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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Lord Stratsvrd ist in seiner ganzen Persönlichkeit eine lebendige Jncar-
nation der ostwärtigen Politik Englands/ d. h, eines Systems von Thaten,
Vorausbestimmungen und Entwürfen, an dessen Urheberschaft er selbst mit auf
das entscheidendste betheiligt ist. Wenn der Geheimerath ihrer britischen Ma¬
jestät hier zu Stambul selbst Sitzung hielt: seine Entscheidungen über die
hiesigen Wechselfälle und Zufälligkeiten des Moments könnten kaum vollgülti¬
ger ausfallen, als diejenigen, welche aus dem einsamen Schreibcabinet des
greisen Diplomaten kommen.

Lord Stratford de Redcliffe war zu mehren Malen in Deutschland, und
mancher Ihrer Leser wird sich von diesen Gelegenheiten her jener großen, üu-
ponirenden, vom Alter nur wenig gebeugten Gestalt erinnern, des markirten
Gesichts mit großer, vorspringender Nase, der mächtigen, unter grauen Brauen
hervorleuchtenden Augen und der Scheu und Rückhalt auferlegenden Art
des Auftretens. Dieser einfache, dunkelgrüne Ueberrock ist es, in dem er zumeist
zu Pferde, seinen Secretär fünf Schritt weit hinter sich, und in gemessener
Entfernung weiter zurück, den Bedienten in hellblauem Livreerock mit silber-
betreßtem Hut, sich dem Publicum von Pera zeigt. Nicht selten, zumal wenn
Nachtheile im Verzüge sind, erscheint er in demselben Costüm vor dem Gro߬
herrn, zu dem sein Verhältniß ein eigenthümliches, nicht wol zu definirendes,
und diesen nicht minder wie den englischen Minister ehrendes ist.

In keines Sterblichen Seele vielleicht war das Vorgefühl von der Unver¬
meidlichkeit des nunmehr ausgebrochenen Kampfes in dem Maße lebendig, wie
in der seinigen. Er sprach es.laut und unverhohlen schon vor Jahren aus,
daß wenn die türkischen Reformen Nutzen bringen sollten, man mit ihnen eilen
müsse. "Worauf hier vor allen Dingen hingestrebt werden muß," das etwa
war der Ausdruck seines innersten Gedankens, "das ist die Umwandlung des
türkischen Reiches in eine Macht, die auf eignen Füßen stehen und ihrem
Dränger Widerstand leisten kann. Der Beistand von außen, welchen der We¬
sten leisten wird, kommt dann wie eine Zugabe, welche in die Wage des
Schwächeren fällt, und das Umschlagen des vorher unerreichten Gleichgewichts
zu seinen Gunsten bestimmt." Bei seinem Weggange im Jahre 4 von
hier schien er mit melancholischer Resignation auf sein Werk hinzuschauen.
Seine Pläne hatten bei der Ausführung Hindernisse gefunden; er selbst, dem
Greisenaltex nahe, glaubte ihre Vollendung nicht mehr zu erleben und dabei
verkündeten hundert Vorzeichen die Nähe des aufziehenden Gewitters. Seine
Meinung rücksichtlich der Türkei wqr damals etwa die: dieses Reich ist un¬
wiederbringlich seinem bösen Verhängniß verfallen. '

Aber kaum war die Gefahr wirklich da, kaum hatte Fürst Menschikoff den
eigentlichen Beweggrund seiner Misston enthüllt, so sand Lord Stratford sein
altes Selbstvertrauen und die Stahlkrast seiner unbeugsamen Entschlüsse wie-


Ärenzboteu. II, !Löi. 39

Lord Stratsvrd ist in seiner ganzen Persönlichkeit eine lebendige Jncar-
nation der ostwärtigen Politik Englands/ d. h, eines Systems von Thaten,
Vorausbestimmungen und Entwürfen, an dessen Urheberschaft er selbst mit auf
das entscheidendste betheiligt ist. Wenn der Geheimerath ihrer britischen Ma¬
jestät hier zu Stambul selbst Sitzung hielt: seine Entscheidungen über die
hiesigen Wechselfälle und Zufälligkeiten des Moments könnten kaum vollgülti¬
ger ausfallen, als diejenigen, welche aus dem einsamen Schreibcabinet des
greisen Diplomaten kommen.

Lord Stratford de Redcliffe war zu mehren Malen in Deutschland, und
mancher Ihrer Leser wird sich von diesen Gelegenheiten her jener großen, üu-
ponirenden, vom Alter nur wenig gebeugten Gestalt erinnern, des markirten
Gesichts mit großer, vorspringender Nase, der mächtigen, unter grauen Brauen
hervorleuchtenden Augen und der Scheu und Rückhalt auferlegenden Art
des Auftretens. Dieser einfache, dunkelgrüne Ueberrock ist es, in dem er zumeist
zu Pferde, seinen Secretär fünf Schritt weit hinter sich, und in gemessener
Entfernung weiter zurück, den Bedienten in hellblauem Livreerock mit silber-
betreßtem Hut, sich dem Publicum von Pera zeigt. Nicht selten, zumal wenn
Nachtheile im Verzüge sind, erscheint er in demselben Costüm vor dem Gro߬
herrn, zu dem sein Verhältniß ein eigenthümliches, nicht wol zu definirendes,
und diesen nicht minder wie den englischen Minister ehrendes ist.

