Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ducht. Zwischen beiden und auch auf der östlichen Seite der Südbucht liegt
Sebastopol, amphitheatralisch auf den Terassen erbaut, mit denen das Plateau
des herakleotischen Chersones zur Rhede abfällt. Infolge dieser Bauart
gewährt die Stadt von der Rhede aus einen impo.fanden Anblick: das Auge
umfaßt das Ganze der Stadt, kein hervorragendes Bauwerk entzieht sich dem
Blick, und die bedeutendsten Kasernen, Zeughäuser, Gebäude der Admiralität
u. s. f. präsentiren sich um so bequemer, als sie unmittelbar am Gestade liegen.
Man hält die Stadt, wenn man sich ihr von der Seeseite nähert, sür be¬
trächtlicher, als sie ist; sie zählt jetzt etwa ii,000 Einwohner, aber sie occupirt
mit ihren weiten Straßen ein ziemlich ausgedehntes Terrain. Bei genauerer
Bekanntschaft verliert die kokette Schöne viel von ihren anscheinenden Reizen;
die Wohnhäuser sind nicht ungefällig, doch unbedeutend; der Staub, der von
den Kalkfelsen der Nachbarschaft Hergetrieben wird und in den breiten Straßen
auf und abwirbelt, ist wahrhaft unerträglich. Desto entzückender ist die Aus¬
sicht, die man von dem höchsten Punkte der Terrasse genießt; wenn man sich
hier nordwärts wendet, schweift der Blick über die ganze Stadt und über die
stillen Meeresbuchten, auf denen die stolzen Gebäude der russischen Kriegs¬
flotte ruhen.

Die Südbucht bildet den eigentlichen Kriegshafen, in dem die Kriegsschiffe
armirt und desarmirt werden. Sie erstreckt sich ^ Meilen südwärts in das
Land, ist durchschnittlich 1200 Fuß breit, so still wie ein Teich, und so tief,
daß an ejnige-n Stellen große Dreidecker fast am Lande anlegen können. Hohe
Kalksteinfelsen schirmen sie gegen alle Winde. Tiefer im Innern der Bucht
liegt eine Reihe alter, seeuntüchtiger Kriegsschiffe, die zum Theil als Magazine
benntzt werden, zum Theil einigen tausend Galeerensträflingen, welche man zu
den Marinebauten verwendet, als Aufenthaltsort dienen.

An der östlichen Seite der Südbucht zweigt sich von ihr wiederum die
sogenannte Schiffsbucht ab, die etwa 2S00 ,.Fuß lang ist und in Friedenszeiten
einen Theil der desarmirten Kriegsschiffe aufnimmt. Im Innern derselben hat
man mit ungeheurem Kostenaufwande zur Reparatur der Schiffe Docks an¬
gelegt, fünf Reservoirs von verschiedener Größe, eins für Linienschiffe von
120 Kanonen, zwei für Linienschiffe von 80 Kanonen, zwei für Fregatten von 60
Kanonen. Ein Franzose, Raucourt, hatte den Plan zu dem gewaltigen Unter¬
nehmen entworfen, und seine Kosten auf sechs Millionen Rubel veranschlagt. Die
Höhe der Forderung schreckte ab. , Da erbot sich der Engländer Hupton, das
Werk in fünf Jahren für 2'/s Millionen zu Stande zu bringen, und am 17.
Juni 1832 wurden die Arbeiten begonnen. Bald zeigte sich, daß weder der
Zeit- noch der Kostenpunkt hinlänglich veranschlagt war; alljährlich arbeiteten
20--3g,000 Mann, theils Soldaten, theils Sträflinge an dem kostspieligen
Werk, unter unsäglichen Schwierigkeiten; der feine Staub, der sich von dem


ducht. Zwischen beiden und auch auf der östlichen Seite der Südbucht liegt
Sebastopol, amphitheatralisch auf den Terassen erbaut, mit denen das Plateau
des herakleotischen Chersones zur Rhede abfällt. Infolge dieser Bauart
gewährt die Stadt von der Rhede aus einen impo.fanden Anblick: das Auge
umfaßt das Ganze der Stadt, kein hervorragendes Bauwerk entzieht sich dem
Blick, und die bedeutendsten Kasernen, Zeughäuser, Gebäude der Admiralität
u. s. f. präsentiren sich um so bequemer, als sie unmittelbar am Gestade liegen.
Man hält die Stadt, wenn man sich ihr von der Seeseite nähert, sür be¬
trächtlicher, als sie ist; sie zählt jetzt etwa ii,000 Einwohner, aber sie occupirt
mit ihren weiten Straßen ein ziemlich ausgedehntes Terrain. Bei genauerer
Bekanntschaft verliert die kokette Schöne viel von ihren anscheinenden Reizen;
die Wohnhäuser sind nicht ungefällig, doch unbedeutend; der Staub, der von
den Kalkfelsen der Nachbarschaft Hergetrieben wird und in den breiten Straßen
auf und abwirbelt, ist wahrhaft unerträglich. Desto entzückender ist die Aus¬
sicht, die man von dem höchsten Punkte der Terrasse genießt; wenn man sich
hier nordwärts wendet, schweift der Blick über die ganze Stadt und über die
stillen Meeresbuchten, auf denen die stolzen Gebäude der russischen Kriegs¬
flotte ruhen.

