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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Leichtfertigkeit war, wenn der Streithandel um so geringfügiger Dinge willen,
entstehen und zu einer Krisis sich steigern konnte.

Wenn ich einigermaßen aus mein eignes Urtheil bauen darf, so ist die
Stellung des französischen Botschafters an hiesiger Stelle unhaltbar geworden.
Gegenden General an sich ist nichts einzuwenden: eine ziemlich trockene
Persönlichkeit, ohne Hinterhalt, aufrichtig sich hingebend, aber darum eben
Sympathien und Antipathien am mindesten verbergend und in keinem Falle
ein verschmitzter Diplomat; vielmehr soldatisch und in dieser Hinsicht von einer
gewissen militärischen Freimüthigkeit, die der Masse genehm ist^ einen Hofmann
aber unter Umständen verletzen kann. Wird er abberufen, so betrachte ich eS
als einen Gewinn, denn Lord Stratsord kann unmöglich an seiner Statt
gehen. Dazu ist seine Bedeutung zu Konstantinopel eine zu hohe, man nennt
ihn am treffendsten den von allen Cabinetschancen unabhängigen Leiter der
britisch-orientalischen Politik. Einen solchen Mann läßt man' nur mit dem
ganzen System fallen.

Der Kampf vor Odessa hat nicht verfehlt, hier einen lebhaften Enthu¬
siasmus unter Türken und Franken zu erregen. Man zweifelt nunmehr nicht,
daß ehestens an den Festungswerken von Sebastopol die Macht der englisch-
französischen Schiffsartillerie erprobt werden wird.

Weniger bestimmte und aussichtsvolle Nachrichten hat man vom Kriegs¬
schauplatz an der Donau. Man kann nicht in Abrede stellen, daß die Russen
dort durch den bedeutungsvollen Stromübergang die Oberhand gewonnen haben
und Omer Pascha nur mit äußerster Vorsicht agirt, wo es denn nicht über¬
raschen kann,>,wenn er täglich mehr und mehr Ter'rain verliert. Die Vor¬
schritte der Russen sind desungeachtet nicht bedeutend, und dies hat seine guten
Gründe. Es sind zwei entgegengesetzte Ansichten im russischen Kriegsrathe,
von denen die für eine langsame, methodische Kriegführung sprechende Gort-
schakoff, und die entgegengesetzte Schilder vertritt, welche bei jeder wichtigen
Maßregel miteinander in Contact gerathen. Fürst Gortschakoff will nach dem
System und den Detailinstructionen des Feldmarschall Paskewitsch verfahren,
keine Werst vorwärtsgehen, ohne dem entsprechend die Verpflegung geordnet,
das Magazinwesen arrangirt, die Nückzngslinie gesichert zu haben. Dagegen
bemüht sich General Schilder eher darnach, die Armee rasch gegen den Feind
fortzureißen. Seiner Ansicht nach muß man vor allen Dingen mit den
Festungen an der Donau fertig zu werden suchen, Kalafat überwinden und
sich in das Thal von Sofia werfen, um bei Kapudschik oder am sull-Derbend
den Balkan zu durchbrechen und die weite Ebene von Philippopel zu ge¬
winnen.

Von Omer Paschas muthmaßlichen Plänen und Jnstructionen weiß ich
Ihnen dieses Mal kaum irgend etwas zu sagen. Seine Aufgabe ist äugen-


Leichtfertigkeit war, wenn der Streithandel um so geringfügiger Dinge willen,
entstehen und zu einer Krisis sich steigern konnte.

Wenn ich einigermaßen aus mein eignes Urtheil bauen darf, so ist die
Stellung des französischen Botschafters an hiesiger Stelle unhaltbar geworden.
Gegenden General an sich ist nichts einzuwenden: eine ziemlich trockene
Persönlichkeit, ohne Hinterhalt, aufrichtig sich hingebend, aber darum eben
Sympathien und Antipathien am mindesten verbergend und in keinem Falle
ein verschmitzter Diplomat; vielmehr soldatisch und in dieser Hinsicht von einer
gewissen militärischen Freimüthigkeit, die der Masse genehm ist^ einen Hofmann
aber unter Umständen verletzen kann. Wird er abberufen, so betrachte ich eS
als einen Gewinn, denn Lord Stratsord kann unmöglich an seiner Statt
gehen. Dazu ist seine Bedeutung zu Konstantinopel eine zu hohe, man nennt
ihn am treffendsten den von allen Cabinetschancen unabhängigen Leiter der
britisch-orientalischen Politik. Einen solchen Mann läßt man' nur mit dem
ganzen System fallen.

Der Kampf vor Odessa hat nicht verfehlt, hier einen lebhaften Enthu¬
siasmus unter Türken und Franken zu erregen. Man zweifelt nunmehr nicht,
daß ehestens an den Festungswerken von Sebastopol die Macht der englisch-
französischen Schiffsartillerie erprobt werden wird.

