Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erscheinen, wenn es uns nicht durch die vielfältigsten Zeugnisse und zwar von
ausgemachten Gegnern bestätigt würde. Namentlich bei den Engländern stei¬
gerte, sich der Ruhm unsres Dichters schnell zur enthusiastischen Verehrung.--
Die Sprache des Stücks ist eine Mischung von Rohheit und Trivialität, dabei
ist aber in der Art, wie halbwahre Sentenzen und unfertige Bilder aneinan-
dergeknüpft werden, bereits das Vorbild des jungen Deutschland. An dem
Inhalt dieser Sentenzen hat der Zeitgeschmack manches verändert, aber die
Formen stimmen so auffallend überein, daß wir es übernehmen wollten, ganze
Scenen von Kotzebue und von Gutzkow durcheinanderzuwersen, -ohne daß der
Leser den Unterschied merken sollte. -- Was den Inhalt betrifft, so wurde da¬
mals und später von Seiten der Romantiker vorzüglich gegen die Moralität
desselben gekämpst, wobei freilich die letzteren, etwas behutsamer hätten sein sol¬
len, denn ihre eignen Schriften hätten eine strenge Prüfung nicht ausgehalten.
Man hätte das Ganze von der ästhetischen Seite fassen sollen. Daß einem
reuigen Sünder vergeben wird, ist an sich nicht unmoralisch und die Stimmung
z, B. in Goethes früheren Stücken, in Clavigo, Stell" u. s. w. beruht.auf
einer nicht.viel festeren sittlichen Grundlage. Aber der Zustand , in dem sich
Eulalia, die ihrem Mann untreu geworden und mit einem Liebhaber durchge¬
gangen ist, in ihrer Neue das ganze Stück hindurch zu den Füßen aller auf¬
tretenden Personen windet, ist ein kläglicher und erbärmlicher und muß jedes
ästhetische Gefühl empören. Sie vertheilt zwar mit dem gewöhnlichen Kotze-
bueschen Eifer, um ihre Sünde zu büßen, eine Masse Almosen an arme Leute,
und rust dadurch stille Thränen der Dankbarkeit hervor, allein diese können
unsre ästhetische Empfindung nicht versöhnen, wie zart sie auch "die Augen nie¬
derschlägt und mit der Verwirrung einer schönen Seele kämpft, welche man
aus einer guten That ertappt hat." Sämmtliche Betheiligte überzeugen sich
im Laufe des Stücks,, daß sie eigentlich eine sehr tugendhafte Person ist. "Wer
könnte diese Büßende hassen?" sagt einmal ihre Beschützerin. "Nein, Sie sind
nicht lasterhaft, der Augenblick Ihrer Verirrung war ein Traum, ein Rausch,
ein Wahnsinn." Dieselbe Ansicht wird von den übrigen ausgesprochen. Hier
wäre es aber doch wichtig, zu erfahren, aus welche Weise denn dieser Engel
zum,Laster verführt worden ist. Aber darüber wird uns nichts mitgetheilt.
