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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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er mit großen Ehrenbezeugungen empfangen, ja in die Akademie der Wissen¬
schaften ausgenommen wurde. Dort gab er in Verbindung mit Garlieb Merckel,
der in Weimar gleichfalls keine glänzenden Erfolge davongetragen hatte, den
"Freimüthigen" heraus, in dem, gegen Goethe und ti-e romantische Schule ein
sehr lebhafter Guerillakrieg geführt wurde.

Allein auf seine eignen Schöpfungen war jene Berührung mit den ideali¬
stischen Dichtern nicht ganz ohne Einfluß. Er versuchte selbst, was er in der
dealistischen Richtung leisten konnte. Sein erster Versuch war das Trauerspiel
Octavia 180-1. -Es ist nicht blos in Jamben geschrieben, sondern es steigert
sich in Momenten höherer Erregung zu einem Versmaß, welches offenbar der
Intention nach Herameter sein soll, welches zuweilen aber auch an den Pen¬
tameter erinnert, und sonst alle möglichen antiken Versfo.rnen in schöner Harmonie
anstreift. Er hat sich bemüht, antiquarische und andere gelehrte Notizen ein-
zuflechten, wie er es bei Schillers "Wallenstein" gemerkt, und seine Sprache
nimmt zuweilen einen Harz lyrischen Anflug.


Der Morgen graut. Auf stillem Meere schwimmt
Ein zweites Meer von dichten Nebelwogeu-,
Mit zartem Duft sind um mich her die Blumen
Weiß angehaucht: und wie ein leichtes Traumbild
Seh ich die Mauern Alexandriens
Aus stiller Dämmerung hervorgehn.

Natürlich blieben diese poetischen Anläufe vereinzelt; im übrigen erkennt man
den alten Kotzebue wieder heraus, auf dessen faunischem Gesicht sich die Schiller-
sche Schminke sehr sonderbar ausnimmt. Die Hauptperson Octavia ist ein
abstract tugendhaftes Wesen, welches sich um der Tugend willen mit großen
Vergnügen mit Füßen treten läßt: ihre Kinder spielen die gewöhnliche Rolle,
bei passenden Gelegenheiten Die fehlende Rührung herberzuführen. Kleopatra
ist die ganz gemeine Person, die fortwährend Gift mischt, Kinder raubt und
ähnliche Unthaten verübt. Eine ungemeine Aufklärung verbreitet sich ü-ber die
Formen des römischen Staatslebens, und diese Aufklärung ist bei Antonius
so groß, daß er in einer Hauptscene wie" der Weltumsegler La Peyrouse die
Arme um Octavia und Kleopatra zugleich ausstreckt und beide heirathen will.
Es gehört eine seltene Effronterie dazu, dieses ebenso weinerliche als lang¬
weilige Machwerk dem Shakspeare entgegenzustellen.

Der idealen Richtung gehören ferner die beiden historischen Stücke Gustav
Wasa und Bayard an, beide (-1802) in Jamben geschrieben und im histo¬
rischen Costüm gehalten. Das erste ist ganz- novellistisch und besteht aus einer
Reihe wunderbarer Abenteuer, die zum Theil zu ebenso großen Momenten
führen, wie Johanna von Montfaucon: eine Mutter, die der Hinrichtung preis¬
gegeben wird, eine Geliebte, die mit hoch erhobener Fackel vor einem Pulver-


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er mit großen Ehrenbezeugungen empfangen, ja in die Akademie der Wissen¬
schaften ausgenommen wurde. Dort gab er in Verbindung mit Garlieb Merckel,
der in Weimar gleichfalls keine glänzenden Erfolge davongetragen hatte, den
„Freimüthigen" heraus, in dem, gegen Goethe und ti-e romantische Schule ein
sehr lebhafter Guerillakrieg geführt wurde.

Allein auf seine eignen Schöpfungen war jene Berührung mit den ideali¬
stischen Dichtern nicht ganz ohne Einfluß. Er versuchte selbst, was er in der
dealistischen Richtung leisten konnte. Sein erster Versuch war das Trauerspiel
Octavia 180-1. -Es ist nicht blos in Jamben geschrieben, sondern es steigert
sich in Momenten höherer Erregung zu einem Versmaß, welches offenbar der
Intention nach Herameter sein soll, welches zuweilen aber auch an den Pen¬
tameter erinnert, und sonst alle möglichen antiken Versfo.rnen in schöner Harmonie
anstreift. Er hat sich bemüht, antiquarische und andere gelehrte Notizen ein-
zuflechten, wie er es bei Schillers „Wallenstein" gemerkt, und seine Sprache
nimmt zuweilen einen Harz lyrischen Anflug.


Der Morgen graut. Auf stillem Meere schwimmt
Ein zweites Meer von dichten Nebelwogeu-,
Mit zartem Duft sind um mich her die Blumen
Weiß angehaucht: und wie ein leichtes Traumbild
Seh ich die Mauern Alexandriens
Aus stiller Dämmerung hervorgehn.

Natürlich blieben diese poetischen Anläufe vereinzelt; im übrigen erkennt man
den alten Kotzebue wieder heraus, auf dessen faunischem Gesicht sich die Schiller-
sche Schminke sehr sonderbar ausnimmt. Die Hauptperson Octavia ist ein
abstract tugendhaftes Wesen, welches sich um der Tugend willen mit großen
Vergnügen mit Füßen treten läßt: ihre Kinder spielen die gewöhnliche Rolle,
bei passenden Gelegenheiten Die fehlende Rührung herberzuführen. Kleopatra
ist die ganz gemeine Person, die fortwährend Gift mischt, Kinder raubt und
ähnliche Unthaten verübt. Eine ungemeine Aufklärung verbreitet sich ü-ber die
Formen des römischen Staatslebens, und diese Aufklärung ist bei Antonius
so groß, daß er in einer Hauptscene wie« der Weltumsegler La Peyrouse die
Arme um Octavia und Kleopatra zugleich ausstreckt und beide heirathen will.
Es gehört eine seltene Effronterie dazu, dieses ebenso weinerliche als lang¬
weilige Machwerk dem Shakspeare entgegenzustellen.

Der idealen Richtung gehören ferner die beiden historischen Stücke Gustav
Wasa und Bayard an, beide (-1802) in Jamben geschrieben und im histo¬
rischen Costüm gehalten. Das erste ist ganz- novellistisch und besteht aus einer
Reihe wunderbarer Abenteuer, die zum Theil zu ebenso großen Momenten
führen, wie Johanna von Montfaucon: eine Mutter, die der Hinrichtung preis¬
gegeben wird, eine Geliebte, die mit hoch erhobener Fackel vor einem Pulver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/346>, abgerufen am 23.07.2024.