Unsittliche in dieser Art Poesie sehr lebhaft hervorgehoben, aber wir dürfen nicht vergessen, daß die meisten unter seinen Gegnern von ganz andern Mo¬ tiven bestimmt wurden. Was in seiner „Stimme der Natur" für uns senti¬ mentales, Schwächliches und Kokettes liegt, fühlten sie nicht heraus; sie haßten in ihr vielmehr einen Rest von wirklicher Natur, der sie auf eine sehr unbequeme Weise in dem Gefühl ihrer neuerworbenen Sicherheit unterbrach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/351>, abgerufen am 23.07.2024.