Eulalia begnügt sich damit, der Gräfin zu erklären: "Sie stoßen da aus eine
Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte." -- Ihr verlassener Gemahl, der Oberst
Mairan, der als unbekannter, edler Menschenfeind finster durch das ganze
Stück geht, bis er endlich erweicht wird, spielt eine ähnliche Rolle. Er gehört zu
jenen molluskenartigen Geschöpfen, die keine feste sittliche Bestimmtheit, weder
Vorurtheile uoch Grundsätze in sich tragen, und die daher von jedem Winde
des Gefühls bewegt werden. Der Dichter selbst, der überhaupt die Kunst er¬
funden hat, ganze Scenen lang seine Figuren lediglich durch Grimassen und


erscheinen, wenn es uns nicht durch die vielfältigsten Zeugnisse und zwar von
ausgemachten Gegnern bestätigt würde. Namentlich bei den Engländern stei¬
gerte, sich der Ruhm unsres Dichters schnell zur enthusiastischen Verehrung.—
Die Sprache des Stücks ist eine Mischung von Rohheit und Trivialität, dabei
ist aber in der Art, wie halbwahre Sentenzen und unfertige Bilder aneinan-
dergeknüpft werden, bereits das Vorbild des jungen Deutschland. An dem
Inhalt dieser Sentenzen hat der Zeitgeschmack manches verändert, aber die
Formen stimmen so auffallend überein, daß wir es übernehmen wollten, ganze
Scenen von Kotzebue und von Gutzkow durcheinanderzuwersen, -ohne daß der
Leser den Unterschied merken sollte. — Was den Inhalt betrifft, so wurde da¬
mals und später von Seiten der Romantiker vorzüglich gegen die Moralität
desselben gekämpst, wobei freilich die letzteren, etwas behutsamer hätten sein sol¬
len, denn ihre eignen Schriften hätten eine strenge Prüfung nicht ausgehalten.
Man hätte das Ganze von der ästhetischen Seite fassen sollen. Daß einem
reuigen Sünder vergeben wird, ist an sich nicht unmoralisch und die Stimmung
z, B. in Goethes früheren Stücken, in Clavigo, Stell« u. s. w. beruht.auf
einer nicht.viel festeren sittlichen Grundlage. Aber der Zustand , in dem sich
Eulalia, die ihrem Mann untreu geworden und mit einem Liebhaber durchge¬
gangen ist, in ihrer Neue das ganze Stück hindurch zu den Füßen aller auf¬
tretenden Personen windet, ist ein kläglicher und erbärmlicher und muß jedes
ästhetische Gefühl empören. Sie vertheilt zwar mit dem gewöhnlichen Kotze-
bueschen Eifer, um ihre Sünde zu büßen, eine Masse Almosen an arme Leute,
und rust dadurch stille Thränen der Dankbarkeit hervor, allein diese können
unsre ästhetische Empfindung nicht versöhnen, wie zart sie auch „die Augen nie¬
derschlägt und mit der Verwirrung einer schönen Seele kämpft, welche man
aus einer guten That ertappt hat." Sämmtliche Betheiligte überzeugen sich
im Laufe des Stücks,, daß sie eigentlich eine sehr tugendhafte Person ist. „Wer
könnte diese Büßende hassen?" sagt einmal ihre Beschützerin. „Nein, Sie sind
nicht lasterhaft, der Augenblick Ihrer Verirrung war ein Traum, ein Rausch,
ein Wahnsinn." Dieselbe Ansicht wird von den übrigen ausgesprochen. Hier
wäre es aber doch wichtig, zu erfahren, aus welche Weise denn dieser Engel
zum,Laster verführt worden ist. Aber darüber wird uns nichts mitgetheilt.
