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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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oder aus Malice mag dahingestellt sein, wir hatten durch das Unwetter und den
.Aufenthalt im Hospiz zu viel Zeit verloren. Wir wendeten uns also gen Osten
um den Port de la Picade zu gewinnen,,,.,der ans Aragonien nach Katalonien
hinüberführt. Obwol bei weitem leichter zu passiren, als der Port de Ve-
nasque, ist seine Umgebung auf der Südseite nicht minder großartig und wild,
denn sein Felsensockel steigt am Fuße der Maladetta empor. Von der Höhe des
Kammes warfen wir noch einen Blick auf die gefürchtete Königin des Gebirges,
mit ihren Eiskronen und Gürteln, ihren Hörnern, Kuppen, Abgründen
und Felsenmauern; dann stiegen wir einen bequemen Pfad am nördlichem Ab¬
Hange nieder und erreichten bald das schmale, waldreiche Thalbecken von Artigna
Telline.

Hier ist wieder alles voll üppigen Lebens: im Schatten der Eichen und
Buchen gedeihen die schönsten Blumen, die duftigsten Kräuter. Wo ein Marmvr-
kegel das zackige Haupt hervorstreckt ist er mit Moos und Schlingpflanzen bedeckt.
Am Ufer des Gave, der aus dem Gletschersee von Pomeran niederstürzt, haben
sich Rosenbüsche, Nothdorn und Weißdorn zu Laubengängen vereinigt, und tau¬
send summende, schwirrende, farbensnnkelnde Insekten' tanzen im Sonnenschein --
denn auch das Reich der Nebel und Stürme liegt hinter uns, hier herrschen
Frieden und Fröhlichkeit. Nur der Gave, der in Cascaden an uns vorübereilt,
erzählt von den Schrecknissen des Hochgebirges und je weiter wir ihm folgen,
um so lauter scheint sein Brausen zu werden. Aber naij) und nach unterscheiden
wir. zwei Stimmen und endlich wird das Rauschen des Flusses, der in tiefem
Felskessel verschwindet, vom Donner eines Wasserfalls verschlungen.

Der Führer leitet uus seitwärts, biegt das Zweigwerk auseinander und
wir sahen ans .einer Höhle zu unsern Füßen zwei mächtige Wasserstrahlen hervor¬
brechen, die bald darauf zu einem Strome vereinigt in gewaltigen Fällen abwärts
schäumen. Es sind die Quelle" der Garonne, die am Fuße der Maladetta vom
Trou du Toro verschlungen wurden und nach einer unterirdischen Reise von 5--6
Lieues hier wieder zu Tage kommen, mit einem Ungestüm, als trügen sie Ver¬
langen, dem dunklen Gefängniß so rasch als möglich zu entfliehen. ^ ,

Von jetzt an folgt der Weg den Fällen dieses Stromes, der bald Garonne,
bald Gar, bald Gave dArtigua genannt wird. Das Thal erweitert sich mehr
und mehr -- Wiesen und Felder zieren die Ufer; einige Hütten liegen am Wal¬
dessaum; Kühe und Schafe ruhen im Grünen; große langgchvrnte Ziegen sehen
aus dem Gebüsch hervor oder klettern und springen über das Gestein am Berg-
abhange. Daun zeigt sich auf hoher Terrasse das Hospiz von Artigua Telline,
ein stolzes Gebäude mit zwei Flügeln und einer gnadenreichen ,,M"ttergottes",
zu der das Landvolk an bestimmten Tagen pilgert -- und, nach ein'er kleinen
halben Stunde erreichen wir den Eingang des Thales von Aram und das hüb¬
sche Dorf Las Bordes, das auf den Trümmern des im Erbsvlgekriege zerstörten


oder aus Malice mag dahingestellt sein, wir hatten durch das Unwetter und den
.Aufenthalt im Hospiz zu viel Zeit verloren. Wir wendeten uns also gen Osten
um den Port de la Picade zu gewinnen,,,.,der ans Aragonien nach Katalonien
hinüberführt. Obwol bei weitem leichter zu passiren, als der Port de Ve-
nasque, ist seine Umgebung auf der Südseite nicht minder großartig und wild,
denn sein Felsensockel steigt am Fuße der Maladetta empor. Von der Höhe des
Kammes warfen wir noch einen Blick auf die gefürchtete Königin des Gebirges,
mit ihren Eiskronen und Gürteln, ihren Hörnern, Kuppen, Abgründen
und Felsenmauern; dann stiegen wir einen bequemen Pfad am nördlichem Ab¬
Hange nieder und erreichten bald das schmale, waldreiche Thalbecken von Artigna
Telline.

Hier ist wieder alles voll üppigen Lebens: im Schatten der Eichen und
Buchen gedeihen die schönsten Blumen, die duftigsten Kräuter. Wo ein Marmvr-
kegel das zackige Haupt hervorstreckt ist er mit Moos und Schlingpflanzen bedeckt.
Am Ufer des Gave, der aus dem Gletschersee von Pomeran niederstürzt, haben
sich Rosenbüsche, Nothdorn und Weißdorn zu Laubengängen vereinigt, und tau¬
send summende, schwirrende, farbensnnkelnde Insekten' tanzen im Sonnenschein —
denn auch das Reich der Nebel und Stürme liegt hinter uns, hier herrschen
Frieden und Fröhlichkeit. Nur der Gave, der in Cascaden an uns vorübereilt,
erzählt von den Schrecknissen des Hochgebirges und je weiter wir ihm folgen,
um so lauter scheint sein Brausen zu werden. Aber naij) und nach unterscheiden
wir. zwei Stimmen und endlich wird das Rauschen des Flusses, der in tiefem
Felskessel verschwindet, vom Donner eines Wasserfalls verschlungen.

Der Führer leitet uus seitwärts, biegt das Zweigwerk auseinander und
wir sahen ans .einer Höhle zu unsern Füßen zwei mächtige Wasserstrahlen hervor¬
brechen, die bald darauf zu einem Strome vereinigt in gewaltigen Fällen abwärts
schäumen. Es sind die Quelle» der Garonne, die am Fuße der Maladetta vom
Trou du Toro verschlungen wurden und nach einer unterirdischen Reise von 5—6
Lieues hier wieder zu Tage kommen, mit einem Ungestüm, als trügen sie Ver¬
langen, dem dunklen Gefängniß so rasch als möglich zu entfliehen. ^ ,

Von jetzt an folgt der Weg den Fällen dieses Stromes, der bald Garonne,
bald Gar, bald Gave dArtigua genannt wird. Das Thal erweitert sich mehr
und mehr — Wiesen und Felder zieren die Ufer; einige Hütten liegen am Wal¬
dessaum; Kühe und Schafe ruhen im Grünen; große langgchvrnte Ziegen sehen
aus dem Gebüsch hervor oder klettern und springen über das Gestein am Berg-
abhange. Daun zeigt sich auf hoher Terrasse das Hospiz von Artigua Telline,
ein stolzes Gebäude mit zwei Flügeln und einer gnadenreichen ,,M»ttergottes",
zu der das Landvolk an bestimmten Tagen pilgert — und, nach ein'er kleinen
halben Stunde erreichen wir den Eingang des Thales von Aram und das hüb¬
sche Dorf Las Bordes, das auf den Trümmern des im Erbsvlgekriege zerstörten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/196>, abgerufen am 23.07.2024.