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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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zogen, und zwar so artig, als man nur etwas zu sehen wünschte. Besonders wunderte
ich mich über die breiten und goldgestickten Ranken und Laubwerke. Ich ging näher
und fand einen hübschen Betrug. Alles, was ich für Gold gehalten
hatte, war breit gedrücktes Stroh, uach schonen Zeichnungen aus
Papier geklebt, derGrund mit lebhaften Farben angestrichen." Man
kann das nicht besser sagen. Alles, was man für Gold hält, ist breit gedrücktes
Stroh ans Pcipier geklebt, der Grund mit lebhaften Farben angestrichen.

Die Ideenarmut!) glänzender, mit schöneren Arabesken zu bedecken, mit
prachtvolleren Lärm ist wol niemand mehr gelungen als Meyerbeer. Es ist eine fort¬
währende Jagd nach neuen Effecten, daß einem die Nerven weh thun. Bald
hören wir den Gesang mit einem einfachen Fagotte begleitet, bald bittet er sich
Begleitung von Flöte und Bässe" aus. Hier fingt die menschliche Stimme an
der Stelle eines Instruments im Orchester, dort wird wieder ein Instrument statt
der Sängerin laut. Es ist das bunteste Dnrcheinanderwerfen der musikalischen
Bedingungen eines Kunstwerkes und alles geht in neuen Orchcstcrcombinationen
und unerwarteteren Modulationen auf. Er wirkt nur überall auf die Nerven
und das höchste, was er leistet, ist, daß er den Geist in Anspruch nimmt -- das
Herz, das Gemüth, die rein musikalische Empfindung wird nicht weiter berührt,
Wo Meyerbeer die Melodie massenhaft verarbeitet wie im Chor oder im Or¬
chester, da wird unser Ohr durch das Kunstgemäße (uicht Künstlerische), mit
der dieser Compositeur immer zu Werke geht, noch am meisten befriedigt. Wo
es sich um rein realistische gemeine Charakteristruug einer Situation oder eines
Seelenzustandes handelt, da gelingt es ihm auch noch gut genug -- aber es
bleibt eben materiell-charakteristisch, ohne Gemüthösprache zu sein. Wir ver¬
langen von Meyerbeer keine Gretrysche Einfachheit -- sein Element ist
eben das Massenhafte, die stark aufgetragenen Farben, aber auch in dieser
Richtung läßt sich Musikalisches leiste", dort, wo das Kunstwerk aus schöpfe¬
rischer Eingebung fließt. Weber wußte, wenn wir nicht irren, auch mit
dem Orchester recht gut umzuspringen, aber wie einfach erscheinen die kühnsten Com¬
binationen, wie untergeordnet bleibt der äußerliche Zweck dem innern Gehalte. Wie
wußte er doch noch den Grunvton, die Grundfarbe seines Gemäldes vorherrschend zu
halten -- er beherrschte das Orchester, wie er unsere Gefühle zu beherrschen ver¬
stand. Die Jnstrumentalesfccte reißen bei ihm nicht ans wie wilde Rosse. Meyer¬
beer hält sich blos an das Aeußerliche und wenn dann der Sturm auf unser
Nervensystem in geometrischer Progression stärker wird, dann glaubt er den Haupt-
anfordernngen der dramatischen Musik, die allerdings gesteigerte Spannung und
stets volle Befriedigung derselben erheischt, Genüge geleistet zu haben. Allein
Meyerbeers Anschwellen befriedigt unsere Gefühle nicht, es schlägt sie todt, wir
werden stumpf und es ist uns gleich, was er dann immer über uns ergehen läßt.
Wenn er ja zuweilen einen ursprünglichen Gedanken, eine naive Inspiration hat,


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zogen, und zwar so artig, als man nur etwas zu sehen wünschte. Besonders wunderte
ich mich über die breiten und goldgestickten Ranken und Laubwerke. Ich ging näher
und fand einen hübschen Betrug. Alles, was ich für Gold gehalten
hatte, war breit gedrücktes Stroh, uach schonen Zeichnungen aus
Papier geklebt, derGrund mit lebhaften Farben angestrichen." Man
kann das nicht besser sagen. Alles, was man für Gold hält, ist breit gedrücktes
Stroh ans Pcipier geklebt, der Grund mit lebhaften Farben angestrichen.

Die Ideenarmut!) glänzender, mit schöneren Arabesken zu bedecken, mit
prachtvolleren Lärm ist wol niemand mehr gelungen als Meyerbeer. Es ist eine fort¬
währende Jagd nach neuen Effecten, daß einem die Nerven weh thun. Bald
hören wir den Gesang mit einem einfachen Fagotte begleitet, bald bittet er sich
Begleitung von Flöte und Bässe» aus. Hier fingt die menschliche Stimme an
der Stelle eines Instruments im Orchester, dort wird wieder ein Instrument statt
der Sängerin laut. Es ist das bunteste Dnrcheinanderwerfen der musikalischen
Bedingungen eines Kunstwerkes und alles geht in neuen Orchcstcrcombinationen
und unerwarteteren Modulationen auf. Er wirkt nur überall auf die Nerven
und das höchste, was er leistet, ist, daß er den Geist in Anspruch nimmt — das
Herz, das Gemüth, die rein musikalische Empfindung wird nicht weiter berührt,
Wo Meyerbeer die Melodie massenhaft verarbeitet wie im Chor oder im Or¬
chester, da wird unser Ohr durch das Kunstgemäße (uicht Künstlerische), mit
der dieser Compositeur immer zu Werke geht, noch am meisten befriedigt. Wo
es sich um rein realistische gemeine Charakteristruug einer Situation oder eines
Seelenzustandes handelt, da gelingt es ihm auch noch gut genug — aber es
bleibt eben materiell-charakteristisch, ohne Gemüthösprache zu sein. Wir ver¬
langen von Meyerbeer keine Gretrysche Einfachheit — sein Element ist
eben das Massenhafte, die stark aufgetragenen Farben, aber auch in dieser
Richtung läßt sich Musikalisches leiste», dort, wo das Kunstwerk aus schöpfe¬
rischer Eingebung fließt. Weber wußte, wenn wir nicht irren, auch mit
dem Orchester recht gut umzuspringen, aber wie einfach erscheinen die kühnsten Com¬
binationen, wie untergeordnet bleibt der äußerliche Zweck dem innern Gehalte. Wie
wußte er doch noch den Grunvton, die Grundfarbe seines Gemäldes vorherrschend zu
halten — er beherrschte das Orchester, wie er unsere Gefühle zu beherrschen ver¬
stand. Die Jnstrumentalesfccte reißen bei ihm nicht ans wie wilde Rosse. Meyer¬
beer hält sich blos an das Aeußerliche und wenn dann der Sturm auf unser
Nervensystem in geometrischer Progression stärker wird, dann glaubt er den Haupt-
anfordernngen der dramatischen Musik, die allerdings gesteigerte Spannung und
stets volle Befriedigung derselben erheischt, Genüge geleistet zu haben. Allein
Meyerbeers Anschwellen befriedigt unsere Gefühle nicht, es schlägt sie todt, wir
werden stumpf und es ist uns gleich, was er dann immer über uns ergehen läßt.
Wenn er ja zuweilen einen ursprünglichen Gedanken, eine naive Inspiration hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/26>, abgerufen am 23.07.2024.