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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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liebe Concurrenz vorbeugen? Irgend ein Witzblatt hat die Friedensapostel vor¬
gestellt, wie sie die Kosacken dadurch zu entwaffnen suchen, daß sie sie zum Lachen
bringen; sie führen mit der ehrbarsten Miene von der Welt groteske Tänze vor
ihren Augen auf. Das Mittel hat nicht viel Wahrscheinlichkeit des Gelingens,
aber doch noch viel mehr als die friedliche.Concurrenz, wenn die russischen Armeen in
Konstantinopel einrücken. Herr v. Ficquelmont gibt sich auch nicht die geringste
Mühe, uns über die Art und Weise, wie er sich diese Wirksamkeit denkt, näher
aufzuklären. Er springt plötzlich von der Religion zur Flüchtlingsfrage ab; er
greift auf das leidenschaftlichste die englische Politik an und erklärt: "So lange
England seine Polizcigesetzgcbung nicht mit den Polizeigcsetzen des Continents in
entsprechenden Einklang bringt, so lange wird ihm die öffentliche Meinung des
Continents entschieden ungünstig bleiben. So lange die Revolntivnöpartci den
Boden Englands als den Stützpunkt des Hebels betrachten darf, welcher die Re¬
volutionen in Bewegung setzt, so lange werden die Regierungen England als
ihren offenen oder geheimen Feind betrachten." -- So scheint also, wie früher
Rußland, jetzt England der Feind zu sein, welcher die Unabhängigkeit Europas
bedroht. Herr v. Ficquelmont setzt ferner auseinander, daß die Zwecke der Wcst-
mächte mit denen Oestreichs nicht Hand in Hand gehen können. "Oestreich darf
nicht dazu beitrage", die Türkei hinlänglich stark zu machen, um sie in den'Stand
zu setzen, für-sich allein der Macht Rußlands das Gegengewicht zu halten. Denn
was hätte es für eine Bürgschaft dafür, daß die Pforte ihre Kräfte nicht gegen
seine eignen Staaten wende? Oestreich will keine Amnrath mehr 'und keine
Soliman!" -- Bei einer solchen Anschauung der Dinge hört freilich jede Autwort
auf, denn sie sieht mehr nach der Vision eines Fieberkranken, als nach der ruhigen
Ueberlegung eines Staatsmanns ans. -- " Oestreich will ebensowenig ein dem
Princip der Revolution anheim gefallenes türkisches Reich." -- Was das heißen
soll, wird zwar nicht genauer gesagt, es scheint aber, daß Herr v. Ficqnelmvnt
die Modernisirung der türkischen Staatsformen darunter versteht-- wenn man
davon die Consequenz zieht, müßte man auch die Forderung Europas, die Pforte
solle die Christen emancipiren, als eine revolutionäre bezeichnen. -- Was soll'also
eigentlich Oestreich thun? -- "neutral in Gemäßheit seiner Verfassung und dem
Bewußtsein seiner Interessen wird Deutschland deu von Westen kommenden Auf¬
reizungen kein Gehör geben, stets bereit, wie es einerseits sein wird, sei" Gebiet
und seine Interessen gegen Rußland zu vertheidigen, falls diese Macht es be¬
drohen würde; stets bereit, wie es andererseits sein wird, seine alten Allianzen
wieder aufzunehmen, wenn neue politische Wechselfälle ihm dazu rathen sollten." --
Wenn wir also diesen Rath recht verstehen, so besteht er darin, daß die gewaltigen
Streitkräfte, welche Deutschland entwickeln kann, ruhig zusehen sollen, was etwa
die orientalischen Kämpfe für einen Ausgang nehme", ruhig zusehen, wie ein
mehrjähriger europäischer Weltbrand den Handel und die gesammte Bildung ver-


