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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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der nur in Kategorien redet, und der bei allem, was er thun will, vorher die
Regeln des kantischen Moralprincips in Erwägung zieht. Das alles waren
zum Theil ganz günstige Vorwürfe für eine komische Darstellung, aber die
Satire wird fortwährend plump, weil der Dichter über seinen Gegenstand nicht
Herr ist, und verfehlt dadurch ihren Zweck. Dieser Sucht zu glänzen wird
wieder die Stimme der Natur entgegengesetzt, aber in so allmäligen-Abstufungen,
daß .zuletzt nur noch eine ganz verdünnte Natur übrigbleibt: zunächst der
würdige Edelmann, der patriarchalisch auf seinen Gütern lebt, dann sein Sohn,
der leine Schulmeisterstochter liebt, endlich dies bürgerliche Mädchen, dessen
Natur leider auch durch eine sehr reflectirte Bildung vermittelt ist. "Du rohes
Kind der Natur" sagt sie einmal zu einem Bauerburschen, "fast beneide ich
dich. Wollte der Himmel, ich wäre ganz Bäuerin, hätte nichts gelesen als
das Noth- und Hilfsbüchlein und kennte keine größere Freude, als den Sonn¬
tagstanz unter der Linde. Wer den Pegasus, vor einen Pflug spannen muß,
dem wäre besser, er besäße nur ein gemeines Ackerpferd." -- Man- muß ge¬
stehen, daß die Natur bei Jffland einen derberen und kräftigeren Inhalt hat. --

Andere Satiren, die auf einzelne vorübergehende Gebrechen gehen, z. B.
"die Organe des Gehirns" 1806 sind wenigstens im einzelnen sehr komisch,
und finden bei der Wiederkehr der verspotteten Thorheit auch wol jetzt noch
ihre Stätte auf dem Theater.

Man hat sich mehrfach über den Einfluß des französischen Lustspiels aus
das deutsche beschwert, namentlich wegen des unsittlichen Inhalts, der dadurch
auf unsere Bühne übertragen wird, und wir sind auch weit entfernt, die Reaction
dieses moralischen Gefühls verkleinern zu wollen. Die Art und Weise, wie
die französischen Lustspieldichter namentlich die Ehe auffassen, ist in der That
unsittlich. Nach ihren Begriffen wird der Ehemann durch die Untreue seiner
Frau beschimpft, und doch ist es sast eine Gewohnheitspflicht unter jungen
Leuten von Welt, verheirathete Frauen zu verführen. Es verletzt unser Gefühl,
wenn ein würdiger Mann mit einem solchen Makel befleckt wird, den man bei
einem Georg Daudin wol gelten lassen mag. Aber man darf nur von der
Tugend unsrer eignen Lustspielvichter nicht viel Rühmens machen. Stücke wie
die "beiden Kliiigsberge" (1801) und der "Rehbock" haben auf miserm Theater
lange Zeit sehr großes Glück gemacht. Sie sind mit großem Geschick gearbeitet
und namentlich der "Rehbock" möchte Kotzebues bestes Lustspiel sein, wie er sich
denn auch in seiner Abschwächung durch Lortzing als eine sehr beliebte Oper
"halten hat. Aber der Inhalt dieses Stücks ist doch von der Art, daß er selbst
ein französisches Vorstabtpublicum außer Fassung setzen würde. Es ist von.
Anfang bis zu Ende die durchgeführte Zote und zwar eine so plumpe und
freche Zote, daß Beaumarchais "Figaro" dagegen wie ein Tugendspiegel
aussieht.


der nur in Kategorien redet, und der bei allem, was er thun will, vorher die
Regeln des kantischen Moralprincips in Erwägung zieht. Das alles waren
zum Theil ganz günstige Vorwürfe für eine komische Darstellung, aber die
Satire wird fortwährend plump, weil der Dichter über seinen Gegenstand nicht
Herr ist, und verfehlt dadurch ihren Zweck. Dieser Sucht zu glänzen wird
wieder die Stimme der Natur entgegengesetzt, aber in so allmäligen-Abstufungen,
daß .zuletzt nur noch eine ganz verdünnte Natur übrigbleibt: zunächst der
würdige Edelmann, der patriarchalisch auf seinen Gütern lebt, dann sein Sohn,
der leine Schulmeisterstochter liebt, endlich dies bürgerliche Mädchen, dessen
Natur leider auch durch eine sehr reflectirte Bildung vermittelt ist. „Du rohes
Kind der Natur" sagt sie einmal zu einem Bauerburschen, „fast beneide ich
dich. Wollte der Himmel, ich wäre ganz Bäuerin, hätte nichts gelesen als
das Noth- und Hilfsbüchlein und kennte keine größere Freude, als den Sonn¬
tagstanz unter der Linde. Wer den Pegasus, vor einen Pflug spannen muß,
dem wäre besser, er besäße nur ein gemeines Ackerpferd." — Man- muß ge¬
stehen, daß die Natur bei Jffland einen derberen und kräftigeren Inhalt hat. —

Andere Satiren, die auf einzelne vorübergehende Gebrechen gehen, z. B.
„die Organe des Gehirns" 1806 sind wenigstens im einzelnen sehr komisch,
und finden bei der Wiederkehr der verspotteten Thorheit auch wol jetzt noch
ihre Stätte auf dem Theater.

Man hat sich mehrfach über den Einfluß des französischen Lustspiels aus
das deutsche beschwert, namentlich wegen des unsittlichen Inhalts, der dadurch
auf unsere Bühne übertragen wird, und wir sind auch weit entfernt, die Reaction
dieses moralischen Gefühls verkleinern zu wollen. Die Art und Weise, wie
die französischen Lustspieldichter namentlich die Ehe auffassen, ist in der That
unsittlich. Nach ihren Begriffen wird der Ehemann durch die Untreue seiner
Frau beschimpft, und doch ist es sast eine Gewohnheitspflicht unter jungen
Leuten von Welt, verheirathete Frauen zu verführen. Es verletzt unser Gefühl,
wenn ein würdiger Mann mit einem solchen Makel befleckt wird, den man bei
einem Georg Daudin wol gelten lassen mag. Aber man darf nur von der
Tugend unsrer eignen Lustspielvichter nicht viel Rühmens machen. Stücke wie
die „beiden Kliiigsberge" (1801) und der „Rehbock" haben auf miserm Theater
lange Zeit sehr großes Glück gemacht. Sie sind mit großem Geschick gearbeitet
und namentlich der „Rehbock" möchte Kotzebues bestes Lustspiel sein, wie er sich
denn auch in seiner Abschwächung durch Lortzing als eine sehr beliebte Oper
"halten hat. Aber der Inhalt dieses Stücks ist doch von der Art, daß er selbst
ein französisches Vorstabtpublicum außer Fassung setzen würde. Es ist von.
Anfang bis zu Ende die durchgeführte Zote und zwar eine so plumpe und
freche Zote, daß Beaumarchais „Figaro" dagegen wie ein Tugendspiegel
aussieht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/340>, abgerufen am 23.07.2024.