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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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verführt, Argwohn gegen ihre Tugend faßt. Charakteristisch sind hier nur
einige Umstände. Während zuerst der gesammte Hof und die Regierung als
eine Sammlung von Schurken geschildert werden, verwandeln sie sich zum
Schluß in lauter tugendhafte, nur vorübergehend,bethörte Menschen. Dies
Wunder wird durch einen Engländer vollbracht,' der offen dem Minister ent¬
gegenzutreten wagt, während die gesammten .deutschen Unterthanen, auch die
Wohlgesinnten, vor ihm kriechen. Es ist eine bittere Wahrheit in dieser Auf¬
fassung. Recht rührend ist es aber, daß als die Unschuld des braven Moorland
an den Tag kommt, der gleichfalls beim Minister verleumdet worden, man
unter seinen, Papieren auch ein angefangenes Geburtstagsgedicht für den
Minister entdeckt. -- Wie werden da die Uebelgesinnten beschämt! Daß serner
Madame Moorland ihrer schelmischen Schwägerin ausführlich erzählt, sie sei
in interessanten Umständen, obgleich diese Umstände nicht das Geringste zur
weiteren Entwicklung beitragen. -- Wir übergehen die e-igentlichen Rührstücke,
z. B. "die silberne Hochzeit" (1799) "üble Laune" (1799) "das Schreibpult"
(1800) "Lohn der Wahrheit" (-1801) u. s. w. Ueberall wird die verborgene
Tugend von der bösen europäischen Cultur verkannt und dann durch einen
höchst merkwürdigen Maschinismus des Schickssals gerettet. In der Erfindung
von Unwahrscheinlichkeiten in der Situation ist Kotzebue größer, als irgend
ein anderer Dichter. Noch viel merkwürdiger ist er in seinen Motiven. Denn
die Stimme der Natur macht sich überall vernehmlich, auch gegen Soldaten,
Büttel und Polizeisergeanten. Wenn ein hungriger Vater recht kläglich vor
ihnen weint, trägt fast immer das Gefühl den Sieg über die abstracte Pflicht
davon und die "deutsche Hausfrau" entwindet dem Offizier, der eben noch von
seinem Diensteid gepoltert, mit sanfter Gewalt das Document, das ihren Gatten
ins Zuchthaus bringen würde und wirst es ins Feuer. Es ist eine jämmer¬
liche Gefühlswirthschaft in allen diesen Stücken. Die Convenienz ist immer
nur ein lever Schein, der von jedem starken Hauch zusammenschmilzt. --

Ein ganz unzweifelhaftes und höchst bedeutendes Talent hatte Kotzebue für das
eigentliche Lustspiel, namentlich wo es in das Gebiet des Possenhaften fällt. In
der Erfindung komischer Situationen, in dem tollen Wirrwarr von Mißverständ¬
nissen und bunten lächerlichen Masken ist er unerschöpflich. Zwar wird man auch
hier niemals ganz befriedigt. Denn die Charakteristik und die Erfindung der Si¬
tuationen ist einerseits unwahr, andererseits doch wieder nicht so frei, um den
Zuschauer ganz in eine unbefangene poetische Welt zu versetzen und jeden
Gedanken der Wirklichkeit abzuschneiden. Ein schlimmerer Fehler ist die Rohheit
der Sprache. Darin sind wir Deutsche nebst den Engländern hinter den
übrigen Nationen weit zurück. Wir sind sehr selten im Stande, daS Komische zu
genießen, wenn es nicht mit einer starken Dosis von Gemeinheit 'zersetzt ist.
In dieser Beziehung müßten uns die Spanier, Franzosen und Italiener als


verführt, Argwohn gegen ihre Tugend faßt. Charakteristisch sind hier nur
einige Umstände. Während zuerst der gesammte Hof und die Regierung als
eine Sammlung von Schurken geschildert werden, verwandeln sie sich zum
Schluß in lauter tugendhafte, nur vorübergehend,bethörte Menschen. Dies
Wunder wird durch einen Engländer vollbracht,' der offen dem Minister ent¬
gegenzutreten wagt, während die gesammten .deutschen Unterthanen, auch die
Wohlgesinnten, vor ihm kriechen. Es ist eine bittere Wahrheit in dieser Auf¬
fassung. Recht rührend ist es aber, daß als die Unschuld des braven Moorland
an den Tag kommt, der gleichfalls beim Minister verleumdet worden, man
unter seinen, Papieren auch ein angefangenes Geburtstagsgedicht für den
Minister entdeckt. — Wie werden da die Uebelgesinnten beschämt! Daß serner
Madame Moorland ihrer schelmischen Schwägerin ausführlich erzählt, sie sei
in interessanten Umständen, obgleich diese Umstände nicht das Geringste zur
weiteren Entwicklung beitragen. — Wir übergehen die e-igentlichen Rührstücke,
z. B. „die silberne Hochzeit" (1799) „üble Laune" (1799) „das Schreibpult"
(1800) „Lohn der Wahrheit" (-1801) u. s. w. Ueberall wird die verborgene
Tugend von der bösen europäischen Cultur verkannt und dann durch einen
höchst merkwürdigen Maschinismus des Schickssals gerettet. In der Erfindung
von Unwahrscheinlichkeiten in der Situation ist Kotzebue größer, als irgend
ein anderer Dichter. Noch viel merkwürdiger ist er in seinen Motiven. Denn
die Stimme der Natur macht sich überall vernehmlich, auch gegen Soldaten,
Büttel und Polizeisergeanten. Wenn ein hungriger Vater recht kläglich vor
ihnen weint, trägt fast immer das Gefühl den Sieg über die abstracte Pflicht
davon und die „deutsche Hausfrau" entwindet dem Offizier, der eben noch von
seinem Diensteid gepoltert, mit sanfter Gewalt das Document, das ihren Gatten
ins Zuchthaus bringen würde und wirst es ins Feuer. Es ist eine jämmer¬
liche Gefühlswirthschaft in allen diesen Stücken. Die Convenienz ist immer
nur ein lever Schein, der von jedem starken Hauch zusammenschmilzt. —

Ein ganz unzweifelhaftes und höchst bedeutendes Talent hatte Kotzebue für das
eigentliche Lustspiel, namentlich wo es in das Gebiet des Possenhaften fällt. In
der Erfindung komischer Situationen, in dem tollen Wirrwarr von Mißverständ¬
nissen und bunten lächerlichen Masken ist er unerschöpflich. Zwar wird man auch
hier niemals ganz befriedigt. Denn die Charakteristik und die Erfindung der Si¬
tuationen ist einerseits unwahr, andererseits doch wieder nicht so frei, um den
Zuschauer ganz in eine unbefangene poetische Welt zu versetzen und jeden
Gedanken der Wirklichkeit abzuschneiden. Ein schlimmerer Fehler ist die Rohheit
der Sprache. Darin sind wir Deutsche nebst den Engländern hinter den
übrigen Nationen weit zurück. Wir sind sehr selten im Stande, daS Komische zu
genießen, wenn es nicht mit einer starken Dosis von Gemeinheit 'zersetzt ist.
In dieser Beziehung müßten uns die Spanier, Franzosen und Italiener als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/337>, abgerufen am 23.07.2024.