Eulalia begnügt sich damit, der Gräfin zu erklären: „Sie stoßen da aus eine
Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte." — Ihr verlassener Gemahl, der Oberst
Mairan, der als unbekannter, edler Menschenfeind finster durch das ganze
Stück geht, bis er endlich erweicht wird, spielt eine ähnliche Rolle. Er gehört zu
jenen molluskenartigen Geschöpfen, die keine feste sittliche Bestimmtheit, weder
Vorurtheile uoch Grundsätze in sich tragen, und die daher von jedem Winde
des Gefühls bewegt werden. Der Dichter selbst, der überhaupt die Kunst er¬
funden hat, ganze Scenen lang seine Figuren lediglich durch Grimassen und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98112"/>
          <p xml:id="ID_1044" prev="#ID_1043" next="#ID_1045"> erscheinen, wenn es uns nicht durch die vielfältigsten Zeugnisse und zwar von<lb/>
ausgemachten Gegnern bestätigt würde.  Namentlich bei den Engländern stei¬<lb/>
gerte, sich der Ruhm unsres Dichters schnell zur enthusiastischen Verehrung.&#x2014;<lb/>
Die Sprache des Stücks ist eine Mischung von Rohheit und Trivialität, dabei<lb/>
ist aber in der Art, wie halbwahre Sentenzen und unfertige Bilder aneinan-<lb/>
dergeknüpft werden, bereits das Vorbild des jungen Deutschland.  An dem<lb/>
Inhalt dieser Sentenzen hat der Zeitgeschmack manches verändert, aber die<lb/>
Formen stimmen so auffallend überein, daß wir es übernehmen wollten, ganze<lb/>
Scenen von Kotzebue und von Gutzkow durcheinanderzuwersen, -ohne daß der<lb/>
Leser den Unterschied merken sollte. &#x2014; Was den Inhalt betrifft, so wurde da¬<lb/>
mals und später von Seiten der Romantiker vorzüglich gegen die Moralität<lb/>
desselben gekämpst, wobei freilich die letzteren, etwas behutsamer hätten sein sol¬<lb/>
len, denn ihre eignen Schriften hätten eine strenge Prüfung nicht ausgehalten.<lb/>
Man hätte das Ganze von der ästhetischen Seite fassen sollen.  Daß einem<lb/>
reuigen Sünder vergeben wird, ist an sich nicht unmoralisch und die Stimmung<lb/>
z, B. in Goethes früheren Stücken, in Clavigo, Stell« u. s. w. beruht.auf<lb/>
einer nicht.viel festeren sittlichen Grundlage.  Aber der Zustand , in dem sich<lb/>
Eulalia, die ihrem Mann untreu geworden und mit einem Liebhaber durchge¬<lb/>
gangen ist, in ihrer Neue das ganze Stück hindurch zu den Füßen aller auf¬<lb/>
tretenden Personen windet, ist ein kläglicher und erbärmlicher und muß jedes<lb/>
ästhetische Gefühl empören.  Sie vertheilt zwar mit dem gewöhnlichen Kotze-<lb/>
bueschen Eifer, um ihre Sünde zu büßen, eine Masse Almosen an arme Leute,<lb/>
und rust dadurch stille Thränen der Dankbarkeit hervor, allein diese können<lb/>
unsre ästhetische Empfindung nicht versöhnen, wie zart sie auch &#x201E;die Augen nie¬<lb/>
derschlägt und mit der Verwirrung einer schönen Seele kämpft, welche man<lb/>
aus einer guten That ertappt hat."  Sämmtliche Betheiligte überzeugen sich<lb/>
im Laufe des Stücks,, daß sie eigentlich eine sehr tugendhafte Person ist. &#x201E;Wer<lb/>
könnte diese Büßende hassen?" sagt einmal ihre Beschützerin. &#x201E;Nein, Sie sind<lb/>
nicht lasterhaft, der Augenblick Ihrer Verirrung war ein Traum, ein Rausch,<lb/>
ein Wahnsinn." Dieselbe Ansicht wird von den übrigen ausgesprochen. Hier<lb/>
wäre es aber doch wichtig, zu erfahren, aus welche Weise denn dieser Engel<lb/>
zum,Laster verführt worden ist.  Aber darüber wird uns nichts mitgetheilt.<lb/>
Eulalia begnügt sich damit, der Gräfin zu erklären: &#x201E;Sie stoßen da aus eine<lb/>
Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte." &#x2014; Ihr verlassener Gemahl, der Oberst<lb/>
Mairan, der als unbekannter, edler Menschenfeind finster durch das ganze<lb/>