Grenzboten. II. 4

liebe Concurrenz vorbeugen? Irgend ein Witzblatt hat die Friedensapostel vor¬
gestellt, wie sie die Kosacken dadurch zu entwaffnen suchen, daß sie sie zum Lachen
bringen; sie führen mit der ehrbarsten Miene von der Welt groteske Tänze vor
ihren Augen auf. Das Mittel hat nicht viel Wahrscheinlichkeit des Gelingens,
aber doch noch viel mehr als die friedliche.Concurrenz, wenn die russischen Armeen in
Konstantinopel einrücken. Herr v. Ficquelmont gibt sich auch nicht die geringste
Mühe, uns über die Art und Weise, wie er sich diese Wirksamkeit denkt, näher
aufzuklären. Er springt plötzlich von der Religion zur Flüchtlingsfrage ab; er
greift auf das leidenschaftlichste die englische Politik an und erklärt: „So lange
England seine Polizcigesetzgcbung nicht mit den Polizeigcsetzen des Continents in
entsprechenden Einklang bringt, so lange wird ihm die öffentliche Meinung des
Continents entschieden ungünstig bleiben. So lange die Revolntivnöpartci den
Boden Englands als den Stützpunkt des Hebels betrachten darf, welcher die Re¬
volutionen in Bewegung setzt, so lange werden die Regierungen England als
ihren offenen oder geheimen Feind betrachten." — So scheint also, wie früher
Rußland, jetzt England der Feind zu sein, welcher die Unabhängigkeit Europas
bedroht. Herr v. Ficquelmont setzt ferner auseinander, daß die Zwecke der Wcst-
mächte mit denen Oestreichs nicht Hand in Hand gehen können. „Oestreich darf
nicht dazu beitrage», die Türkei hinlänglich stark zu machen, um sie in den'Stand
zu setzen, für-sich allein der Macht Rußlands das Gegengewicht zu halten. Denn
was hätte es für eine Bürgschaft dafür, daß die Pforte ihre Kräfte nicht gegen
seine eignen Staaten wende? Oestreich will keine Amnrath mehr 'und keine
Soliman!" — Bei einer solchen Anschauung der Dinge hört freilich jede Autwort
auf, denn sie sieht mehr nach der Vision eines Fieberkranken, als nach der ruhigen
Ueberlegung eines Staatsmanns ans. — „ Oestreich will ebensowenig ein dem
Princip der Revolution anheim gefallenes türkisches Reich." — Was das heißen
soll, wird zwar nicht genauer gesagt, es scheint aber, daß Herr v. Ficqnelmvnt
die Modernisirung der türkischen Staatsformen darunter versteht— wenn man
davon die Consequenz zieht, müßte man auch die Forderung Europas, die Pforte
solle die Christen emancipiren, als eine revolutionäre bezeichnen. — Was soll'also
eigentlich Oestreich thun? — „neutral in Gemäßheit seiner Verfassung und dem
Bewußtsein seiner Interessen wird Deutschland deu von Westen kommenden Auf¬
reizungen kein Gehör geben, stets bereit, wie es einerseits sein wird, sei» Gebiet
und seine Interessen gegen Rußland zu vertheidigen, falls diese Macht es be¬
drohen würde; stets bereit, wie es andererseits sein wird, seine alten Allianzen
wieder aufzunehmen, wenn neue politische Wechselfälle ihm dazu rathen sollten." —
Wenn wir also diesen Rath recht verstehen, so besteht er darin, daß die gewaltigen
Streitkräfte, welche Deutschland entwickeln kann, ruhig zusehen sollen, was etwa
die orientalischen Kämpfe für einen Ausgang nehme», ruhig zusehen, wie ein
mehrjähriger europäischer Weltbrand den Handel und die gesammte Bildung ver-


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[0033] liebe Concurrenz vorbeugen? Irgend ein Witzblatt hat die Friedensapostel vor¬ gestellt, wie sie die Kosacken dadurch zu entwaffnen suchen, daß sie sie zum Lachen bringen; sie führen mit der ehrbarsten Miene von der Welt groteske Tänze vor ihren Augen auf. Das Mittel hat nicht viel Wahrscheinlichkeit des Gelingens, aber doch noch viel mehr als die friedliche.Concurrenz, wenn die russischen Armeen in Konstantinopel einrücken. Herr v. Ficquelmont gibt sich auch nicht die geringste Mühe, uns über die Art und Weise, wie er sich diese Wirksamkeit denkt, näher aufzuklären. Er springt plötzlich von der Religion zur Flüchtlingsfrage ab; er greift auf das leidenschaftlichste die englische Politik an und erklärt: „So lange England seine Polizcigesetzgcbung nicht mit den Polizeigcsetzen des Continents in entsprechenden Einklang bringt, so lange wird ihm die öffentliche Meinung des Continents entschieden ungünstig bleiben. So lange die Revolntivnöpartci den Boden Englands als den Stützpunkt des Hebels betrachten darf, welcher die Re¬ volutionen in Bewegung setzt, so lange werden die Regierungen England als ihren offenen oder geheimen Feind betrachten." — So scheint also, wie früher Rußland, jetzt England der Feind zu sein, welcher die Unabhängigkeit Europas bedroht. Herr v. Ficquelmont setzt ferner auseinander, daß die Zwecke der Wcst- mächte mit denen Oestreichs nicht Hand in Hand gehen können. „Oestreich darf nicht dazu beitrage», die Türkei hinlänglich stark zu machen, um sie in den'Stand zu setzen, für-sich allein der Macht Rußlands das Gegengewicht zu halten. Denn was hätte es für eine Bürgschaft dafür, daß die Pforte ihre Kräfte nicht gegen seine eignen Staaten wende? Oestreich will keine Amnrath mehr 'und keine Soliman!" — Bei einer solchen Anschauung der Dinge hört freilich jede Autwort auf, denn sie sieht mehr nach der Vision eines Fieberkranken, als nach der ruhigen Ueberlegung eines Staatsmanns ans. — „ Oestreich will ebensowenig ein dem Princip der Revolution anheim gefallenes türkisches Reich." — Was das heißen soll, wird zwar nicht genauer gesagt, es scheint aber, daß Herr v. Ficqnelmvnt die Modernisirung der türkischen Staatsformen darunter versteht— wenn man davon die Consequenz zieht, müßte man auch die Forderung Europas, die Pforte solle die Christen emancipiren, als eine revolutionäre bezeichnen. — Was soll'also eigentlich Oestreich thun? — „neutral in Gemäßheit seiner Verfassung und dem Bewußtsein seiner Interessen wird Deutschland deu von Westen kommenden Auf¬ reizungen kein Gehör geben, stets bereit, wie es einerseits sein wird, sei» Gebiet und seine Interessen gegen Rußland zu vertheidigen, falls diese Macht es be¬ drohen würde; stets bereit, wie es andererseits sein wird, seine alten Allianzen wieder aufzunehmen, wenn neue politische Wechselfälle ihm dazu rathen sollten." — Wenn wir also diesen Rath recht verstehen, so besteht er darin, daß die gewaltigen Streitkräfte, welche Deutschland entwickeln kann, ruhig zusehen sollen, was etwa die orientalischen Kämpfe für einen Ausgang nehme», ruhig zusehen, wie ein mehrjähriger europäischer Weltbrand den Handel und die gesammte Bildung ver- Grenzboten. II. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/32>, abgerufen am 23.07.2024.