Weniger bestimmte und aussichtsvolle Nachrichten hat man vom Kriegs¬
schauplatz an der Donau. Man kann nicht in Abrede stellen, daß die Russen
dort durch den bedeutungsvollen Stromübergang die Oberhand gewonnen haben
und Omer Pascha nur mit äußerster Vorsicht agirt, wo es denn nicht über¬
raschen kann,>,wenn er täglich mehr und mehr Ter'rain verliert. Die Vor¬
schritte der Russen sind desungeachtet nicht bedeutend, und dies hat seine guten
Gründe. Es sind zwei entgegengesetzte Ansichten im russischen Kriegsrathe,
von denen die für eine langsame, methodische Kriegführung sprechende Gort-
schakoff, und die entgegengesetzte Schilder vertritt, welche bei jeder wichtigen
Maßregel miteinander in Contact gerathen. Fürst Gortschakoff will nach dem
System und den Detailinstructionen des Feldmarschall Paskewitsch verfahren,
keine Werst vorwärtsgehen, ohne dem entsprechend die Verpflegung geordnet,
das Magazinwesen arrangirt, die Nückzngslinie gesichert zu haben. Dagegen
bemüht sich General Schilder eher darnach, die Armee rasch gegen den Feind
fortzureißen. Seiner Ansicht nach muß man vor allen Dingen mit den
Festungen an der Donau fertig zu werden suchen, Kalafat überwinden und
sich in das Thal von Sofia werfen, um bei Kapudschik oder am sull-Derbend
den Balkan zu durchbrechen und die weite Ebene von Philippopel zu ge¬
winnen.

Von Omer Paschas muthmaßlichen Plänen und Jnstructionen weiß ich
Ihnen dieses Mal kaum irgend etwas zu sagen. Seine Aufgabe ist äugen-


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[0309] Leichtfertigkeit war, wenn der Streithandel um so geringfügiger Dinge willen, entstehen und zu einer Krisis sich steigern konnte. Wenn ich einigermaßen aus mein eignes Urtheil bauen darf, so ist die Stellung des französischen Botschafters an hiesiger Stelle unhaltbar geworden. Gegenden General an sich ist nichts einzuwenden: eine ziemlich trockene Persönlichkeit, ohne Hinterhalt, aufrichtig sich hingebend, aber darum eben Sympathien und Antipathien am mindesten verbergend und in keinem Falle ein verschmitzter Diplomat; vielmehr soldatisch und in dieser Hinsicht von einer gewissen militärischen Freimüthigkeit, die der Masse genehm ist^ einen Hofmann aber unter Umständen verletzen kann. Wird er abberufen, so betrachte ich eS als einen Gewinn, denn Lord Stratsord kann unmöglich an seiner Statt gehen. Dazu ist seine Bedeutung zu Konstantinopel eine zu hohe, man nennt ihn am treffendsten den von allen Cabinetschancen unabhängigen Leiter der britisch-orientalischen Politik. Einen solchen Mann läßt man' nur mit dem ganzen System fallen. Der Kampf vor Odessa hat nicht verfehlt, hier einen lebhaften Enthu¬ siasmus unter Türken und Franken zu erregen. Man zweifelt nunmehr nicht, daß ehestens an den Festungswerken von Sebastopol die Macht der englisch- französischen Schiffsartillerie erprobt werden wird. Weniger bestimmte und aussichtsvolle Nachrichten hat man vom Kriegs¬ schauplatz an der Donau. Man kann nicht in Abrede stellen, daß die Russen dort durch den bedeutungsvollen Stromübergang die Oberhand gewonnen haben und Omer Pascha nur mit äußerster Vorsicht agirt, wo es denn nicht über¬ raschen kann,>,wenn er täglich mehr und mehr Ter'rain verliert. Die Vor¬ schritte der Russen sind desungeachtet nicht bedeutend, und dies hat seine guten Gründe. Es sind zwei entgegengesetzte Ansichten im russischen Kriegsrathe, von denen die für eine langsame, methodische Kriegführung sprechende Gort- schakoff, und die entgegengesetzte Schilder vertritt, welche bei jeder wichtigen Maßregel miteinander in Contact gerathen. Fürst Gortschakoff will nach dem System und den Detailinstructionen des Feldmarschall Paskewitsch verfahren, keine Werst vorwärtsgehen, ohne dem entsprechend die Verpflegung geordnet, das Magazinwesen arrangirt, die Nückzngslinie gesichert zu haben. Dagegen bemüht sich General Schilder eher darnach, die Armee rasch gegen den Feind fortzureißen. Seiner Ansicht nach muß man vor allen Dingen mit den Festungen an der Donau fertig zu werden suchen, Kalafat überwinden und sich in das Thal von Sofia werfen, um bei Kapudschik oder am sull-Derbend den Balkan zu durchbrechen und die weite Ebene von Philippopel zu ge¬ winnen. Von Omer Paschas muthmaßlichen Plänen und Jnstructionen weiß ich Ihnen dieses Mal kaum irgend etwas zu sagen. Seine Aufgabe ist äugen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/308>, abgerufen am 23.07.2024.