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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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die Regierung, wenn auch der gegebene Rath der genommenen Maßregel bei¬
fällig ist, in der öffentlichen Meinung nicht die kräftige Stütze finden, die sie
in der freiwilligen Zustimmung eines selbstständigen, repräsentativen Körpers
findet. Die rathgebende Versammlung wird serner geneigt sein, nach Ma߬
gabe der von außen einwirkenden Umstände entweder mit Lauigkeit zu han¬
deln, oder sich allen Verirrungen im Tadeln und Vorschlagen überlassen, wel¬
chen sie sich ohne allen Nachtheil für das Ganze muthwillig überlassen darf,
da sie für die auf ihre Berathung genommenen Beschlüsse nicht verantwortlich
ist. (Januar 18-19). --

Schon aus dem Angeführten ergibt sich, daß es Stein keineswegs um
eine n'vMrende demokratische Konstitution zu thun war, die den Staat gleich¬
kam aus dem Nichts neu erschaffen hätte, sondern um eine Anknüpfung an
die historischen Zustände des Staats, die nur der freien Entwicklung bedurften,
um sich zu einer schönen Form zu krystallistren. Stein war nicht nur seiner
Neigung, sondern auch seiner Ueberzeugung nach Aristokrat, aber ebendarum
hielt er die Verjüngung seines Standes und die Einbürgerung desselben in daS
allgemeine politische Leben für die nothwendige Grundlage seiner Berechtigung.
Er hat mit unverdrossenem Eifer nach dieser Seite hin zu wirken gesucht, ohne daß
ihm etwas Wesentliches gelungen wäre. Und doch wäre es damals noch möglich ge¬
wesen, den preußischen Adel, in dem noch immer ein sehr gesunder nationaler Kern
vorhanden war^ in den allgemeinen Organismus auszunehmen. -- Keineswegs
ging aber Stein so weit, den Adel zur Grundlage der ständischen Repräsen¬
tation zu machen. Jene Ideen des Ständethums, die heute von der reactio-
nären Partei gepredigt werden, waren ihm vollkommen fremd. Er wollte di-
recte Wählen, jährliche Einberufung der Stände und für dieselben die nämlichen
Machtbefugnisse, die auch wir für nothwendig halten; eine Einschränkung der
letzteren auf privatrechtliche Verhältnisse erschien ihm völlig unstatthaft. "Wenn
die Stände/' schreibt er S. 80', "sich nicht in die Verwaltung des Landes
durch Berathung und Einwilligung mischen sollen, so wünschte ich wol zu
wissen, woran sie theilzunehmen haben', doch wol nicht an den Angelegen¬
heiten der Hofküche, des Hofpferde- und des Hofhundestalls?" Wenn' Stein
die Gelegenheit gehabt hätte, über die politische Fortentwicklung des Adels die¬
selben Erfahrungen zu machen, die uns heute vorliegen, so zweifeln wir se,hr
' daran, ob sein Glaube an die ständischen Fundamente der Verfassung nicht
wäre erschüttert worden, denn er hatte ein unvergleichlich scharfes Auge, seine
Wünsche von den wirklichen Zuständen zu unterscheiden.

Es kam nun die Zeit, wo man die Reichsstände durch Provinzialstände
angeblich vorbereiten, eigentlich aber ersetzen wollte. Stein betheiligte sich sehr
lebhast an den darüber angestellten Verhandlungen. Er machte auf das Fehler¬
hafte der Zusammensetzung aufmerksam, welche den Grundbesitz als ausschließ-


die Regierung, wenn auch der gegebene Rath der genommenen Maßregel bei¬
fällig ist, in der öffentlichen Meinung nicht die kräftige Stütze finden, die sie
in der freiwilligen Zustimmung eines selbstständigen, repräsentativen Körpers
findet. Die rathgebende Versammlung wird serner geneigt sein, nach Ma߬
gabe der von außen einwirkenden Umstände entweder mit Lauigkeit zu han¬
deln, oder sich allen Verirrungen im Tadeln und Vorschlagen überlassen, wel¬
chen sie sich ohne allen Nachtheil für das Ganze muthwillig überlassen darf,
da sie für die auf ihre Berathung genommenen Beschlüsse nicht verantwortlich
ist. (Januar 18-19). —

