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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Ein Seitenstück zur Johanna von Montfaucon waren die Kreuz¬
fahrer, mit denen 1802 das neue Berliner Schauspielhaus eröffnet wurde.
Es gefiel weniger, obgleich es alle denkbaren Effecte aufbot, und obgleich die
Eomposition, wenn man von den gewöhnlichen Kotzebueschen Einfällen absieht,
nicht schlechter ist, als die irgend eines andern Stücks der Art. Der Ritter Bal-
duin von Eichenhorst hat einen Kreuzzug unternommen, ist längere Zelt bei den
Saracenen gefangen gewesen und man hat ihn für todt gehalten. Emma, seine
verlassene Braut, unternimmt einen Pilgerzug ins gelobte Land, um ihn auf¬
zusuchen; sie hört, daß er todt ist, und begibt sich in ein Kloster, in welchem die
Aebtissin Coelcstine, die verlassene Geliebte von Emmas Vater, sie mit einem gar
nicht uninteressanter Gemisch von Nachsucht und Mitleid empfängt. Da sie auf
keine irdische Liebe mehr hoffen kann, ,so nimmt sie den Schleier, zu Cölesti-
nens großer Befriedigung. Das Kloster hat zugleich die Pflege christlicher
^ Verwundeter auf sich. Ein verwundeter Ritter wird hereingeführt, Emma soll
ihn pflegen, sie erkennt in ihm ihren todtgcglaubten Geliebten. - Jetzt spricht
die Stimme der Natur, zwar nicht so lustig wie bei der Svnnenjungfrau, aber
doch vernehmlich genug, um die Nonne zuerst zu einer Umarmung, dann zu
einer Entführung zu bestimmen. Die Entführung wird hintertrieben und Emma
soll zur Strafe für ihren Frevel lebendig eingemauert werden. Alle diese Sce¬
nen sind zwar sehr roh und mit einem größern Aufwand äußerer theatralischer
Mittel ausgearbeitet, als der gute Geschmack verstattet: Donner, Blitze, Glocken¬
geläute, Flüche u. dergl., aber sie sind im wesentlichen mit sehr richtigem thea¬
tralischen Verstände gedacht und wenigstens die Aebtissin zeigt auch eine Spur
von Charakterbewegung. Die religiöse Befangenheit und die weltliche Leiden¬
schaft kreuzen sich in ihrem Kopfe; sie ist nicht eine abstracte Teufelin, wie
man sie sonst in ähnlichen Fällen wol antrifft., Emma wird eben eingemauert,
da trifft Balduin einen türkischen Emir, dessen Tochter er mit der gewöhnlichen
Großmuth eines Kotzebueschen Helden kurz vorher gerettet: er stürmt mit seinen
Leuten das Kloster und befreit die Geliebte. Um nun aber die Stimme der
Natur auch durch eine Stimme des Himmels nachträglich zu legalisiren, wird
zum Schluß noch der päpstliche Legat eingeführt, der den Thatbestand unter¬
sucht, Emma wegen ihrer frühern Verlobung ihres Klostergelübdes entbindet


Deine Tugend ist erhaben. -- Die Jahre schwinden. -- Die Tugend ist ewig. -- Die Liebe
flattert. -- Die Freundschaft wurzelt. -- Jene verwelkt. -- Diese beschattet im Alter."
Ein frommer Eremit, dem ein junges Mädchen einen Korb mit Früchten bringt, erwie¬
dert ihr: "Das Thier sättigt sich, der Mensch genießt." Als sie ihm erzählt, ein guter
Freund schmachte im Kerker, macht er die Bemerkung: "Den Tugendhaften kann man fesseln,
die Tugend nie."--Man lache übrigens nicht zu sehr über diese interessanten Dialoge.
Noch in unsern Tagen wird auf der Bühne so manches beklatscht, was nicht um einen
Gran vernünftiger ist. Diese Einmischung des Gefühls und der Reflexionen in die Unmittel-
barkeit des Handelns hat z. B. Gutzkow mit ebenso großem Eifer und vielleicht noch mit
größerem Erfolg betrieben.