Die Südbucht bildet den eigentlichen Kriegshafen, in dem die Kriegsschiffe
armirt und desarmirt werden. Sie erstreckt sich ^ Meilen südwärts in das
Land, ist durchschnittlich 1200 Fuß breit, so still wie ein Teich, und so tief,
daß an ejnige-n Stellen große Dreidecker fast am Lande anlegen können. Hohe
Kalksteinfelsen schirmen sie gegen alle Winde. Tiefer im Innern der Bucht
liegt eine Reihe alter, seeuntüchtiger Kriegsschiffe, die zum Theil als Magazine
benntzt werden, zum Theil einigen tausend Galeerensträflingen, welche man zu
den Marinebauten verwendet, als Aufenthaltsort dienen.

An der östlichen Seite der Südbucht zweigt sich von ihr wiederum die
sogenannte Schiffsbucht ab, die etwa 2S00 ,.Fuß lang ist und in Friedenszeiten
einen Theil der desarmirten Kriegsschiffe aufnimmt. Im Innern derselben hat
man mit ungeheurem Kostenaufwande zur Reparatur der Schiffe Docks an¬
gelegt, fünf Reservoirs von verschiedener Größe, eins für Linienschiffe von
120 Kanonen, zwei für Linienschiffe von 80 Kanonen, zwei für Fregatten von 60
Kanonen. Ein Franzose, Raucourt, hatte den Plan zu dem gewaltigen Unter¬
nehmen entworfen, und seine Kosten auf sechs Millionen Rubel veranschlagt. Die
Höhe der Forderung schreckte ab. , Da erbot sich der Engländer Hupton, das
Werk in fünf Jahren für 2'/s Millionen zu Stande zu bringen, und am 17.
Juni 1832 wurden die Arbeiten begonnen. Bald zeigte sich, daß weder der
Zeit- noch der Kostenpunkt hinlänglich veranschlagt war; alljährlich arbeiteten
20—3g,000 Mann, theils Soldaten, theils Sträflinge an dem kostspieligen
Werk, unter unsäglichen Schwierigkeiten; der feine Staub, der sich von dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98073"/>
          <p xml:id="ID_908" prev="#ID_907"> ducht. Zwischen beiden und auch auf der östlichen Seite der Südbucht liegt<lb/>
Sebastopol, amphitheatralisch auf den Terassen erbaut, mit denen das Plateau<lb/>
des herakleotischen Chersones zur Rhede abfällt. Infolge dieser Bauart<lb/>
gewährt die Stadt von der Rhede aus einen impo.fanden Anblick: das Auge<lb/>
umfaßt das Ganze der Stadt, kein hervorragendes Bauwerk entzieht sich dem<lb/>
Blick, und die bedeutendsten Kasernen, Zeughäuser, Gebäude der Admiralität<lb/>
u. s. f. präsentiren sich um so bequemer, als sie unmittelbar am Gestade liegen.<lb/>
Man hält die Stadt, wenn man sich ihr von der Seeseite nähert, sür be¬<lb/>
trächtlicher, als sie ist; sie zählt jetzt etwa ii,000 Einwohner, aber sie occupirt<lb/>
mit ihren weiten Straßen ein ziemlich ausgedehntes Terrain. Bei genauerer<lb/>
Bekanntschaft verliert die kokette Schöne viel von ihren anscheinenden Reizen;<lb/>
die Wohnhäuser sind nicht ungefällig, doch unbedeutend; der Staub, der von<lb/>
den Kalkfelsen der Nachbarschaft Hergetrieben wird und in den breiten Straßen<lb/>
auf und abwirbelt, ist wahrhaft unerträglich. Desto entzückender ist die Aus¬<lb/>
sicht, die man von dem höchsten Punkte der Terrasse genießt; wenn man sich<lb/>
hier nordwärts wendet, schweift der Blick über die ganze Stadt und über die<lb/>
stillen Meeresbuchten, auf denen die stolzen Gebäude der russischen Kriegs¬<lb/>
flotte ruhen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_909"> Die Südbucht bildet den eigentlichen Kriegshafen, in dem die Kriegsschiffe<lb/>
armirt und desarmirt werden. Sie erstreckt sich ^ Meilen südwärts in das<lb/>
Land, ist durchschnittlich 1200 Fuß breit, so still wie ein Teich, und so tief,<lb/>
daß an ejnige-n Stellen große Dreidecker fast am Lande anlegen können. Hohe<lb/>
Kalksteinfelsen schirmen sie gegen alle Winde. Tiefer im Innern der Bucht<lb/>
liegt eine Reihe alter, seeuntüchtiger Kriegsschiffe, die zum Theil als Magazine<lb/>
benntzt werden, zum Theil einigen tausend Galeerensträflingen, welche man zu<lb/>
den Marinebauten verwendet, als Aufenthaltsort dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_910" next="#ID_911"> An der östlichen Seite der Südbucht zweigt sich von ihr wiederum die<lb/>
sogenannte Schiffsbucht ab, die etwa 2S00 ,.Fuß lang ist und in Friedenszeiten<lb/>