Schon aus dem Angeführten ergibt sich, daß es Stein keineswegs um
eine n'vMrende demokratische Konstitution zu thun war, die den Staat gleich¬
kam aus dem Nichts neu erschaffen hätte, sondern um eine Anknüpfung an
die historischen Zustände des Staats, die nur der freien Entwicklung bedurften,
um sich zu einer schönen Form zu krystallistren. Stein war nicht nur seiner
Neigung, sondern auch seiner Ueberzeugung nach Aristokrat, aber ebendarum
hielt er die Verjüngung seines Standes und die Einbürgerung desselben in daS
allgemeine politische Leben für die nothwendige Grundlage seiner Berechtigung.
Er hat mit unverdrossenem Eifer nach dieser Seite hin zu wirken gesucht, ohne daß
ihm etwas Wesentliches gelungen wäre. Und doch wäre es damals noch möglich ge¬
wesen, den preußischen Adel, in dem noch immer ein sehr gesunder nationaler Kern
vorhanden war^ in den allgemeinen Organismus auszunehmen. — Keineswegs
ging aber Stein so weit, den Adel zur Grundlage der ständischen Repräsen¬
tation zu machen. Jene Ideen des Ständethums, die heute von der reactio-
nären Partei gepredigt werden, waren ihm vollkommen fremd. Er wollte di-
recte Wählen, jährliche Einberufung der Stände und für dieselben die nämlichen
Machtbefugnisse, die auch wir für nothwendig halten; eine Einschränkung der
letzteren auf privatrechtliche Verhältnisse erschien ihm völlig unstatthaft. „Wenn
die Stände/' schreibt er S. 80', „sich nicht in die Verwaltung des Landes
durch Berathung und Einwilligung mischen sollen, so wünschte ich wol zu
wissen, woran sie theilzunehmen haben', doch wol nicht an den Angelegen¬
heiten der Hofküche, des Hofpferde- und des Hofhundestalls?" Wenn' Stein
die Gelegenheit gehabt hätte, über die politische Fortentwicklung des Adels die¬
selben Erfahrungen zu machen, die uns heute vorliegen, so zweifeln wir se,hr
' daran, ob sein Glaube an die ständischen Fundamente der Verfassung nicht
wäre erschüttert worden, denn er hatte ein unvergleichlich scharfes Auge, seine
Wünsche von den wirklichen Zuständen zu unterscheiden.

Es kam nun die Zeit, wo man die Reichsstände durch Provinzialstände
angeblich vorbereiten, eigentlich aber ersetzen wollte. Stein betheiligte sich sehr
lebhast an den darüber angestellten Verhandlungen. Er machte auf das Fehler¬
hafte der Zusammensetzung aufmerksam, welche den Grundbesitz als ausschließ-


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[0254] die Regierung, wenn auch der gegebene Rath der genommenen Maßregel bei¬ fällig ist, in der öffentlichen Meinung nicht die kräftige Stütze finden, die sie in der freiwilligen Zustimmung eines selbstständigen, repräsentativen Körpers findet. Die rathgebende Versammlung wird serner geneigt sein, nach Ma߬ gabe der von außen einwirkenden Umstände entweder mit Lauigkeit zu han¬ deln, oder sich allen Verirrungen im Tadeln und Vorschlagen überlassen, wel¬ chen sie sich ohne allen Nachtheil für das Ganze muthwillig überlassen darf, da sie für die auf ihre Berathung genommenen Beschlüsse nicht verantwortlich ist. (Januar 18-19). — Schon aus dem Angeführten ergibt sich, daß es Stein keineswegs um eine n'vMrende demokratische Konstitution zu thun war, die den Staat gleich¬ kam aus dem Nichts neu erschaffen hätte, sondern um eine Anknüpfung an die historischen Zustände des Staats, die nur der freien Entwicklung bedurften, um sich zu einer schönen Form zu krystallistren. Stein war nicht nur seiner Neigung, sondern auch seiner Ueberzeugung nach Aristokrat, aber ebendarum hielt er die Verjüngung seines Standes und die Einbürgerung desselben in daS allgemeine politische Leben für die nothwendige Grundlage seiner Berechtigung. Er hat mit unverdrossenem Eifer nach dieser Seite hin zu wirken gesucht, ohne daß ihm etwas Wesentliches gelungen wäre. Und doch wäre es damals noch möglich ge¬ wesen, den preußischen Adel, in dem noch immer ein sehr gesunder nationaler Kern vorhanden war^ in den allgemeinen Organismus auszunehmen. — Keineswegs ging aber Stein so weit, den Adel zur Grundlage der ständischen Repräsen¬ tation zu machen. Jene Ideen des Ständethums, die heute von der reactio- nären Partei gepredigt werden, waren ihm vollkommen fremd. Er wollte di- recte Wählen, jährliche Einberufung der Stände und für dieselben die nämlichen Machtbefugnisse, die auch wir für nothwendig halten; eine Einschränkung der letzteren auf privatrechtliche Verhältnisse erschien ihm völlig unstatthaft. „Wenn die Stände/' schreibt er S. 80', „sich nicht in die Verwaltung des Landes durch Berathung und Einwilligung mischen sollen, so wünschte ich wol zu wissen, woran sie theilzunehmen haben', doch wol nicht an den Angelegen¬ heiten der Hofküche, des Hofpferde- und des Hofhundestalls?" Wenn' Stein die Gelegenheit gehabt hätte, über die politische Fortentwicklung des Adels die¬ selben Erfahrungen zu machen, die uns heute vorliegen, so zweifeln wir se,hr ' daran, ob sein Glaube an die ständischen Fundamente der Verfassung nicht wäre erschüttert worden, denn er hatte ein unvergleichlich scharfes Auge, seine Wünsche von den wirklichen Zuständen zu unterscheiden. Es kam nun die Zeit, wo man die Reichsstände durch Provinzialstände angeblich vorbereiten, eigentlich aber ersetzen wollte. Stein betheiligte sich sehr lebhast an den darüber angestellten Verhandlungen. Er machte auf das Fehler¬ hafte der Zusammensetzung aufmerksam, welche den Grundbesitz als ausschließ-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/253>, abgerufen am 23.07.2024.