Grenzboten. II. -I8si>. 43

Ein Seitenstück zur Johanna von Montfaucon waren die Kreuz¬
fahrer, mit denen 1802 das neue Berliner Schauspielhaus eröffnet wurde.
Es gefiel weniger, obgleich es alle denkbaren Effecte aufbot, und obgleich die
Eomposition, wenn man von den gewöhnlichen Kotzebueschen Einfällen absieht,
nicht schlechter ist, als die irgend eines andern Stücks der Art. Der Ritter Bal-
duin von Eichenhorst hat einen Kreuzzug unternommen, ist längere Zelt bei den
Saracenen gefangen gewesen und man hat ihn für todt gehalten. Emma, seine
verlassene Braut, unternimmt einen Pilgerzug ins gelobte Land, um ihn auf¬
zusuchen; sie hört, daß er todt ist, und begibt sich in ein Kloster, in welchem die
Aebtissin Coelcstine, die verlassene Geliebte von Emmas Vater, sie mit einem gar
nicht uninteressanter Gemisch von Nachsucht und Mitleid empfängt. Da sie auf
keine irdische Liebe mehr hoffen kann, ,so nimmt sie den Schleier, zu Cölesti-
nens großer Befriedigung. Das Kloster hat zugleich die Pflege christlicher
^ Verwundeter auf sich. Ein verwundeter Ritter wird hereingeführt, Emma soll
ihn pflegen, sie erkennt in ihm ihren todtgcglaubten Geliebten. - Jetzt spricht
die Stimme der Natur, zwar nicht so lustig wie bei der Svnnenjungfrau, aber
doch vernehmlich genug, um die Nonne zuerst zu einer Umarmung, dann zu
einer Entführung zu bestimmen. Die Entführung wird hintertrieben und Emma
soll zur Strafe für ihren Frevel lebendig eingemauert werden. Alle diese Sce¬
nen sind zwar sehr roh und mit einem größern Aufwand äußerer theatralischer
Mittel ausgearbeitet, als der gute Geschmack verstattet: Donner, Blitze, Glocken¬
geläute, Flüche u. dergl., aber sie sind im wesentlichen mit sehr richtigem thea¬
tralischen Verstände gedacht und wenigstens die Aebtissin zeigt auch eine Spur
von Charakterbewegung. Die religiöse Befangenheit und die weltliche Leiden¬
schaft kreuzen sich in ihrem Kopfe; sie ist nicht eine abstracte Teufelin, wie
man sie sonst in ähnlichen Fällen wol antrifft., Emma wird eben eingemauert,
da trifft Balduin einen türkischen Emir, dessen Tochter er mit der gewöhnlichen
Großmuth eines Kotzebueschen Helden kurz vorher gerettet: er stürmt mit seinen
Leuten das Kloster und befreit die Geliebte. Um nun aber die Stimme der
Natur auch durch eine Stimme des Himmels nachträglich zu legalisiren, wird
zum Schluß noch der päpstliche Legat eingeführt, der den Thatbestand unter¬
sucht, Emma wegen ihrer frühern Verlobung ihres Klostergelübdes entbindet


Deine Tugend ist erhaben. — Die Jahre schwinden. — Die Tugend ist ewig. — Die Liebe
flattert. — Die Freundschaft wurzelt. — Jene verwelkt. — Diese beschattet im Alter."
Ein frommer Eremit, dem ein junges Mädchen einen Korb mit Früchten bringt, erwie¬
dert ihr: „Das Thier sättigt sich, der Mensch genießt." Als sie ihm erzählt, ein guter
Freund schmachte im Kerker, macht er die Bemerkung: „Den Tugendhaften kann man fesseln,
die Tugend nie."--Man lache übrigens nicht zu sehr über diese interessanten Dialoge.
Noch in unsern Tagen wird auf der Bühne so manches beklatscht, was nicht um einen
Gran vernünftiger ist. Diese Einmischung des Gefühls und der Reflexionen in die Unmittel-
barkeit des Handelns hat z. B. Gutzkow mit ebenso großem Eifer und vielleicht noch mit
größerem Erfolg betrieben.
