Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.darf sich natürlich eine solche Anklage nicht stützen. Es sollte und' dürfte aber darf sich natürlich eine solche Anklage nicht stützen. Es sollte und' dürfte aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98043"/> <p xml:id="ID_815" prev="#ID_814" next="#ID_816"> darf sich natürlich eine solche Anklage nicht stützen. Es sollte und' dürfte aber<lb/> auch kein müßiger Zuschauer diesen Einwurf erhebe», ja kaum dem sachverständi¬<lb/> ge» Juristen, und wäre er selbst Mitglied des Schwurgerichtshöfes gewesen,<lb/> mochte ich dies zugestehen. Man muß selbstthätig wiederholten Berathungen der<lb/> Geschwornen beigewohnt haben, um hierüber ein Urtheil zu haben. Mir schei¬<lb/> nen-nur^ zwei Eigenschaften für einen tüchtigen Geschworenen erforderlich: der<lb/> sittlich ernste Wille, das Recht und die Wahrheit zu finden, und eine gesunde, durch<lb/> das Lebe» gebildete Urtheilskraft. Was darüber ist, ist —.Mindestens überflüssig.<lb/> Wie die Geschworeuenliste, auf der ich mich befand, zusammengesetzt war, habe ich<lb/> oben angegeben, und aus sechs Berathungen ist mir der Eindruck der freudigsten<lb/> Genugthuung geblieben, unter Männern der .verschiedenste» Stände, der Mehrzahl<lb/> nach Bauern, eine so feste sittliche Gesinnung und eine solche Schärfe deö Urtheils<lb/> gefunden z» haben, wie ich sie — offen gestanden — Nicht erwartet hatte. Es<lb/> kommt hinzu, daß einzelne Unbefähigte, die wol einmal mit unterlaufen, durch<lb/> das AblehnuugSrecht des Staatsanwalts leicht beseitigt werden können; ja es ist<lb/> vorgekommen, daß die Mehrzahl der Geschworenen selbst einen darauf gerichteten<lb/> Wunsch zu erkenne» gegeben hat. Man könnte ferner einwenden, da gewöhnlich<lb/> der durch geistige Bildung am meisten Bevorzugte Obmann werde, so sei es<lb/> wo.l' zuletzt sein Werk,' wenn ein ordentlicher Wahrspruch zu Staude komme. Ich<lb/> selbst habe mich allerdings mit ängstlicher Sorgfalt gehütet, irgendeinen bestim¬<lb/> mende» Einfluß geltend zu machen, aber ich habe mich aus der Berathung ver¬<lb/> wickelter Fälle die Ueberzeugung gewonnen, daß es vielleicht möglich sein<lb/> würde,, über Nebenumstände, die- eine besonders schärft Begriffsbestimmung erfor¬<lb/> dern, das Urtheil'einzelner Mitgeschworenen'zu beherrschen, daß dies aber keinem<lb/> Obmanne bei der Hauptfrage „Schuldig oder nicht" gelingen könne. Es fragte<lb/> sich unter andern«, ob ein Zimmermann, der bei einem Auflaufe vom Zimmerplatze<lb/> kommend sein Beil zur Hand gehabt, aber nicht benutzt hatte, als „bewaffneter<lb/> Theilnehmer" anzusehen sei. Sofort erfolgte aus der Mitte der Geschworenen die<lb/> logisch unverbesserliche Aeußerung: „hier war das Beil sein Werkzeug, also keine<lb/> Waffe." Hätte dagegen der „intelligenteste", Obmann etwas ausrichten können?<lb/> Ein andres Beispiel für die Gewissenhaftigkeit der Geschworenen berührt zugleich<lb/> die Frage, ob man Geschworene» politische Processe anvertraue» dürfe, zu deren<lb/> praktischer Beantwortung uns glücklicherweise weiter keine Gelegenheit gegeben<lb/> war. Ein Polizeibeamter hatte Aeußerungen zur Anzeige gebracht, welche zwei<lb/> Handwerker in einer stark angetrunkenen Kirchweihgesellschaft über den Regenten<lb/> eiues benachbarten Staates gethan habe» sollten, Aeußerungen, die, wenn erwie¬<lb/> sen, nicht straffrei bleiben konnten. Nach geschlossener Verhandlung stellte der<lb/> Gerichtshof die Fragen: „Ist A.'schuldig? ist B. schuldig? Waren A. und B. bis<lb/> Bewußtlosigkeit betrunken? „Wäre es den Geschworenen aus einem demokrati¬<lb/> sche» Gelüste darum zu thun gewesen-, die Angeklagten durchschlüpfe» zu lasse»,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
darf sich natürlich eine solche Anklage nicht stützen. Es sollte und' dürfte aber
auch kein müßiger Zuschauer diesen Einwurf erhebe», ja kaum dem sachverständi¬
ge» Juristen, und wäre er selbst Mitglied des Schwurgerichtshöfes gewesen,
mochte ich dies zugestehen. Man muß selbstthätig wiederholten Berathungen der
Geschwornen beigewohnt haben, um hierüber ein Urtheil zu haben. Mir schei¬
nen-nur^ zwei Eigenschaften für einen tüchtigen Geschworenen erforderlich: der
sittlich ernste Wille, das Recht und die Wahrheit zu finden, und eine gesunde, durch
das Lebe» gebildete Urtheilskraft. Was darüber ist, ist —.Mindestens überflüssig.
