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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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saß die Feinde zurückschreckt, ein finstrer König,, der von den Geistern seiner
Erschlagenen verfolgt wird, und öfters Erscheinen von Frauen mit fliegenden
Haaren. Die" rührenden Kinder fehlen diesmal, dagegen ist ein kleiner Zug
zu bemerken, der insofern von Wichtigkeit ist, als er den fortgesetzten Kampf
Kotzebues gegen die Vorurtheile versinnlicht. Gustav Wasa, der das ganze
Stück hindurch in den mannigfaltigsten Verkleidungen von seinen Verfolgern
gepeinigt wird, hat einmal einem Ritter das Ehrenwort gegeben, seinem Ge¬
fängniß nicht zu entfliehen, und ist doch entflohen; er ist demselben außerdem
eine große Summe schuldig geblieben. Der Ritter, der im Anfang sehr beleidigt
ist, wird durch Rührung zu seinen Gunsten gestimmt. Dieser Zug hat nicht
den geringsten Einfluß auf den Fortgang des Stücks, man muß ihn also als
einen principiellen auffassen. -- "Bayard" ist echter Kotzebue. Er theilt eine
fabelhafte Menge von Almosen aus, rettet fortwährend die gekränkte Unschuld,
entsaft seiner Liebe unter erschwerenden Umständen mehre Male, lebt als Gegen¬
bild der Octavia nur für seine Pflicht und steht mit engelgleicher Gelassenheit
über dem Gefühl schlechter Leidenschaften. Solche Figuren entsprangen dem
bösen Beispiel Mar Piccolominis. Den unglücklichen Frauen, die sich in die¬
sen edlen Ritter verlieben, bleibt nichts übrig, als in Knabentracht für ihn
zu sterben.

Die höchste Höhe erreichte Kotzebues idealistische Poesie in den Hussiten
vor Naumburg (1803). Er nannte dasselbe ein Trauerspiel mit Chören
und huldigte durch diese Gesänge, die^fast nur von Kindern vorgetragen werden,
der Idee der Braut von Messina. Diesmal spielen die Kinder, die in den
übrigen Stücken Kotzebues trotz ihrer Wichtigkeit durch hineintrctende ältere
Personen wenigstens einigermaßen verdeckt werden, die Hauptrolle. Sie mar-
.Schirm in ihrer engelgleichen Unschuld, geführt von dem Viertelsmeister Wolf,
der als tugendhafter Mann sein Liebstes dem Vaterland" opfert, den vorgestreckten
Spießen der grausamen Hussiten entgegen. Diese senken sich vor dem rühren¬
den Anblick, die schrecklichen Menschenfresser werden milde und weich und unter
Thränen allgemeiner Rührung schließt das Stück, das sogar bei Wieland sehr
bedeutenden Beifall fand.

Unter den übrigen idealen Tragödien erwähnen wir Hugo Grotius
(1803), ein rührendes Familienstück, mit politischem Hintergrund. Grotius ist
der reine, edle, unschuldige Dulder, der umringt von jammernden Kindern und
von einer wahrhaft tyrannischen Willkür verfolgt, doch niemals der Stimme
seiner Leidenschaft Gehör gibt, sondern unverdrossen für das Beste der Mensch¬
heit arbeitet. Charakteristisch ist aber ein Zug, den wir später beim jungen
Deutschland häufig wieder gntreffen. Der Prinz von Oranien, der Barneveldt
unschuldig hinrichten läßt, und Grotius längere Zeit in Kerkerhaft hält, ist
eigentlich auch ein tugendhafter Mann, sorgt nur für das Beste der Mensch-


saß die Feinde zurückschreckt, ein finstrer König,, der von den Geistern seiner
Erschlagenen verfolgt wird, und öfters Erscheinen von Frauen mit fliegenden
Haaren. Die" rührenden Kinder fehlen diesmal, dagegen ist ein kleiner Zug
zu bemerken, der insofern von Wichtigkeit ist, als er den fortgesetzten Kampf
Kotzebues gegen die Vorurtheile versinnlicht. Gustav Wasa, der das ganze
Stück hindurch in den mannigfaltigsten Verkleidungen von seinen Verfolgern
gepeinigt wird, hat einmal einem Ritter das Ehrenwort gegeben, seinem Ge¬
fängniß nicht zu entfliehen, und ist doch entflohen; er ist demselben außerdem
eine große Summe schuldig geblieben. Der Ritter, der im Anfang sehr beleidigt
ist, wird durch Rührung zu seinen Gunsten gestimmt. Dieser Zug hat nicht
den geringsten Einfluß auf den Fortgang des Stücks, man muß ihn also als
einen principiellen auffassen. — „Bayard" ist echter Kotzebue. Er theilt eine
fabelhafte Menge von Almosen aus, rettet fortwährend die gekränkte Unschuld,
entsaft seiner Liebe unter erschwerenden Umständen mehre Male, lebt als Gegen¬
bild der Octavia nur für seine Pflicht und steht mit engelgleicher Gelassenheit
über dem Gefühl schlechter Leidenschaften. Solche Figuren entsprangen dem
bösen Beispiel Mar Piccolominis. Den unglücklichen Frauen, die sich in die¬
sen edlen Ritter verlieben, bleibt nichts übrig, als in Knabentracht für ihn
zu sterben.

Die höchste Höhe erreichte Kotzebues idealistische Poesie in den Hussiten
vor Naumburg (1803). Er nannte dasselbe ein Trauerspiel mit Chören
und huldigte durch diese Gesänge, die^fast nur von Kindern vorgetragen werden,
der Idee der Braut von Messina. Diesmal spielen die Kinder, die in den
übrigen Stücken Kotzebues trotz ihrer Wichtigkeit durch hineintrctende ältere
Personen wenigstens einigermaßen verdeckt werden, die Hauptrolle. Sie mar-
.Schirm in ihrer engelgleichen Unschuld, geführt von dem Viertelsmeister Wolf,
der als tugendhafter Mann sein Liebstes dem Vaterland« opfert, den vorgestreckten
Spießen der grausamen Hussiten entgegen. Diese senken sich vor dem rühren¬
den Anblick, die schrecklichen Menschenfresser werden milde und weich und unter
Thränen allgemeiner Rührung schließt das Stück, das sogar bei Wieland sehr
bedeutenden Beifall fand.

Unter den übrigen idealen Tragödien erwähnen wir Hugo Grotius
(1803), ein rührendes Familienstück, mit politischem Hintergrund. Grotius ist
der reine, edle, unschuldige Dulder, der umringt von jammernden Kindern und
von einer wahrhaft tyrannischen Willkür verfolgt, doch niemals der Stimme
seiner Leidenschaft Gehör gibt, sondern unverdrossen für das Beste der Mensch¬
heit arbeitet. Charakteristisch ist aber ein Zug, den wir später beim jungen
Deutschland häufig wieder gntreffen. Der Prinz von Oranien, der Barneveldt
unschuldig hinrichten läßt, und Grotius längere Zeit in Kerkerhaft hält, ist
eigentlich auch ein tugendhafter Mann, sorgt nur für das Beste der Mensch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/347>, abgerufen am 23.07.2024.