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[0345] Ein Seitenstück zur Johanna von Montfaucon waren die Kreuz¬ fahrer, mit denen 1802 das neue Berliner Schauspielhaus eröffnet wurde. Es gefiel weniger, obgleich es alle denkbaren Effecte aufbot, und obgleich die Eomposition, wenn man von den gewöhnlichen Kotzebueschen Einfällen absieht, nicht schlechter ist, als die irgend eines andern Stücks der Art. Der Ritter Bal- duin von Eichenhorst hat einen Kreuzzug unternommen, ist längere Zelt bei den Saracenen gefangen gewesen und man hat ihn für todt gehalten. Emma, seine verlassene Braut, unternimmt einen Pilgerzug ins gelobte Land, um ihn auf¬ zusuchen; sie hört, daß er todt ist, und begibt sich in ein Kloster, in welchem die Aebtissin Coelcstine, die verlassene Geliebte von Emmas Vater, sie mit einem gar nicht uninteressanter Gemisch von Nachsucht und Mitleid empfängt. Da sie auf keine irdische Liebe mehr hoffen kann, ,so nimmt sie den Schleier, zu Cölesti- nens großer Befriedigung. Das Kloster hat zugleich die Pflege christlicher ^ Verwundeter auf sich. Ein verwundeter Ritter wird hereingeführt, Emma soll ihn pflegen, sie erkennt in ihm ihren todtgcglaubten Geliebten. - Jetzt spricht die Stimme der Natur, zwar nicht so lustig wie bei der Svnnenjungfrau, aber doch vernehmlich genug, um die Nonne zuerst zu einer Umarmung, dann zu einer Entführung zu bestimmen. Die Entführung wird hintertrieben und Emma soll zur Strafe für ihren Frevel lebendig eingemauert werden. Alle diese Sce¬ nen sind zwar sehr roh und mit einem größern Aufwand äußerer theatralischer Mittel ausgearbeitet, als der gute Geschmack verstattet: Donner, Blitze, Glocken¬ geläute, Flüche u. dergl., aber sie sind im wesentlichen mit sehr richtigem thea¬ tralischen Verstände gedacht und wenigstens die Aebtissin zeigt auch eine Spur von Charakterbewegung. Die religiöse Befangenheit und die weltliche Leiden¬ schaft kreuzen sich in ihrem Kopfe; sie ist nicht eine abstracte Teufelin, wie man sie sonst in ähnlichen Fällen wol antrifft., Emma wird eben eingemauert, da trifft Balduin einen türkischen Emir, dessen Tochter er mit der gewöhnlichen Großmuth eines Kotzebueschen Helden kurz vorher gerettet: er stürmt mit seinen Leuten das Kloster und befreit die Geliebte. Um nun aber die Stimme der Natur auch durch eine Stimme des Himmels nachträglich zu legalisiren, wird zum Schluß noch der päpstliche Legat eingeführt, der den Thatbestand unter¬ sucht, Emma wegen ihrer frühern Verlobung ihres Klostergelübdes entbindet Deine Tugend ist erhaben. — Die Jahre schwinden. — Die Tugend ist ewig. — Die Liebe flattert. — Die Freundschaft wurzelt. — Jene verwelkt. — Diese beschattet im Alter." Ein frommer Eremit, dem ein junges Mädchen einen Korb mit Früchten bringt, erwie¬ dert ihr: „Das Thier sättigt sich, der Mensch genießt." Als sie ihm erzählt, ein guter Freund schmachte im Kerker, macht er die Bemerkung: „Den Tugendhaften kann man fesseln, die Tugend nie."--Man lache übrigens nicht zu sehr über diese interessanten Dialoge. Noch in unsern Tagen wird auf der Bühne so manches beklatscht, was nicht um einen Gran vernünftiger ist. Diese Einmischung des Gefühls und der Reflexionen in die Unmittel- barkeit des Handelns hat z. B. Gutzkow mit ebenso großem Eifer und vielleicht noch mit größerem Erfolg betrieben. Grenzboten. II. -I8si>. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/344>, abgerufen am 22.12.2024.