einen Theil der desarmirten Kriegsschiffe aufnimmt. Im Innern derselben hat<lb/>
man mit ungeheurem Kostenaufwande zur Reparatur der Schiffe Docks an¬<lb/>
gelegt, fünf Reservoirs von verschiedener Größe, eins für Linienschiffe von<lb/>
120 Kanonen, zwei für Linienschiffe von 80 Kanonen, zwei für Fregatten von 60<lb/>
Kanonen. Ein Franzose, Raucourt, hatte den Plan zu dem gewaltigen Unter¬<lb/>
nehmen entworfen, und seine Kosten auf sechs Millionen Rubel veranschlagt. Die<lb/>
Höhe der Forderung schreckte ab. , Da erbot sich der Engländer Hupton, das<lb/>
Werk in fünf Jahren für 2'/s Millionen zu Stande zu bringen, und am 17.<lb/>
Juni 1832 wurden die Arbeiten begonnen. Bald zeigte sich, daß weder der<lb/>
Zeit- noch der Kostenpunkt hinlänglich veranschlagt war; alljährlich arbeiteten<lb/>
20&#x2014;3g,000 Mann, theils Soldaten, theils Sträflinge an dem kostspieligen<lb/>
Werk, unter unsäglichen Schwierigkeiten; der feine Staub, der sich von dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] ducht. Zwischen beiden und auch auf der östlichen Seite der Südbucht liegt Sebastopol, amphitheatralisch auf den Terassen erbaut, mit denen das Plateau des herakleotischen Chersones zur Rhede abfällt. Infolge dieser Bauart gewährt die Stadt von der Rhede aus einen impo.fanden Anblick: das Auge umfaßt das Ganze der Stadt, kein hervorragendes Bauwerk entzieht sich dem Blick, und die bedeutendsten Kasernen, Zeughäuser, Gebäude der Admiralität u. s. f. präsentiren sich um so bequemer, als sie unmittelbar am Gestade liegen. Man hält die Stadt, wenn man sich ihr von der Seeseite nähert, sür be¬ trächtlicher, als sie ist; sie zählt jetzt etwa ii,000 Einwohner, aber sie occupirt mit ihren weiten Straßen ein ziemlich ausgedehntes Terrain. Bei genauerer Bekanntschaft verliert die kokette Schöne viel von ihren anscheinenden Reizen; die Wohnhäuser sind nicht ungefällig, doch unbedeutend; der Staub, der von den Kalkfelsen der Nachbarschaft Hergetrieben wird und in den breiten Straßen auf und abwirbelt, ist wahrhaft unerträglich. Desto entzückender ist die Aus¬ sicht, die man von dem höchsten Punkte der Terrasse genießt; wenn man sich hier nordwärts wendet, schweift der Blick über die ganze Stadt und über die stillen Meeresbuchten, auf denen die stolzen Gebäude der russischen Kriegs¬ flotte ruhen. Die Südbucht bildet den eigentlichen Kriegshafen, in dem die Kriegsschiffe armirt und desarmirt werden. Sie erstreckt sich ^ Meilen südwärts in das Land, ist durchschnittlich 1200 Fuß breit, so still wie ein Teich, und so tief, daß an ejnige-n Stellen große Dreidecker fast am Lande anlegen können. Hohe Kalksteinfelsen schirmen sie gegen alle Winde. Tiefer im Innern der Bucht liegt eine Reihe alter, seeuntüchtiger Kriegsschiffe, die zum Theil als Magazine benntzt werden, zum Theil einigen tausend Galeerensträflingen, welche man zu den Marinebauten verwendet, als Aufenthaltsort dienen. An der östlichen Seite der Südbucht zweigt sich von ihr wiederum die sogenannte Schiffsbucht ab, die etwa 2S00 ,.Fuß lang ist und in Friedenszeiten einen Theil der desarmirten Kriegsschiffe aufnimmt. Im Innern derselben hat man mit ungeheurem Kostenaufwande zur Reparatur der Schiffe Docks an¬ gelegt, fünf Reservoirs von verschiedener Größe, eins für Linienschiffe von 120 Kanonen, zwei für Linienschiffe von 80 Kanonen, zwei für Fregatten von 60 Kanonen. Ein Franzose, Raucourt, hatte den Plan zu dem gewaltigen Unter¬ nehmen entworfen, und seine Kosten auf sechs Millionen Rubel veranschlagt. Die Höhe der Forderung schreckte ab. , Da erbot sich der Engländer Hupton, das Werk in fünf Jahren für 2'/s Millionen zu Stande zu bringen, und am 17. Juni 1832 wurden die Arbeiten begonnen. Bald zeigte sich, daß weder der Zeit- noch der Kostenpunkt hinlänglich veranschlagt war; alljährlich arbeiteten 20—3g,000 Mann, theils Soldaten, theils Sträflinge an dem kostspieligen Werk, unter unsäglichen Schwierigkeiten; der feine Staub, der sich von dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/292
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/292>, abgerufen am 26.08.2024.