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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Leipziger stolz ist. I" neuerer Zeit aber hat das allgemein verbreitete Interesse
für die Symphonie dahin gewirkt, daß überall, wo ein Orchester ist, auch mit
Eifer und Lust die Instrumentalmusik geübt und gepflegt wird. Die Hilfsmittel,
welche den Kapellen der Hauptstädte durch Massen und überlegene technische
Ausbildung zu Gebote stehen, kann eine Stadt wie Leipzig nicht aufbieten, und
in dieser Beziehung keine Concurrenz aushalten. Allein in der Kunst sind es
nicht die außer" Mittel, welche den letzten Ausschlag geben, sondern die geistige Ver-
werthung derselben. Dieses ist der Punkt, wo Leipzig mit größeren Kräften
rivalisiren muß und kann. Mendelssohns Leitung hat unser Orchester durch un¬
ermüdlich sorgfältiges Studium, uuuachsichtige Strenge, vollkommene Beherrschung
der Aufgabe und geistreiche Belebung zu Leistungen geführt, welche dasselbe
uuter die ersten in Europa stellten.

Haben sich nun die Leistungen unsres Orchesters auf dieser Höhe erhalten,
zeigen sie wenigstens noch die Traditionen jener Zeit in Richtung und Bestre¬
bung? Es ist schmerzlich, aber diese Frage muß verneint werden: die Leistungen
sind gesunken, so sehr gesunken, daß wenn nicht eine entschiedene Wendung ein¬
tritt, bald genug der alte Ruhm des Leipziger Orchesters dahin sein wird.

Die materiellen Kräfte sind sehr ancrkennenSwerth für eine Stadt wie
Leipzig, aber keineswegs so beschaffen, daß sie nicht der größten Aufmerksamkeit
bedürften. Die Saiteninstrumente sind im allgemeinen der beste Theil. Man
hat sie kürzlich verstärkt, was bei dem starken Gebrauch der Blasinstrumente in
neueren Compositionen erwünscht war. Die Msse reichen immer "och nicht aus,
was nicht allein an der geringen Zahl, sondern auch'an den Spielern, zum Theil
wol auch an der Beschaffenheit der Instrumente"liegen wird; wie denn diese über¬
haupt ein Grund sein mag, daß der materielle Klang der Saiteninstrumente hier
nicht so schon und wohllautend ist als bei andern Orchestern. Dem mag schwer ab-
zuhelfen sein, aber daß das Zusammenspiel der Geigen keineswegs gleichmäßig rein
und präcis ist, dem läßt sich durch Sorgfalt und Strenge abhelfen. Die Blas-
instrumente lassen viel zu wünschen- übrig. Hörner und Fagotts sind die wahre
partis donwusö des Orchesters, bei denen man vor den ärgsten Verstößen nicht
sicher ist. Die Trompeten sind sonst uicht schlecht, aber sie haben so entschieden
imperatorische Gelüste, daß sie fast immer zu laut siud, alle andern Instrumente
zurückdränge" und deu Totaleindruck beeinträchtigen. Eine der ersten Aufgaben
eines guten Dirigenten ist es, daß er ans seinem Orchester ein Ganzes mache;
daß er die Kräfte desselben genau kenne, und bei vollkommener Klarheit über das,
was er erreichen will, und die geeigneten Mittel dazu, es verstehe das, was ihm
zu Gebote steht, so zu benutzen, das Einzelne so zu stellen, daß eine harmonische
Gesammtwirkung erreicht werde. Das erheischt allerdings Einsicht, Eifer und
Geduld beim Einstudiren, am guten Wille" des Orchesters wird es dann nicht
fehlen, denn das Gefühl des Gelingens gibt allein den Ausführende" Lust und,


Leipziger stolz ist. I» neuerer Zeit aber hat das allgemein verbreitete Interesse
für die Symphonie dahin gewirkt, daß überall, wo ein Orchester ist, auch mit
Eifer und Lust die Instrumentalmusik geübt und gepflegt wird. Die Hilfsmittel,
welche den Kapellen der Hauptstädte durch Massen und überlegene technische
Ausbildung zu Gebote stehen, kann eine Stadt wie Leipzig nicht aufbieten, und
in dieser Beziehung keine Concurrenz aushalten. Allein in der Kunst sind es
nicht die außer» Mittel, welche den letzten Ausschlag geben, sondern die geistige Ver-
werthung derselben. Dieses ist der Punkt, wo Leipzig mit größeren Kräften
rivalisiren muß und kann. Mendelssohns Leitung hat unser Orchester durch un¬
ermüdlich sorgfältiges Studium, uuuachsichtige Strenge, vollkommene Beherrschung
der Aufgabe und geistreiche Belebung zu Leistungen geführt, welche dasselbe
uuter die ersten in Europa stellten.

Haben sich nun die Leistungen unsres Orchesters auf dieser Höhe erhalten,
zeigen sie wenigstens noch die Traditionen jener Zeit in Richtung und Bestre¬
bung? Es ist schmerzlich, aber diese Frage muß verneint werden: die Leistungen
sind gesunken, so sehr gesunken, daß wenn nicht eine entschiedene Wendung ein¬
tritt, bald genug der alte Ruhm des Leipziger Orchesters dahin sein wird.

Die materiellen Kräfte sind sehr ancrkennenSwerth für eine Stadt wie
Leipzig, aber keineswegs so beschaffen, daß sie nicht der größten Aufmerksamkeit
bedürften. Die Saiteninstrumente sind im allgemeinen der beste Theil. Man
hat sie kürzlich verstärkt, was bei dem starken Gebrauch der Blasinstrumente in
neueren Compositionen erwünscht war. Die Msse reichen immer »och nicht aus,
was nicht allein an der geringen Zahl, sondern auch'an den Spielern, zum Theil
wol auch an der Beschaffenheit der Instrumente"liegen wird; wie denn diese über¬
haupt ein Grund sein mag, daß der materielle Klang der Saiteninstrumente hier
nicht so schon und wohllautend ist als bei andern Orchestern. Dem mag schwer ab-
zuhelfen sein, aber daß das Zusammenspiel der Geigen keineswegs gleichmäßig rein
und präcis ist, dem läßt sich durch Sorgfalt und Strenge abhelfen. Die Blas-
instrumente lassen viel zu wünschen- übrig. Hörner und Fagotts sind die wahre
partis donwusö des Orchesters, bei denen man vor den ärgsten Verstößen nicht
sicher ist. Die Trompeten sind sonst uicht schlecht, aber sie haben so entschieden
imperatorische Gelüste, daß sie fast immer zu laut siud, alle andern Instrumente
zurückdränge» und deu Totaleindruck beeinträchtigen. Eine der ersten Aufgaben
eines guten Dirigenten ist es, daß er ans seinem Orchester ein Ganzes mache;
daß er die Kräfte desselben genau kenne, und bei vollkommener Klarheit über das,
was er erreichen will, und die geeigneten Mittel dazu, es verstehe das, was ihm
zu Gebote steht, so zu benutzen, das Einzelne so zu stellen, daß eine harmonische
Gesammtwirkung erreicht werde. Das erheischt allerdings Einsicht, Eifer und
Geduld beim Einstudiren, am guten Wille» des Orchesters wird es dann nicht
fehlen, denn das Gefühl des Gelingens gibt allein den Ausführende» Lust und,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/219>, abgerufen am 23.07.2024.