Stück geht, bis er endlich erweicht wird, spielt eine ähnliche Rolle. Er gehört zu<lb/>
jenen molluskenartigen Geschöpfen, die keine feste sittliche Bestimmtheit, weder<lb/>
Vorurtheile uoch Grundsätze in sich tragen, und die daher von jedem Winde<lb/>
des Gefühls bewegt werden.  Der Dichter selbst, der überhaupt die Kunst er¬<lb/>
funden hat, ganze Scenen lang seine Figuren lediglich durch Grimassen und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] erscheinen, wenn es uns nicht durch die vielfältigsten Zeugnisse und zwar von ausgemachten Gegnern bestätigt würde. Namentlich bei den Engländern stei¬ gerte, sich der Ruhm unsres Dichters schnell zur enthusiastischen Verehrung.— Die Sprache des Stücks ist eine Mischung von Rohheit und Trivialität, dabei ist aber in der Art, wie halbwahre Sentenzen und unfertige Bilder aneinan- dergeknüpft werden, bereits das Vorbild des jungen Deutschland. An dem Inhalt dieser Sentenzen hat der Zeitgeschmack manches verändert, aber die Formen stimmen so auffallend überein, daß wir es übernehmen wollten, ganze Scenen von Kotzebue und von Gutzkow durcheinanderzuwersen, -ohne daß der Leser den Unterschied merken sollte. — Was den Inhalt betrifft, so wurde da¬ mals und später von Seiten der Romantiker vorzüglich gegen die Moralität desselben gekämpst, wobei freilich die letzteren, etwas behutsamer hätten sein sol¬ len, denn ihre eignen Schriften hätten eine strenge Prüfung nicht ausgehalten. Man hätte das Ganze von der ästhetischen Seite fassen sollen. Daß einem reuigen Sünder vergeben wird, ist an sich nicht unmoralisch und die Stimmung z, B. in Goethes früheren Stücken, in Clavigo, Stell« u. s. w. beruht.auf einer nicht.viel festeren sittlichen Grundlage. Aber der Zustand , in dem sich Eulalia, die ihrem Mann untreu geworden und mit einem Liebhaber durchge¬ gangen ist, in ihrer Neue das ganze Stück hindurch zu den Füßen aller auf¬ tretenden Personen windet, ist ein kläglicher und erbärmlicher und muß jedes ästhetische Gefühl empören. Sie vertheilt zwar mit dem gewöhnlichen Kotze- bueschen Eifer, um ihre Sünde zu büßen, eine Masse Almosen an arme Leute, und rust dadurch stille Thränen der Dankbarkeit hervor, allein diese können unsre ästhetische Empfindung nicht versöhnen, wie zart sie auch „die Augen nie¬ derschlägt und mit der Verwirrung einer schönen Seele kämpft, welche man aus einer guten That ertappt hat." Sämmtliche Betheiligte überzeugen sich im Laufe des Stücks,, daß sie eigentlich eine sehr tugendhafte Person ist. „Wer könnte diese Büßende hassen?" sagt einmal ihre Beschützerin. „Nein, Sie sind nicht lasterhaft, der Augenblick Ihrer Verirrung war ein Traum, ein Rausch, ein Wahnsinn." Dieselbe Ansicht wird von den übrigen ausgesprochen. Hier wäre es aber doch wichtig, zu erfahren, aus welche Weise denn dieser Engel zum,Laster verführt worden ist. Aber darüber wird uns nichts mitgetheilt. Eulalia begnügt sich damit, der Gräfin zu erklären: „Sie stoßen da aus eine Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte." — Ihr verlassener Gemahl, der Oberst Mairan, der als unbekannter, edler Menschenfeind finster durch das ganze Stück geht, bis er endlich erweicht wird, spielt eine ähnliche Rolle. Er gehört zu jenen molluskenartigen Geschöpfen, die keine feste sittliche Bestimmtheit, weder Vorurtheile uoch Grundsätze in sich tragen, und die daher von jedem Winde des Gefühls bewegt werden. Der Dichter selbst, der überhaupt die Kunst er¬ funden hat, ganze Scenen lang seine Figuren lediglich durch Grimassen und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/331>, abgerufen am 22.12.2024.