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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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ein dunkler Fichtenwald in den Schluchten hin oder ein rother Haidestrich bedeckt
die geschützten Abhänge, aber größtentheils liegt der verwitternde Kalkstein oder
das grauweiße Geschiebe der sogenannten Penna-blanca, eine grobe Marmorart,
nackt zu Tage, bis sie in die Region des ewigen Winters hinaufragend, die
kolossalen Häupter mit Eis und Schneedecken verhüllt.

Ueber alle erheben, sich die Gletscherkronen der Maladetta. Ihre breiten
Felseuglieder, die sich zwischen den Thälern von Venasque und Aram ausdehnend,
Aragonien und Katalonien scheiden, gewähren den Herden keine Weideplätze und
ihre Schrunde, Giesbäche, Lawinen und Erdfälle bedrohen den Neugierigen, der
ihre Einsamkeit zu stören wagt, oder den Jäger, der das Jsard verfolgt, mit tau¬
send Gefahren. -- Bis in die neuste Zeit hatte der "verfluchte Berg" den Ruhm
der Unersteigbarkeit bewahrt, aber trotz der zahlreichen Opfer, die er verschlungen
hat, wurden immer neue Versuche angestellt, bis das kühne Wagstück im Jahre
18i2 einem Russen zuerst gelang. Indessen halten die Bewohner der Umgegend
die Besteigung der Maladetta noch immer für ein sündhaftes Unternehmen. Dem
Volksglauben nach treiben dort die bösesten Geister ihr Wesen, und wer aus
eitler Neugier oder aus Habsucht dem Bannfluche ihres Gebiets zu trotzen wagt,
ist den Mächten der Hölle verfallen.

Während der Führer uns diese 'Eröffnung machte, stiegen wir langsam den
Pfad hinab. Er ist, wie auf französischer Seite, in vielfachen Zickzacks in die
Felswand gehauen, die hier durchweg aus dem grauen, weißadrigcn Marmor der
Penna-blanca besteht. -- Je weiter wir hinabsteigen, um so begrenzter wird unser
Horizont, um so öder und farbloser die Umgebung; denn, das Blau des Him¬
mels verschwindet wieder im Gewühl der Nebel. Die tückischen, kaum bewältig¬
ten Dunstmassen scheinen im Kampfe mit dem Sonnenlicht nur geruht zu haben.
Aus allen Schluchten hervorkriechend, schleppen sie sich von einer Felsstufe zur an¬
dern, um sich endlich mit den Wolken zu vereinigen, die der Südwind in heftigen
Stößen herantreibt. Das ist ein Wirbeln und Sausen in den Lüsten, ein wilder,
gespenstiger Reigen; ein Ineinanderströmen der verschiedensten Farben. Wo die
Wolken zerreißen, fliegt ein Sonnenstrahl über den enthüllten Theil der Landschaft,
um im Augenblicke wieder von Dunstgeschieben verdrängt zu werden. Hier und
da faßt der Wind, durch tiefliegende Schluchten streifend, eine der aufwärtskrie¬
chenden Nebelgestalten, um sie ä.n den Bergwänden hiuaufzuwirbeln; hier und
da ballt er Wolken zusammen, 'um sie von jähen Abhängen in die Tiefe zu schleu¬
dern, wo sie an Felsen zerschellend sich ihres Inhalts in Regengüssen entladen.
Und während wir diesen Kämpfen rings um uns herzuschauen, kommt es dunkler
und dunkler gezogen -- die mächtigen Luftwellen brechen sich, an den Felsen der
Penna-blanca; auch über uns ergießen sich die kalten Fluten in gewaltiger Strö¬
mung -- in der wachsenden Finsterniß vermögen wir kaum deu schlüpfrigen Pfad


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ein dunkler Fichtenwald in den Schluchten hin oder ein rother Haidestrich bedeckt
die geschützten Abhänge, aber größtentheils liegt der verwitternde Kalkstein oder
das grauweiße Geschiebe der sogenannten Penna-blanca, eine grobe Marmorart,
nackt zu Tage, bis sie in die Region des ewigen Winters hinaufragend, die
kolossalen Häupter mit Eis und Schneedecken verhüllt.

Ueber alle erheben, sich die Gletscherkronen der Maladetta. Ihre breiten
Felseuglieder, die sich zwischen den Thälern von Venasque und Aram ausdehnend,
Aragonien und Katalonien scheiden, gewähren den Herden keine Weideplätze und
ihre Schrunde, Giesbäche, Lawinen und Erdfälle bedrohen den Neugierigen, der
ihre Einsamkeit zu stören wagt, oder den Jäger, der das Jsard verfolgt, mit tau¬
send Gefahren. — Bis in die neuste Zeit hatte der „verfluchte Berg" den Ruhm
der Unersteigbarkeit bewahrt, aber trotz der zahlreichen Opfer, die er verschlungen
hat, wurden immer neue Versuche angestellt, bis das kühne Wagstück im Jahre
18i2 einem Russen zuerst gelang. Indessen halten die Bewohner der Umgegend
die Besteigung der Maladetta noch immer für ein sündhaftes Unternehmen. Dem
Volksglauben nach treiben dort die bösesten Geister ihr Wesen, und wer aus
eitler Neugier oder aus Habsucht dem Bannfluche ihres Gebiets zu trotzen wagt,
ist den Mächten der Hölle verfallen.

Während der Führer uns diese 'Eröffnung machte, stiegen wir langsam den
Pfad hinab. Er ist, wie auf französischer Seite, in vielfachen Zickzacks in die
Felswand gehauen, die hier durchweg aus dem grauen, weißadrigcn Marmor der
Penna-blanca besteht. — Je weiter wir hinabsteigen, um so begrenzter wird unser
Horizont, um so öder und farbloser die Umgebung; denn, das Blau des Him¬
mels verschwindet wieder im Gewühl der Nebel. Die tückischen, kaum bewältig¬
ten Dunstmassen scheinen im Kampfe mit dem Sonnenlicht nur geruht zu haben.
Aus allen Schluchten hervorkriechend, schleppen sie sich von einer Felsstufe zur an¬
dern, um sich endlich mit den Wolken zu vereinigen, die der Südwind in heftigen
Stößen herantreibt. Das ist ein Wirbeln und Sausen in den Lüsten, ein wilder,
gespenstiger Reigen; ein Ineinanderströmen der verschiedensten Farben. Wo die
Wolken zerreißen, fliegt ein Sonnenstrahl über den enthüllten Theil der Landschaft,
um im Augenblicke wieder von Dunstgeschieben verdrängt zu werden. Hier und
da faßt der Wind, durch tiefliegende Schluchten streifend, eine der aufwärtskrie¬
chenden Nebelgestalten, um sie ä.n den Bergwänden hiuaufzuwirbeln; hier und
da ballt er Wolken zusammen, 'um sie von jähen Abhängen in die Tiefe zu schleu¬
dern, wo sie an Felsen zerschellend sich ihres Inhalts in Regengüssen entladen.
Und während wir diesen Kämpfen rings um uns herzuschauen, kommt es dunkler
und dunkler gezogen — die mächtigen Luftwellen brechen sich, an den Felsen der
Penna-blanca; auch über uns ergießen sich die kalten Fluten in gewaltiger Strö¬
mung — in der wachsenden Finsterniß vermögen wir kaum deu schlüpfrigen Pfad


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/194>, abgerufen am 23.07.2024.