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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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ches das Wort hat, faßt den Sinn, er unterbricht sich plötzlich und sinkt auf
seinen Sitz zurück, wie von einer Kugel ins Herz getroffen. Die NichtMitglieder
müssen sich entfernen; die Berichterstatter der Zeitungen lächeln vergnügt; in drei
Minuten ist das Haus aufgezählt und es sind Ferien für den Abend. Ost
benutzt mau dieses Auszählen zur Bestrafung von langweilige" Rednern, und
es verfehlt selten seinen Zweck, sie vorsichtiger mit Anträgen zu machen.

Anfang August wettet man schon, ob,.der Schluß des Parlaments Dienstags
oder Donnerstags sein werde. Das Verzeichniß der Tagesordnungen, das in
der Blütezeit der Session wol 36 Nummern zählte, wird lächerlich kurz. An
einem Sonnabend gibt der Sprecher den Beamten des Hauses das herkömmliche
Diner und die Minister fahren nach Greenwich, um Whitehall zu speisen: sichere
Zeichen, daß nächste Woche die letzte Sitzung sein wird. , Montag und Dienstag
sind Mittagsitzuugen und Abends werdeu uoch einige im Oberhause in Nest ge¬
bliebene Amendements berathen. Dienstag Abend aber vertagt sich das Haus
bis Donnerstag Mittag um -I Uhr. Um diese Stunde sammeln sich SO oder
60 überfleißige Mitglieder um den Sprecher, der diesmal in seinem mit Gold-
brokat gestickten Talar gekleidet ist. Mit munterem Gesicht und freundlicher Miene
treten die Minister ein, die sich schon im voraus der Ferien freuen. Die Führer
der Opposition haben schon seit 14 Tagen die Stadt verlassen, die Namen der
Anwesenden werden in einen Stimmkasten gethan. Eben hat noch ein dienst-
eifriges Mitglied die freie Zeit benutzt, um eine Jnterpellation an einen der
Minister zu richten, aber ehe uoch der Gefragte seiue Antwort beginnen kann,
werden die äußeren Thüren geschlossen, man vernimmt den lauten Ruf: "der
schwarze Stab" und ein feierliches Schweigen tritt ein, das ein lautes dreimaliges
Klopfen an der Thür unterbricht, die Flügelthüren fliegen auf und herein tritt
der Huissier mit dem schwarzen Stab in reicher goldgestickter Hofuniform, der die
getreuen Gemeinen von England einladet, im Oberhaus zu erscheinen, wo die
Königin in Begriff steht, das Parlament zu vertagen. Der Sprecher erhebt sich
von seinem Sitz und schreitet würdevoll durch die Reihen der Mitglieder nach
der Thür, die Minister folgen ihm, drei oder vier nebeneinander. Die Namen
der übrigen Mitglieder werden ausgelost und sowie einer genannt wird, stürzt
er den Vorangegangenen eiligst nach, wodurch das Erscheinen der Gemeinen im
Oberhause immer etwas Tnmultuarisches bekommt. Jetzt herrscht lautlose Stille
in dem verlassenen Saale, bis nach ungefähr 20 Minuten der Sprecher mit
vielleicht 20 Mitgliedern zurückkehrt und an der ministeriellen Seite der Tafel
stehend den Mitgliedern nochmals die eben gehörte königliche Rede vorliest. Dann
reicht er ihnen die Hand zum Abschied, verschwindet durch eine Seitenthür in sein
Privatzimmer und die Session ist zu Ende.




ches das Wort hat, faßt den Sinn, er unterbricht sich plötzlich und sinkt auf
seinen Sitz zurück, wie von einer Kugel ins Herz getroffen. Die NichtMitglieder
müssen sich entfernen; die Berichterstatter der Zeitungen lächeln vergnügt; in drei
Minuten ist das Haus aufgezählt und es sind Ferien für den Abend. Ost
benutzt mau dieses Auszählen zur Bestrafung von langweilige» Rednern, und
es verfehlt selten seinen Zweck, sie vorsichtiger mit Anträgen zu machen.

Anfang August wettet man schon, ob,.der Schluß des Parlaments Dienstags
oder Donnerstags sein werde. Das Verzeichniß der Tagesordnungen, das in
der Blütezeit der Session wol 36 Nummern zählte, wird lächerlich kurz. An
einem Sonnabend gibt der Sprecher den Beamten des Hauses das herkömmliche
Diner und die Minister fahren nach Greenwich, um Whitehall zu speisen: sichere
Zeichen, daß nächste Woche die letzte Sitzung sein wird. , Montag und Dienstag
sind Mittagsitzuugen und Abends werdeu uoch einige im Oberhause in Nest ge¬
bliebene Amendements berathen. Dienstag Abend aber vertagt sich das Haus
bis Donnerstag Mittag um -I Uhr. Um diese Stunde sammeln sich SO oder
60 überfleißige Mitglieder um den Sprecher, der diesmal in seinem mit Gold-
brokat gestickten Talar gekleidet ist. Mit munterem Gesicht und freundlicher Miene
treten die Minister ein, die sich schon im voraus der Ferien freuen. Die Führer
der Opposition haben schon seit 14 Tagen die Stadt verlassen, die Namen der
Anwesenden werden in einen Stimmkasten gethan. Eben hat noch ein dienst-
eifriges Mitglied die freie Zeit benutzt, um eine Jnterpellation an einen der
Minister zu richten, aber ehe uoch der Gefragte seiue Antwort beginnen kann,
werden die äußeren Thüren geschlossen, man vernimmt den lauten Ruf: „der
schwarze Stab" und ein feierliches Schweigen tritt ein, das ein lautes dreimaliges
Klopfen an der Thür unterbricht, die Flügelthüren fliegen auf und herein tritt
der Huissier mit dem schwarzen Stab in reicher goldgestickter Hofuniform, der die
getreuen Gemeinen von England einladet, im Oberhaus zu erscheinen, wo die
Königin in Begriff steht, das Parlament zu vertagen. Der Sprecher erhebt sich
von seinem Sitz und schreitet würdevoll durch die Reihen der Mitglieder nach
der Thür, die Minister folgen ihm, drei oder vier nebeneinander. Die Namen
der übrigen Mitglieder werden ausgelost und sowie einer genannt wird, stürzt
er den Vorangegangenen eiligst nach, wodurch das Erscheinen der Gemeinen im
Oberhause immer etwas Tnmultuarisches bekommt. Jetzt herrscht lautlose Stille
in dem verlassenen Saale, bis nach ungefähr 20 Minuten der Sprecher mit
vielleicht 20 Mitgliedern zurückkehrt und an der ministeriellen Seite der Tafel
stehend den Mitgliedern nochmals die eben gehörte königliche Rede vorliest. Dann
reicht er ihnen die Hand zum Abschied, verschwindet durch eine Seitenthür in sein
Privatzimmer und die Session ist zu Ende.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/19>, abgerufen am 23.07.2024.