Wie die Geschworeuenliste, auf der ich mich befand, zusammengesetzt war, habe ich
oben angegeben, und aus sechs Berathungen ist mir der Eindruck der freudigsten
Genugthuung geblieben, unter Männern der .verschiedenste» Stände, der Mehrzahl
nach Bauern, eine so feste sittliche Gesinnung und eine solche Schärfe deö Urtheils
gefunden z» haben, wie ich sie — offen gestanden — Nicht erwartet hatte. Es
kommt hinzu, daß einzelne Unbefähigte, die wol einmal mit unterlaufen, durch
das AblehnuugSrecht des Staatsanwalts leicht beseitigt werden können; ja es ist
vorgekommen, daß die Mehrzahl der Geschworenen selbst einen darauf gerichteten
Wunsch zu erkenne» gegeben hat. Man könnte ferner einwenden, da gewöhnlich
der durch geistige Bildung am meisten Bevorzugte Obmann werde, so sei es
wo.l' zuletzt sein Werk,' wenn ein ordentlicher Wahrspruch zu Staude komme. Ich
selbst habe mich allerdings mit ängstlicher Sorgfalt gehütet, irgendeinen bestim¬
mende» Einfluß geltend zu machen, aber ich habe mich aus der Berathung ver¬
wickelter Fälle die Ueberzeugung gewonnen, daß es vielleicht möglich sein
würde,, über Nebenumstände, die- eine besonders schärft Begriffsbestimmung erfor¬
dern, das Urtheil'einzelner Mitgeschworenen'zu beherrschen, daß dies aber keinem
Obmanne bei der Hauptfrage „Schuldig oder nicht" gelingen könne. Es fragte
sich unter andern«, ob ein Zimmermann, der bei einem Auflaufe vom Zimmerplatze
kommend sein Beil zur Hand gehabt, aber nicht benutzt hatte, als „bewaffneter
Theilnehmer" anzusehen sei. Sofort erfolgte aus der Mitte der Geschworenen die
logisch unverbesserliche Aeußerung: „hier war das Beil sein Werkzeug, also keine
Waffe." Hätte dagegen der „intelligenteste", Obmann etwas ausrichten können?
Ein andres Beispiel für die Gewissenhaftigkeit der Geschworenen berührt zugleich
die Frage, ob man Geschworene» politische Processe anvertraue» dürfe, zu deren
praktischer Beantwortung uns glücklicherweise weiter keine Gelegenheit gegeben
war. Ein Polizeibeamter hatte Aeußerungen zur Anzeige gebracht, welche zwei
Handwerker in einer stark angetrunkenen Kirchweihgesellschaft über den Regenten
eiues benachbarten Staates gethan habe» sollten, Aeußerungen, die, wenn erwie¬
sen, nicht straffrei bleiben konnten. Nach geschlossener Verhandlung stellte der
Gerichtshof die Fragen: „Ist A.'schuldig? ist B. schuldig? Waren A. und B. bis
Bewußtlosigkeit betrunken? „Wäre es den Geschworenen aus einem demokrati¬
sche» Gelüste darum zu thun gewesen-, die Angeklagten durchschlüpfe» zu lasse»,
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