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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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den. Sehr wahrscheinlich ist es mir, daß jetzt mancher Meineid zur Strafe ge¬
zogen wird, der früher unentdeckt blieb, dann wäre also ein jetzt nachgewiesenes
Mehr sogar ein Fortschritt. Z. B.: ein bis dahin im besten Rufe stehender
Mann hatte sich eidlich zum fortdauernden Besitze eines Beiles bekannt, dessen sich
sein Bruder bei einem Ranbanfalle bedient hatte; die Bitten der Schwägerin,
der Wunsch, den Bruder vor bedrohlicher Untersuchung zu retten, hatten ihn da¬
zu verleitet; er hatte ein an sich sittlich lobenswerthes Wohlwollest Herr werden
lassen über die Heiligkeit des Eides. Dieser Fall wäre gar nicht zur Untersuchung
gekommen, wenn nicht der des Raubes angeklagte Bruder endlich gestanden
hätte; er hat aber nachweislich ans Furcht vor dem Schwurgerichte eingestanden,
und so hat auch nur dieses die Verfolgung, jenes Meineides ermöglicht.

Aber eine andere Ursache der gehäuften Meineide wird durch das Schwur¬
gericht offenkundig, und diese zu beseitigen wird Sache der Gesetzgebung sein
müssen: daß nämlich bis jetzt noch das Gesetz im Civilproceß um jede beliebige
Lumperei aus den Eid zu erkennen gestattet. In einem sehr verwickelten Falle,
der uns vorlag, war der angebliche Meineid über streitiges Holz im Werthe von
einem Gulden rheinisch geschworen! Wo daS Gesetz die Eide so wohlfeil
schätzt, da ist es wahrlich kein Wunder., wenn sie leichtfertig geschworen werden.

Von der größten Wichtigkeit für das Schwurgericht ist gewiß die Wahl des
Präsidenten. Neben der Würde, die vorzugsweise er durch ruhige und beson-
nene Haltung der ganzen Verhandlung zu geben, neben der Klarheit, die
er durch die Anordnung und Leitung der Vernehmungen über den ganze". Fall
zu verbreiten vermag, ist die übersichtliche Darstellung der gesammten Sachlage,
zu welcher er das Beweisverfahren, die Anklage und'die Vertheidigung zusammen¬
faßt, unbedingt die. schwierigste seiner Obliegenheiten. Denn ich halte es aller¬
dings nicht für unbedingt unmöglich, daß eine nach der einen oder der andern
Seite sich neigende Darstellung das Urtheil der Geschworenen in einem einzelnen
Falle irreleiten könnte; ein Mangel, dem das alte Verfahren in weit höherem Grade
ausgesetzt war, da hier eine Einseitigkeit des Referenten nicht dnrch den leben¬
digen Anblick und das lebendige Wort des Angeklagten und der Zeugen aufge¬
wogen wurde. Ich selbst habe nur Gelegenheit gehabt, einen Präsidenten zu be¬
wundern, der vor der e?gnen Geschäftsführung nnr wenigen fremden Schwnr-
gcrichtssitznngen beigewohnt hatte und uns Darstellungen gab, in denen von
dem gesammten vorliegenden Stoff nicht das Mindeste ausgelassen, von einem
eignen Urtheil nicht das Mindeste beigemischt war. Und noch manche sonstige
Tugend zu üben fehlt es dem Präsidenten nicht an Gelegenheit, ich erwähne um
den Fall, wo es sich um Fleischeövergchcn handelt; sie sind widerwärtig für die
Geschworenen, bedrückend für die Zeuge", namentlich wen" diese weiblichen Ge¬
schlechts und irgendwie an der Sache betheiligt sind, aber der Präsident darf die
häkeligstcu Punkte nicht übergehen und vertuschen, und doch habe ich mich ge-


den. Sehr wahrscheinlich ist es mir, daß jetzt mancher Meineid zur Strafe ge¬
zogen wird, der früher unentdeckt blieb, dann wäre also ein jetzt nachgewiesenes
Mehr sogar ein Fortschritt. Z. B.: ein bis dahin im besten Rufe stehender
Mann hatte sich eidlich zum fortdauernden Besitze eines Beiles bekannt, dessen sich
sein Bruder bei einem Ranbanfalle bedient hatte; die Bitten der Schwägerin,
der Wunsch, den Bruder vor bedrohlicher Untersuchung zu retten, hatten ihn da¬
zu verleitet; er hatte ein an sich sittlich lobenswerthes Wohlwollest Herr werden
lassen über die Heiligkeit des Eides. Dieser Fall wäre gar nicht zur Untersuchung
gekommen, wenn nicht der des Raubes angeklagte Bruder endlich gestanden
hätte; er hat aber nachweislich ans Furcht vor dem Schwurgerichte eingestanden,
und so hat auch nur dieses die Verfolgung, jenes Meineides ermöglicht.

Aber eine andere Ursache der gehäuften Meineide wird durch das Schwur¬
gericht offenkundig, und diese zu beseitigen wird Sache der Gesetzgebung sein
müssen: daß nämlich bis jetzt noch das Gesetz im Civilproceß um jede beliebige
Lumperei aus den Eid zu erkennen gestattet. In einem sehr verwickelten Falle,
der uns vorlag, war der angebliche Meineid über streitiges Holz im Werthe von
einem Gulden rheinisch geschworen! Wo daS Gesetz die Eide so wohlfeil
schätzt, da ist es wahrlich kein Wunder., wenn sie leichtfertig geschworen werden.

Von der größten Wichtigkeit für das Schwurgericht ist gewiß die Wahl des
Präsidenten. Neben der Würde, die vorzugsweise er durch ruhige und beson-
nene Haltung der ganzen Verhandlung zu geben, neben der Klarheit, die
er durch die Anordnung und Leitung der Vernehmungen über den ganze». Fall
zu verbreiten vermag, ist die übersichtliche Darstellung der gesammten Sachlage,
zu welcher er das Beweisverfahren, die Anklage und'die Vertheidigung zusammen¬
faßt, unbedingt die. schwierigste seiner Obliegenheiten. Denn ich halte es aller¬
dings nicht für unbedingt unmöglich, daß eine nach der einen oder der andern
Seite sich neigende Darstellung das Urtheil der Geschworenen in einem einzelnen
Falle irreleiten könnte; ein Mangel, dem das alte Verfahren in weit höherem Grade
ausgesetzt war, da hier eine Einseitigkeit des Referenten nicht dnrch den leben¬
digen Anblick und das lebendige Wort des Angeklagten und der Zeugen aufge¬
wogen wurde. Ich selbst habe nur Gelegenheit gehabt, einen Präsidenten zu be¬
wundern, der vor der e?gnen Geschäftsführung nnr wenigen fremden Schwnr-
gcrichtssitznngen beigewohnt hatte und uns Darstellungen gab, in denen von
dem gesammten vorliegenden Stoff nicht das Mindeste ausgelassen, von einem
eignen Urtheil nicht das Mindeste beigemischt war. Und noch manche sonstige
Tugend zu üben fehlt es dem Präsidenten nicht an Gelegenheit, ich erwähne um
den Fall, wo es sich um Fleischeövergchcn handelt; sie sind widerwärtig für die
Geschworenen, bedrückend für die Zeuge», namentlich wen» diese weiblichen Ge¬
schlechts und irgendwie an der Sache betheiligt sind, aber der Präsident darf die
häkeligstcu Punkte nicht übergehen und vertuschen, und doch habe ich mich ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/259>, abgerufen am 23.07.2024.