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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Meyerbeers neue Oper.
Pariser Brief.

Es gibt kaum ein Paar, das besser zusammenpaßte, als Scribe und Meyer-
beer. Der fruchtbare und erfindungsreiche Vaudvillist ist unter allen modernen
Librettoschreibern der einzige, mit dem sich Meyerbeer verständigen kann. Die
Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Oper ist ein neuer Beweis dafür. Meyer¬
beer hatte sein Feldlager von Schlesien im Portefeuille. Die Afrikanerin ist den
reisenden Strahlen der Reclame noch nicht lange genug ausgesetzt gewesen und
doch schien es an der Zeit, wieder mit einem neuen Werke hervorzutreten. Zu¬
dem mochte es Maestro Giacomo sündlich dünken, daß Paris, die Wiege der Meyer-
beerschen Erfolge, hinter den deutschen Theatern, hinter Berlin und Wien zurück¬
bleiben sollte; er mußte seinem gedrückten Gewissen Luft macheu. Eines schönen
Morgens sucht Pylades seinen Orest auf und klagt ihm seine Leiden. Eine preu¬
ßische Apotheose auf die Pariser Bühne zu bringen, das ging nimmermehr an,
Scribe sollte der. vorhandenen Musik einen neuen Text unterlegen. Er hatte
die Grundfarbe der deutschen Librettos beizubehalten, damit die bereits fertigen
Nummern, die Chöre, Zigeuuerlieder, die Ouvertüre und das in derselben verarbeitete,
später immer wiederkehrende Hauptmotiv verwendet werden könne. Gerührt von
dem Wehklagen seines Freundes, macht sich Scribe sofort an die Arbeit und in
wenigen Tagen ist das Libretto fertig. Aus dem preußischen Helden ist ein
russischer Heros gemacht und bei dem vorhandenen Wahnstnnsrezepte der italie¬
nischen Garküche von Linda und Lucia konnte es nicht schwer werden, etwas zu
erfinden, was die verlangte Wiederkehr der beliebte" Arie nach den hergebrachten
Dperngewvhuheiten entschuldigt. Soweit wäre alles gut, aber Meyerbeers Wahn¬
sinn harte zur Abwechselung auch zwischen zwei Flöten zu singen, und da die eine
Flöte vom ersten Liebhaber gespielt werden muß, machte Scribe ans Peter dem
Großen einen Flötenbläser. Wenn der Zar soweit derogirte, das Zimmerhand¬
werk zu erlernen, warum sollte er nicht auch die Flöte blasen. Der heftige, trunk¬
süchtige Mann, der den Frauen gegenüber die, russischen Soldaten im Ueber-
muthe des Sieges nachgerühmte Tugend ebenso gut ausübte, wie der letzte seiner
Baschkiren, muß uun Frauenherzen durch Flötenspiel erobern wie Dämon und
zeitweilig sentimental werden wie Werther. Die Hauptschwierigkeit wäre somit ebenfalls
beseitigt und wer es weiß, wie die französische Tragödie und das Drama mit dör
historischen Treue verfahren, wird, sich nicht verwundern, wenn das Opernlibretto ihr
beide Beine unterstellt. Es blieb nur noch übrig, den Dessauer Marsch ins
Russische zu übersetzen, denn dieser spielt im "Nordstern" eine ähnliche Rolle, wie
dem Nackoczymarsche in Berlioz Faust augewiesen ist. Scribe, der nicht leicht
in Verlegenheit kommt, macht aus dem ursprünglich italienischen, später deutsch


Meyerbeers neue Oper.
Pariser Brief.