In keines Sterblichen Seele vielleicht war das Vorgefühl von der Unver¬
meidlichkeit des nunmehr ausgebrochenen Kampfes in dem Maße lebendig, wie
in der seinigen. Er sprach es.laut und unverhohlen schon vor Jahren aus,
daß wenn die türkischen Reformen Nutzen bringen sollten, man mit ihnen eilen
müsse. „Worauf hier vor allen Dingen hingestrebt werden muß," das etwa
war der Ausdruck seines innersten Gedankens, „das ist die Umwandlung des
türkischen Reiches in eine Macht, die auf eignen Füßen stehen und ihrem
Dränger Widerstand leisten kann. Der Beistand von außen, welchen der We¬
sten leisten wird, kommt dann wie eine Zugabe, welche in die Wage des
Schwächeren fällt, und das Umschlagen des vorher unerreichten Gleichgewichts
zu seinen Gunsten bestimmt." Bei seinem Weggange im Jahre 4 von
hier schien er mit melancholischer Resignation auf sein Werk hinzuschauen.
Seine Pläne hatten bei der Ausführung Hindernisse gefunden; er selbst, dem
Greisenaltex nahe, glaubte ihre Vollendung nicht mehr zu erleben und dabei
verkündeten hundert Vorzeichen die Nähe des aufziehenden Gewitters. Seine
Meinung rücksichtlich der Türkei wqr damals etwa die: dieses Reich ist un¬
wiederbringlich seinem bösen Verhängniß verfallen. '

Aber kaum war die Gefahr wirklich da, kaum hatte Fürst Menschikoff den
eigentlichen Beweggrund seiner Misston enthüllt, so sand Lord Stratford sein
altes Selbstvertrauen und die Stahlkrast seiner unbeugsamen Entschlüsse wie-


Ärenzboteu. II, !Löi. 39
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[0313] Lord Stratsvrd ist in seiner ganzen Persönlichkeit eine lebendige Jncar- nation der ostwärtigen Politik Englands/ d. h, eines Systems von Thaten, Vorausbestimmungen und Entwürfen, an dessen Urheberschaft er selbst mit auf das entscheidendste betheiligt ist. Wenn der Geheimerath ihrer britischen Ma¬ jestät hier zu Stambul selbst Sitzung hielt: seine Entscheidungen über die hiesigen Wechselfälle und Zufälligkeiten des Moments könnten kaum vollgülti¬ ger ausfallen, als diejenigen, welche aus dem einsamen Schreibcabinet des greisen Diplomaten kommen. Lord Stratford de Redcliffe war zu mehren Malen in Deutschland, und mancher Ihrer Leser wird sich von diesen Gelegenheiten her jener großen, üu- ponirenden, vom Alter nur wenig gebeugten Gestalt erinnern, des markirten Gesichts mit großer, vorspringender Nase, der mächtigen, unter grauen Brauen hervorleuchtenden Augen und der Scheu und Rückhalt auferlegenden Art des Auftretens. Dieser einfache, dunkelgrüne Ueberrock ist es, in dem er zumeist zu Pferde, seinen Secretär fünf Schritt weit hinter sich, und in gemessener Entfernung weiter zurück, den Bedienten in hellblauem Livreerock mit silber- betreßtem Hut, sich dem Publicum von Pera zeigt. Nicht selten, zumal wenn Nachtheile im Verzüge sind, erscheint er in demselben Costüm vor dem Gro߬ herrn, zu dem sein Verhältniß ein eigenthümliches, nicht wol zu definirendes, und diesen nicht minder wie den englischen Minister ehrendes ist. In keines Sterblichen Seele vielleicht war das Vorgefühl von der Unver¬ meidlichkeit des nunmehr ausgebrochenen Kampfes in dem Maße lebendig, wie in der seinigen. Er sprach es.laut und unverhohlen schon vor Jahren aus, daß wenn die türkischen Reformen Nutzen bringen sollten, man mit ihnen eilen müsse. „Worauf hier vor allen Dingen hingestrebt werden muß," das etwa war der Ausdruck seines innersten Gedankens, „das ist die Umwandlung des türkischen Reiches in eine Macht, die auf eignen Füßen stehen und ihrem Dränger Widerstand leisten kann. Der Beistand von außen, welchen der We¬ sten leisten wird, kommt dann wie eine Zugabe, welche in die Wage des Schwächeren fällt, und das Umschlagen des vorher unerreichten Gleichgewichts zu seinen Gunsten bestimmt." Bei seinem Weggange im Jahre 4 von hier schien er mit melancholischer Resignation auf sein Werk hinzuschauen. Seine Pläne hatten bei der Ausführung Hindernisse gefunden; er selbst, dem Greisenaltex nahe, glaubte ihre Vollendung nicht mehr zu erleben und dabei verkündeten hundert Vorzeichen die Nähe des aufziehenden Gewitters. Seine Meinung rücksichtlich der Türkei wqr damals etwa die: dieses Reich ist un¬ wiederbringlich seinem bösen Verhängniß verfallen. ' Aber kaum war die Gefahr wirklich da, kaum hatte Fürst Menschikoff den eigentlichen Beweggrund seiner Misston enthüllt, so sand Lord Stratford sein altes Selbstvertrauen und die Stahlkrast seiner unbeugsamen Entschlüsse wie- Ärenzboteu. II, !Löi. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/312>, abgerufen am 22.12.2024.