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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Die Bedeutung des Vertrages für die nächste Zeit liegt in der durch den Se¬
paratvertrag vorgesehenen Eventualität, über welche unseres Wissens noch keine
Mittheilung in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. Das Preuß. Wochenblatt, wel¬
ches gut unterrichtet zu sein pflegt, versichert indeß- ,,Der Krieg gegen Rußland,
M Durchführung der in dem Wiener Protokoll niedergelegten Grundsätze ist nicht in
dem Vertrage von vornherein als eine solche Eventualität hingestellt, wo die Initiative
mit dem Recht aus Unterstützung freigegeben ist." Darnach gewinnt die Angabe an
Glaubwürdigkeit, daß eine Occupation Bosniens und Serbiens durch östreichische
Truppen, insofern dieselbe nicht eine Action gegen Rußland, sondern lediglich eine
Pfandnahme -> >-> Kesseli-vel" bedeutet, der in dem Separatabkommen vorgesehene
Fall ist, indem Preußen ohne wcitres zur Ausstellung einer Reservearmee sich ver¬
pflichtet hat. Diese Auffassung wird durch den Umstand unterstützt, daß man ge¬
glaubt hat, den Vertrag dem russischen Gesandten mittheilen zu können; ferner durch
die Zusammenziehung des östreichischen Beobachtungscorps an den Grenzen der ge¬
nannten türkischen Provinzen und nicht in Siebenbürgen oder der Bukowina; end¬
lich durch die Räumung der kleinen Walachei seitens der russischen Truppen, --
eine Maßregel, die deshalb, weil sie auch aus militärischen Gründen empfchlungs-
wcrth scheint, nicht ausschließlich aus militärischen Gründen angeordnet zu sein
braucht.

Was hat die europäische Sache, was hat Deutschland und Preußen durch ein
solches Abkommen gewönne^?

Die große Verwicklung wird mit einer neuen Schwierigkeit dadurch bedroht,
daß den östreichischen Staatsmännern die Versuchung nahegelegt wird, im Ver¬
trauen aus Preußens Hilfe ihre Hand auf türkisches Eigenthum zu legen, ohne die
Zustimmung der Pforte abzuwarten. Damit würden die deutschen Mächte ein ver-
hängnißvolles Analogon zur Praxis der russischen Politik liefern, und schwerlich im
Stande sein, den Wcstmächten die Ueberzeugung beizubringen, daß ein solches mili¬
tärisches Auftreten im Geiste der Wiener Protokolle liegt.

, Erfolgt die Occupation Serbiens und Bosniens aber mit Zustimmung des
Sultans, so kann die letztere jetzt, u,ach der Räumung der kleinen Walachei, ledig¬
lich dnrch eine, etwa von Montenegro aus angezettelte, slawische Bewegung veran¬
laßt werden. Oestreichs Action würde sich dann auf die Unterdrückung eines na¬
tionalen Aufstandes beschränken, ohne mit Nothwendigkeit eine bestimmte autirus-
sische Richtung anzunehmen. Eine solche Thätigkeit würde am meisten dem Geiste
des Staatsmanns zusagen, der die hohe Politik von dem Standpunkte der Feuer-
löschorduuug zu betrachten liebt.

Es ist ganz richtig, daß ein slawischer Aufstand im Interesse Rußlands liegt,
und daß seiue Unterdrückung ein indirecter Kampf gegen den Fortschritt der russi¬
schen Waffen auf der Balkanhalbinsel ist. Wir geben sogar zu, daß Oestreich bei
einer solchen Thätigkeit möglicherweise Conflicten mit Rußland entgegengeht, d. h.
der europäischen Sache ans einem Umwege wieder zugeführt werden kann. Aber
selbst dieser günstigste Fall scheint uns vom deutschen Standpunkte aus viel wem-
gcr wünschenswerth, als die Ereignisse,, welche aller menschlichen Voraussicht nach
ohne den östreichisch-preußischen Vertrag bei einer natürlichen Entwicklung der
Dinge erfolgt wären.

Wird nämlich Preußen und Deutschland ans diesem Umwege in die europäische
Strömung hineingezogen, so liegt der'Anlaß zu ihrer Action -- die Unterdrückung
der slawischen Bewegung -- in Interessen, die weder preußische noch deutsche sind.
Es würde dann wieder bestätigt werden, daß Deutschland kein selbständiges We¬
sen ist, welches zur Sicherstellung seiner eignen Lebensbedingungen, um seiner selbst
willen, an dem großen europäischen Kampfe theilnimmt, sondern nur eine seelen¬
lose Masse, die für fremde Zwecke von fremden Kräften hin- und hergeschoben wird.