Es gibt kaum ein Paar, das besser zusammenpaßte, als Scribe und Meyer-
beer. Der fruchtbare und erfindungsreiche Vaudvillist ist unter allen modernen
Librettoschreibern der einzige, mit dem sich Meyerbeer verständigen kann. Die
Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Oper ist ein neuer Beweis dafür. Meyer¬
beer hatte sein Feldlager von Schlesien im Portefeuille. Die Afrikanerin ist den
reisenden Strahlen der Reclame noch nicht lange genug ausgesetzt gewesen und
doch schien es an der Zeit, wieder mit einem neuen Werke hervorzutreten. Zu¬
dem mochte es Maestro Giacomo sündlich dünken, daß Paris, die Wiege der Meyer-
beerschen Erfolge, hinter den deutschen Theatern, hinter Berlin und Wien zurück¬
bleiben sollte; er mußte seinem gedrückten Gewissen Luft macheu. Eines schönen
Morgens sucht Pylades seinen Orest auf und klagt ihm seine Leiden. Eine preu¬
ßische Apotheose auf die Pariser Bühne zu bringen, das ging nimmermehr an,
Scribe sollte der. vorhandenen Musik einen neuen Text unterlegen. Er hatte
die Grundfarbe der deutschen Librettos beizubehalten, damit die bereits fertigen
Nummern, die Chöre, Zigeuuerlieder, die Ouvertüre und das in derselben verarbeitete,
später immer wiederkehrende Hauptmotiv verwendet werden könne. Gerührt von
dem Wehklagen seines Freundes, macht sich Scribe sofort an die Arbeit und in
wenigen Tagen ist das Libretto fertig. Aus dem preußischen Helden ist ein
russischer Heros gemacht und bei dem vorhandenen Wahnstnnsrezepte der italie¬
nischen Garküche von Linda und Lucia konnte es nicht schwer werden, etwas zu
erfinden, was die verlangte Wiederkehr der beliebte» Arie nach den hergebrachten
Dperngewvhuheiten entschuldigt. Soweit wäre alles gut, aber Meyerbeers Wahn¬
sinn harte zur Abwechselung auch zwischen zwei Flöten zu singen, und da die eine
Flöte vom ersten Liebhaber gespielt werden muß, machte Scribe ans Peter dem
Großen einen Flötenbläser. Wenn der Zar soweit derogirte, das Zimmerhand¬
werk zu erlernen, warum sollte er nicht auch die Flöte blasen. Der heftige, trunk¬
süchtige Mann, der den Frauen gegenüber die, russischen Soldaten im Ueber-
muthe des Sieges nachgerühmte Tugend ebenso gut ausübte, wie der letzte seiner
Baschkiren, muß uun Frauenherzen durch Flötenspiel erobern wie Dämon und
zeitweilig sentimental werden wie Werther. Die Hauptschwierigkeit wäre somit ebenfalls
beseitigt und wer es weiß, wie die französische Tragödie und das Drama mit dör
historischen Treue verfahren, wird, sich nicht verwundern, wenn das Opernlibretto ihr
beide Beine unterstellt. Es blieb nur noch übrig, den Dessauer Marsch ins
Russische zu übersetzen, denn dieser spielt im „Nordstern" eine ähnliche Rolle, wie
dem Nackoczymarsche in Berlioz Faust augewiesen ist. Scribe, der nicht leicht
in Verlegenheit kommt, macht aus dem ursprünglich italienischen, später deutsch


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[0021] Meyerbeers neue Oper. Pariser Brief. Es gibt kaum ein Paar, das besser zusammenpaßte, als Scribe und Meyer- beer. Der fruchtbare und erfindungsreiche Vaudvillist ist unter allen modernen Librettoschreibern der einzige, mit dem sich Meyerbeer verständigen kann. Die Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Oper ist ein neuer Beweis dafür. Meyer¬ beer hatte sein Feldlager von Schlesien im Portefeuille. Die Afrikanerin ist den reisenden Strahlen der Reclame noch nicht lange genug ausgesetzt gewesen und doch schien es an der Zeit, wieder mit einem neuen Werke hervorzutreten. Zu¬ dem mochte es Maestro Giacomo sündlich dünken, daß Paris, die Wiege der Meyer- beerschen Erfolge, hinter den deutschen Theatern, hinter Berlin und Wien zurück¬ bleiben sollte; er mußte seinem gedrückten Gewissen Luft macheu. Eines schönen Morgens sucht Pylades seinen Orest auf und klagt ihm seine Leiden. Eine preu¬ ßische Apotheose auf die Pariser Bühne zu bringen, das ging nimmermehr an, Scribe sollte der. vorhandenen Musik einen neuen Text unterlegen. Er hatte die Grundfarbe der deutschen Librettos beizubehalten, damit die bereits fertigen Nummern, die Chöre, Zigeuuerlieder, die Ouvertüre und das in derselben verarbeitete, später immer wiederkehrende Hauptmotiv verwendet werden könne. Gerührt von dem Wehklagen seines Freundes, macht sich Scribe sofort an die Arbeit und in wenigen Tagen ist das Libretto fertig. Aus dem preußischen Helden ist ein russischer Heros gemacht und bei dem vorhandenen Wahnstnnsrezepte der italie¬ nischen Garküche von Linda und Lucia konnte es nicht schwer werden, etwas zu erfinden, was die verlangte Wiederkehr der beliebte» Arie nach den hergebrachten Dperngewvhuheiten entschuldigt. Soweit wäre alles gut, aber Meyerbeers Wahn¬ sinn harte zur Abwechselung auch zwischen zwei Flöten zu singen, und da die eine Flöte vom ersten Liebhaber gespielt werden muß, machte Scribe ans Peter dem Großen einen Flötenbläser. Wenn der Zar soweit derogirte, das Zimmerhand¬ werk zu erlernen, warum sollte er nicht auch die Flöte blasen. Der heftige, trunk¬ süchtige Mann, der den Frauen gegenüber die, russischen Soldaten im Ueber- muthe des Sieges nachgerühmte Tugend ebenso gut ausübte, wie der letzte seiner Baschkiren, muß uun Frauenherzen durch Flötenspiel erobern wie Dämon und zeitweilig sentimental werden wie Werther. Die Hauptschwierigkeit wäre somit ebenfalls beseitigt und wer es weiß, wie die französische Tragödie und das Drama mit dör historischen Treue verfahren, wird, sich nicht verwundern, wenn das Opernlibretto ihr beide Beine unterstellt. Es blieb nur noch übrig, den Dessauer Marsch ins Russische zu übersetzen, denn dieser spielt im „Nordstern" eine ähnliche Rolle, wie dem Nackoczymarsche in Berlioz Faust augewiesen ist. Scribe, der nicht leicht in Verlegenheit kommt, macht aus dem ursprünglich italienischen, später deutsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/20>, abgerufen am 23.07.2024.