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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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liebes Kriterium der Standschaft aufstellte und wies darauf hin, daß sie,
ohne doppelte Ergänzung durch Reichsstände und durch Kreisftände für den
Staat unfruchtbar sein würden.

(S. 668) -- Die Provinzialstände sind zwar nützlich, denn durch ihre
Bildung wird die ganze Zahl der bemittelten Eigenthümer aller Classen an
den Staat gebunden, zur gemeinnützigen Thätigkeit gereizt, durch Benutzung
ihrer Kräfte ihr Selbstgefühl gehoben, es kommt in die Verwaltung eine freiere
Thätigkeit, die man von den Formeln entfesseln kann, welche- das Beamten¬
wesen erfordert. Die Provinzialstände können aber die Reichsstände nicht er¬
setzen, denn sie sind zu ohnmächtig, um dem Mißbrauch der obersten Gewalt
Grenzen zu setzen, sie lassen sich leicht lahmen, einschüchtern, selbst mißbrauchen,
ihr Gesichtskreis ist zu beschränkt, zu einseitig, um das Interesse der großen
Gesellschaft zu beurtheilen, ihr Wirkungskreis ist zu beschränkt und zu kleinlich,
um in dem Volke die großen und edlen Gefühle der Vaterlandsliebe, der
Selbstaufopferung zu erwecken, um die Geisteskräfte in ihrem vollen Umfang
zu entwickeln. (Februar 1822). --

Allein er glaubte doch in den Provinzialständen einen Fortschritt zum
Besseren zu sehen, worin er sehr wesentlich von Wilhelm von Humboldt abwich,
.der ein unter diesen Bedingungen ins Leben getretenes Institut gradezu als nach¬
theilig und schädlich darstellte. Man vergleiche darüber die sehr belehrenden Stellen
S.738, 770 ff. und 783. Obgleich sich sehr vieles für Humboldts Meinung an¬
führen läßt, so würden wir doch in den Provinzialständen eine sehr nützliche
VorbereitungSschule sehen, wenn man den Muth gehabt hätte, ihnen im rech¬
ten Augenblick den angemessenen "Abschluß z,u> gellen. Da man aber dieses
versäumt hat, sind sie unfruchtbar für das politische Leben der Nation vorüber¬
gegangen, und der neueste Versuch, sie neben der rechtskräftig festgestellten Ver-,
sassung durch eine gewisse Ueberraschung wieder festzustellen, ist als gescheitert
zu betrachten.

Einen-großen Theil des vorliegenden Bandes nehmen die Bemühungen
ein, die Stein dem großen Nationalunternehmen der Herausgabe der deutschen
Geschichtschreiber widmete. Auch hier arbeitete er mit jener rastlosen, uner¬
schütterlichen Ausdauer, mit je.ner Macht des Willens, die er früher in den
größeren politischen Verhältnissen entwickelt hatte. Ein sorgfältiges Studium
dieser Belege wird zeigen, daß auch die deutsch." Wissenschaft diesem großen
Mann nicht minder schuldig ist, als das deutsche Staatsleben. Und so wün¬
schen wir denn, daß dieses schone Zeugniß einerv mit Kraft und Einsicht ge¬
paarten Gesinnung, wie sie wenigstens früher in Deutschland und Preußen
möglich war, sich durch das ganze Volk verbreite, um überall die erloschenen
Hoffnungen wieder aufzuregen und den Geist zu unverdrossener frischer Thätig¬
keit anzuspornen. ' >


liebes Kriterium der Standschaft aufstellte und wies darauf hin, daß sie,
ohne doppelte Ergänzung durch Reichsstände und durch Kreisftände für den
Staat unfruchtbar sein würden.

(S. 668) — Die Provinzialstände sind zwar nützlich, denn durch ihre
Bildung wird die ganze Zahl der bemittelten Eigenthümer aller Classen an
den Staat gebunden, zur gemeinnützigen Thätigkeit gereizt, durch Benutzung
ihrer Kräfte ihr Selbstgefühl gehoben, es kommt in die Verwaltung eine freiere
Thätigkeit, die man von den Formeln entfesseln kann, welche- das Beamten¬
wesen erfordert. Die Provinzialstände können aber die Reichsstände nicht er¬
setzen, denn sie sind zu ohnmächtig, um dem Mißbrauch der obersten Gewalt
Grenzen zu setzen, sie lassen sich leicht lahmen, einschüchtern, selbst mißbrauchen,
ihr Gesichtskreis ist zu beschränkt, zu einseitig, um das Interesse der großen
Gesellschaft zu beurtheilen, ihr Wirkungskreis ist zu beschränkt und zu kleinlich,
um in dem Volke die großen und edlen Gefühle der Vaterlandsliebe, der
Selbstaufopferung zu erwecken, um die Geisteskräfte in ihrem vollen Umfang
zu entwickeln. (Februar 1822). —

Allein er glaubte doch in den Provinzialständen einen Fortschritt zum
Besseren zu sehen, worin er sehr wesentlich von Wilhelm von Humboldt abwich,
.der ein unter diesen Bedingungen ins Leben getretenes Institut gradezu als nach¬
theilig und schädlich darstellte. Man vergleiche darüber die sehr belehrenden Stellen
S.738, 770 ff. und 783. Obgleich sich sehr vieles für Humboldts Meinung an¬
führen läßt, so würden wir doch in den Provinzialständen eine sehr nützliche
VorbereitungSschule sehen, wenn man den Muth gehabt hätte, ihnen im rech¬
ten Augenblick den angemessenen »Abschluß z,u> gellen. Da man aber dieses
versäumt hat, sind sie unfruchtbar für das politische Leben der Nation vorüber¬
gegangen, und der neueste Versuch, sie neben der rechtskräftig festgestellten Ver-,
sassung durch eine gewisse Ueberraschung wieder festzustellen, ist als gescheitert
zu betrachten.

Einen-großen Theil des vorliegenden Bandes nehmen die Bemühungen
ein, die Stein dem großen Nationalunternehmen der Herausgabe der deutschen
Geschichtschreiber widmete. Auch hier arbeitete er mit jener rastlosen, uner¬
schütterlichen Ausdauer, mit je.ner Macht des Willens, die er früher in den
größeren politischen Verhältnissen entwickelt hatte. Ein sorgfältiges Studium
dieser Belege wird zeigen, daß auch die deutsch.« Wissenschaft diesem großen
Mann nicht minder schuldig ist, als das deutsche Staatsleben. Und so wün¬
schen wir denn, daß dieses schone Zeugniß einerv mit Kraft und Einsicht ge¬
paarten Gesinnung, wie sie wenigstens früher in Deutschland und Preußen
möglich war, sich durch das ganze Volk verbreite, um überall die erloschenen
Hoffnungen wieder aufzuregen und den Geist zu unverdrossener frischer Thätig¬
keit anzuspornen. ' >


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/254>, abgerufen am 23.07.2024.