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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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wie unter andern z. B. in der Arie Prascoviens: czM ^'s,i xeur -- gleich ^
kommt die Reflexion seines Virtnosenthnms als Mephisto hinterdrein und verleitet
ihn zu Uebertreibungen, die ans dem ursprünglich richtig Empfundenen Affectirtes
machen. Ohne Naivetät aber kein Kunstwerk. Wir lassen gern jede Individualität
gelten, wenn diese sich eben künstlerisch geltend zu machen versteht. Es ist mit
niemand zu rechten, wenn er die süße Trunkenheit eines Paul Äeronese dem
einfachen Wesen Raphaels vorzieht, ein solcher Vorzug läßt sich begreifen. Aber
es muß eben Paul Veronese sein und nicht Conrbet. Es muß aus dem Ueber¬
flusse sinnlichen Reichthums quellen und nicht reflcxionsmäßig, mit ängstlicher Be¬
rechnung aus dem Farbentopfe geholt werden, um mit grellen und bunten Farben
zu ersetzen, was die künstlerische Inspiration versagt. Der Realismus muß sich
auch künstlerisch bethätigen, soll er anders zum Kunstwerke werden. Triviale An¬
schauung des Lebens und der Natur aber macht noch nicht Naturtreue und noch
weniger künstlerische Wahrheit ans. Wenn man uns zumuthet, uus an der Nach¬
ahmung des Stimmcns geigender Musikanten oder an charakteristischen Soldaten¬
liedern, an drolligen nicht auf der Gasse liegenden Einfällen, an vollklingenden
effectreichen Chören zu begnügen, dann hat Meyerbeer das Mögliche geleistet.
Seine Musik ist interessant, wie große Virtuosität immer interessant bleibt, und
wäre es auch blos als ein Curiosum, a.der das ist auch alles, was mau im
allgemeinen von dieser neuen Oper Empfehlenswerthes sagen kann.

An Melodien fehlt es grade nicht in dieser Oper, weniger als in den meisten
seiner frühern Werke. Aber die Melodien sind zerstückelt, bunt durcheinander ge¬
würfelt und wir suchen vergebens nach einem Faden, der diese lose aneinander
gereihten Zufälligkeiten organisch verbinde. Meyerbeer sucht jede Art von
Effecten, weil er durch Contraste und unerwartete Einfälle blenden und über¬
rasche" will -- von eiuer dem dramatischen Stoffe angepaßten Grund- oder
Localfarbe ist keine Rede. Die Baschkiren singen und tanzen nach Meyerbeerschen
Zigeunermelodien mit jüdisch-polnischen Anklängen. -- Er bleibt entweder allgemein
charakteristisch wie in den Soldatenliedern und Chören oder er treibt die Vir¬
tuosität bis zur künstlerischen Spielerei, wie in dem beliebten Fechtduette der
beide" Marketenderinnen. Das ist höchst interessant, wir leugnen es nicht, diese
Scene hat mir dreimal gleiche" Spaß gemacht. Aber so kunstfertig das ist, so
wenig kann es sich auch nur im entferntesten mit ähnlichem messen, was von
den echten Meistern der Kunst im Uebermuthe ihres schrankenlosen Schöpfnngs-
triebes gewagt wird. Wie Meyerbeer, der sich auf seine realistische Anschauung
der Unterr soviel zu Gute thut, oft ganz unsinnig zu Werke geht, dies beweist
unter andern die Arie des Pastetcnbäckers. Kauft Törtchen u. f. w. wird
sentimental vorgesungen, als ob ein Liebhaber in der ersten besten italienischen
Oper ein Liebeslied sänge und die Orchesterbegleitung nimmt zum Schlüsse einen
gradezu tragischen Anlauf. Das Rondo mit dem Tambourin, der Vielka entlehnt,


wie unter andern z. B. in der Arie Prascoviens: czM ^'s,i xeur — gleich ^
kommt die Reflexion seines Virtnosenthnms als Mephisto hinterdrein und verleitet
ihn zu Uebertreibungen, die ans dem ursprünglich richtig Empfundenen Affectirtes
machen. Ohne Naivetät aber kein Kunstwerk. Wir lassen gern jede Individualität
gelten, wenn diese sich eben künstlerisch geltend zu machen versteht. Es ist mit
niemand zu rechten, wenn er die süße Trunkenheit eines Paul Äeronese dem
einfachen Wesen Raphaels vorzieht, ein solcher Vorzug läßt sich begreifen. Aber
es muß eben Paul Veronese sein und nicht Conrbet. Es muß aus dem Ueber¬
flusse sinnlichen Reichthums quellen und nicht reflcxionsmäßig, mit ängstlicher Be¬
rechnung aus dem Farbentopfe geholt werden, um mit grellen und bunten Farben
zu ersetzen, was die künstlerische Inspiration versagt. Der Realismus muß sich
auch künstlerisch bethätigen, soll er anders zum Kunstwerke werden. Triviale An¬
schauung des Lebens und der Natur aber macht noch nicht Naturtreue und noch
weniger künstlerische Wahrheit ans. Wenn man uns zumuthet, uus an der Nach¬
ahmung des Stimmcns geigender Musikanten oder an charakteristischen Soldaten¬
liedern, an drolligen nicht auf der Gasse liegenden Einfällen, an vollklingenden
effectreichen Chören zu begnügen, dann hat Meyerbeer das Mögliche geleistet.
Seine Musik ist interessant, wie große Virtuosität immer interessant bleibt, und
wäre es auch blos als ein Curiosum, a.der das ist auch alles, was mau im
allgemeinen von dieser neuen Oper Empfehlenswerthes sagen kann.

An Melodien fehlt es grade nicht in dieser Oper, weniger als in den meisten
seiner frühern Werke. Aber die Melodien sind zerstückelt, bunt durcheinander ge¬
würfelt und wir suchen vergebens nach einem Faden, der diese lose aneinander
gereihten Zufälligkeiten organisch verbinde. Meyerbeer sucht jede Art von
Effecten, weil er durch Contraste und unerwartete Einfälle blenden und über¬
rasche» will — von eiuer dem dramatischen Stoffe angepaßten Grund- oder
Localfarbe ist keine Rede. Die Baschkiren singen und tanzen nach Meyerbeerschen
Zigeunermelodien mit jüdisch-polnischen Anklängen. — Er bleibt entweder allgemein
charakteristisch wie in den Soldatenliedern und Chören oder er treibt die Vir¬
tuosität bis zur künstlerischen Spielerei, wie in dem beliebten Fechtduette der
beide» Marketenderinnen. Das ist höchst interessant, wir leugnen es nicht, diese
Scene hat mir dreimal gleiche» Spaß gemacht. Aber so kunstfertig das ist, so
wenig kann es sich auch nur im entferntesten mit ähnlichem messen, was von
den echten Meistern der Kunst im Uebermuthe ihres schrankenlosen Schöpfnngs-
triebes gewagt wird. Wie Meyerbeer, der sich auf seine realistische Anschauung
der Unterr soviel zu Gute thut, oft ganz unsinnig zu Werke geht, dies beweist
unter andern die Arie des Pastetcnbäckers. Kauft Törtchen u. f. w. wird
sentimental vorgesungen, als ob ein Liebhaber in der ersten besten italienischen
Oper ein Liebeslied sänge und die Orchesterbegleitung nimmt zum Schlüsse einen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/27>, abgerufen am 23.07.2024.