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Die Bedeutung des Vertrages für die nächste Zeit liegt in der durch den Se¬
paratvertrag vorgesehenen Eventualität, über welche unseres Wissens noch keine
Mittheilung in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. Das Preuß. Wochenblatt, wel¬
ches gut unterrichtet zu sein pflegt, versichert indeß- ,,Der Krieg gegen Rußland,
M Durchführung der in dem Wiener Protokoll niedergelegten Grundsätze ist nicht in
dem Vertrage von vornherein als eine solche Eventualität hingestellt, wo die Initiative
mit dem Recht aus Unterstützung freigegeben ist." Darnach gewinnt die Angabe an
Glaubwürdigkeit, daß eine Occupation Bosniens und Serbiens durch östreichische
Truppen, insofern dieselbe nicht eine Action gegen Rußland, sondern lediglich eine
Pfandnahme -> >-> Kesseli-vel« bedeutet, der in dem Separatabkommen vorgesehene
Fall ist, indem Preußen ohne wcitres zur Ausstellung einer Reservearmee sich ver¬
pflichtet hat. Diese Auffassung wird durch den Umstand unterstützt, daß man ge¬
glaubt hat, den Vertrag dem russischen Gesandten mittheilen zu können; ferner durch
die Zusammenziehung des östreichischen Beobachtungscorps an den Grenzen der ge¬
nannten türkischen Provinzen und nicht in Siebenbürgen oder der Bukowina; end¬
lich durch die Räumung der kleinen Walachei seitens der russischen Truppen, —
eine Maßregel, die deshalb, weil sie auch aus militärischen Gründen empfchlungs-
wcrth scheint, nicht ausschließlich aus militärischen Gründen angeordnet zu sein
braucht.

Was hat die europäische Sache, was hat Deutschland und Preußen durch ein
solches Abkommen gewönne^?

Die große Verwicklung wird mit einer neuen Schwierigkeit dadurch bedroht,
daß den östreichischen Staatsmännern die Versuchung nahegelegt wird, im Ver¬
trauen aus Preußens Hilfe ihre Hand auf türkisches Eigenthum zu legen, ohne die
Zustimmung der Pforte abzuwarten. Damit würden die deutschen Mächte ein ver-
hängnißvolles Analogon zur Praxis der russischen Politik liefern, und schwerlich im
Stande sein, den Wcstmächten die Ueberzeugung beizubringen, daß ein solches mili¬
tärisches Auftreten im Geiste der Wiener Protokolle liegt.

, Erfolgt die Occupation Serbiens und Bosniens aber mit Zustimmung des
Sultans, so kann die letztere jetzt, u,ach der Räumung der kleinen Walachei, ledig¬
lich dnrch eine, etwa von Montenegro aus angezettelte, slawische Bewegung veran¬
laßt werden. Oestreichs Action würde sich dann auf die Unterdrückung eines na¬
tionalen Aufstandes beschränken, ohne mit Nothwendigkeit eine bestimmte autirus-
sische Richtung anzunehmen. Eine solche Thätigkeit würde am meisten dem Geiste
des Staatsmanns zusagen, der die hohe Politik von dem Standpunkte der Feuer-
löschorduuug zu betrachten liebt.

Es ist ganz richtig, daß ein slawischer Aufstand im Interesse Rußlands liegt,
und daß seiue Unterdrückung ein indirecter Kampf gegen den Fortschritt der russi¬
schen Waffen auf der Balkanhalbinsel ist. Wir geben sogar zu, daß Oestreich bei
einer solchen Thätigkeit möglicherweise Conflicten mit Rußland entgegengeht, d. h.
der europäischen Sache ans einem Umwege wieder zugeführt werden kann. Aber
selbst dieser günstigste Fall scheint uns vom deutschen Standpunkte aus viel wem-
gcr wünschenswerth, als die Ereignisse,, welche aller menschlichen Voraussicht nach
ohne den östreichisch-preußischen Vertrag bei einer natürlichen Entwicklung der
Dinge erfolgt wären.

Wird nämlich Preußen und Deutschland ans diesem Umwege in die europäische
Strömung hineingezogen, so liegt der'Anlaß zu ihrer Action — die Unterdrückung
der slawischen Bewegung — in Interessen, die weder preußische noch deutsche sind.
Es würde dann wieder bestätigt werden, daß Deutschland kein selbständiges We¬
sen ist, welches zur Sicherstellung seiner eignen Lebensbedingungen, um seiner selbst
willen, an dem großen europäischen Kampfe theilnimmt, sondern nur eine seelen¬
lose Masse, die für fremde Zwecke von fremden Kräften hin- und hergeschoben wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/242>, abgerufen am 22.12.2024.