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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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miteinander in der christlichen Tugend. Von einem einheitlichen Fortgang der
Intrigue ist keine Rede.

Weniger auffallend ist es, daß Kotzebue einmal auch wernerisrrte. Denn
abgesehen von der Mystik des letztern waren beide Dichter Geistesverwandte
und es war nur Consequenz von Kotzebue, der kein Mittel des Effects, welches
ihm durch die wechselnden Neigungen, des Publicums dargeboten wurde, ver¬
schmähte, daß er auch dem Geschmack der Mystik seinen Tribut abtrug. Bei
alledem nimmt sich die dramatische Legende "der Schutzgeist" höchst ver¬
wundersam. Das Vorspiel zeigt uns ein Ehepaar, welches' klagend am Leich¬
nam eines Knaben sitzt, der eben vom Blitz erschlagen ist. Plötzlich erhebt
sich dieser Knabe, breitet die Arme gen Himmel aus und erklärt in sehr my¬
stischen Redensarten, daß er ein Engel sei, durch Gottes Gnade in diesen
Körper gekleidet, um der italienischen Königin Adelheid zu Hilfe zu kommen,
die von dem lasterhaften Usurpator Berengar verfolgt werde. Er macht höchst
merkwürdige Bemerkungen, über das Land der schwülen Träume, über das Licht,
das Element der Geister, über die Allmacht u. s. w. und entschwebt dann im
schnellen Fluge seinen anbetenden Eltern, um zunächst als Edelknabe der Königin
zu "erscheinen". Er "erscheint" noch in verschiedenen Gestalten und thut zu
Gunsten der verfolgten Adelheid verschiedene Wunder, aber niemals, ohne vor¬
her im brünstigen Gebet von Gott die Erlaubniß dazu zu erflehen. Es ist
merkwürdig, wie der alte Sünder die. Macht des Glaubens predigt. Nebenbei
erscheinen die verschiedenen Personen einander mehrmals im Traume. Auch
der Geist des ermordeten Königs Lothar tritt auf, theils mit theils ohne Visrr.
Zuletzt will der besiegte Berengar, der als Bettler um das unvermeidliche All-
mosen bittet, der Adelheid den Dolch ins Herz stoßen. Der Schutzgeist sängt
den Stoß auf, der Dolch bleibt stecken, ein Donnerschlag ertönt, der Schutzgeist
steht plötzlich schneeweiß da, schleudert ihm den. Dolch vor die Füße, die Wunde
blutet, Berengar von Grausen ergriffen blasphemirt entsetzlich, der Schutzgeist
folgt ihm, wie er herumwankt, stets mit abgemessenen Schritten und sieht ihn
starr an, bis Berengar zur Hölle taumelt. Dann sinkt der Schutzgeist sanft
am Grabe nieder, vermählt Adelheid mit dem Kaiser Otto, die ausgebreiteten
Arme sinken, das Haupt neigt sich aus die Brust, er -- stirbt. Otto und Adel¬
heid, sich umarmt haltend, sinken vor ihm nieder. Das Grabmal wird plötzlich
sanft erleuchtet, Trompeten und Pauken hinter der Scene -- der Vorhang
fällt. -- Nun würde es freilich eine schwer zu beantwortende Frage sein, wie
der liebe Gott eigentlich dazu veranlaßt wird, zu Gunsten einer Person, von
der wir nichts Bestimmtes erfahren, eine solche Reihe unerhörter Wunder zu
thun, da er seinen Zweck mit viel einfacheren Mitteln hätte erreichen können.
Aber eine hübsche Schauspielerin in verschiedenen Verkleidungen und zum
Schluß in transparenten Engelscostüm, die immer die Blicke gen Himmel hebt,


miteinander in der christlichen Tugend. Von einem einheitlichen Fortgang der
Intrigue ist keine Rede.

Weniger auffallend ist es, daß Kotzebue einmal auch wernerisrrte. Denn
abgesehen von der Mystik des letztern waren beide Dichter Geistesverwandte
und es war nur Consequenz von Kotzebue, der kein Mittel des Effects, welches
ihm durch die wechselnden Neigungen, des Publicums dargeboten wurde, ver¬
schmähte, daß er auch dem Geschmack der Mystik seinen Tribut abtrug. Bei
alledem nimmt sich die dramatische Legende „der Schutzgeist" höchst ver¬
wundersam. Das Vorspiel zeigt uns ein Ehepaar, welches' klagend am Leich¬
nam eines Knaben sitzt, der eben vom Blitz erschlagen ist. Plötzlich erhebt
sich dieser Knabe, breitet die Arme gen Himmel aus und erklärt in sehr my¬
stischen Redensarten, daß er ein Engel sei, durch Gottes Gnade in diesen
Körper gekleidet, um der italienischen Königin Adelheid zu Hilfe zu kommen,
die von dem lasterhaften Usurpator Berengar verfolgt werde. Er macht höchst
merkwürdige Bemerkungen, über das Land der schwülen Träume, über das Licht,
das Element der Geister, über die Allmacht u. s. w. und entschwebt dann im
schnellen Fluge seinen anbetenden Eltern, um zunächst als Edelknabe der Königin
zu „erscheinen". Er „erscheint" noch in verschiedenen Gestalten und thut zu
Gunsten der verfolgten Adelheid verschiedene Wunder, aber niemals, ohne vor¬
her im brünstigen Gebet von Gott die Erlaubniß dazu zu erflehen. Es ist
merkwürdig, wie der alte Sünder die. Macht des Glaubens predigt. Nebenbei
erscheinen die verschiedenen Personen einander mehrmals im Traume. Auch
der Geist des ermordeten Königs Lothar tritt auf, theils mit theils ohne Visrr.
Zuletzt will der besiegte Berengar, der als Bettler um das unvermeidliche All-
mosen bittet, der Adelheid den Dolch ins Herz stoßen. Der Schutzgeist sängt
den Stoß auf, der Dolch bleibt stecken, ein Donnerschlag ertönt, der Schutzgeist
steht plötzlich schneeweiß da, schleudert ihm den. Dolch vor die Füße, die Wunde
blutet, Berengar von Grausen ergriffen blasphemirt entsetzlich, der Schutzgeist
folgt ihm, wie er herumwankt, stets mit abgemessenen Schritten und sieht ihn
starr an, bis Berengar zur Hölle taumelt. Dann sinkt der Schutzgeist sanft
am Grabe nieder, vermählt Adelheid mit dem Kaiser Otto, die ausgebreiteten
Arme sinken, das Haupt neigt sich aus die Brust, er — stirbt. Otto und Adel¬
heid, sich umarmt haltend, sinken vor ihm nieder. Das Grabmal wird plötzlich
sanft erleuchtet, Trompeten und Pauken hinter der Scene — der Vorhang
fällt. — Nun würde es freilich eine schwer zu beantwortende Frage sein, wie
der liebe Gott eigentlich dazu veranlaßt wird, zu Gunsten einer Person, von
der wir nichts Bestimmtes erfahren, eine solche Reihe unerhörter Wunder zu
thun, da er seinen Zweck mit viel einfacheren Mitteln hätte erreichen können.
Aber eine hübsche Schauspielerin in verschiedenen Verkleidungen und zum
Schluß in transparenten Engelscostüm, die immer die Blicke gen Himmel hebt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/350>, abgerufen am 23.07.2024.