Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.hat in sich keine Ader jener liebenswürdigen französischen Frivolität, die uns Dieser Charakter zeigt sich auch in seiner Geschichtschreibung. Bei der reli¬ hat in sich keine Ader jener liebenswürdigen französischen Frivolität, die uns Dieser Charakter zeigt sich auch in seiner Geschichtschreibung. Bei der reli¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97958"/> <p xml:id="ID_558" prev="#ID_557"> hat in sich keine Ader jener liebenswürdigen französischen Frivolität, die uns<lb/> mitunter belustigt, wenn wir grade darüber zürnen möchten. Aber in seinen Doc-<lb/> trinen finden wir ^ewas Französisches. Ein deutscher Doctrinär hat in der Regel<lb/> etwas Warmes, Schwärmerisches; Guizot, obgleich er fast bis zum Fanatismus<lb/> hartnäckig in seinen Ueberzeugungen ist, bleibt doch immer kalt und trocken. Eine<lb/> Politik der Vermittlung, wie er sie in Gemeinschaft und seiner Schule anstrebte,<lb/> eine Politik, die allen, bestimmt ausgesprochenen Ideen widerstrebt, kann nur durch<lb/> eins gerechtfertigt werden, durch den Erfolg, und dieser hat gegen ihn gesprochen.<lb/> Guizots politische Ueberzeugung steht zu seinem Talent nicht im richtigen Ver¬<lb/> hältniß. Kalt verständig, wie er die Verhältnisse auffaßt, möchte er die Leitung<lb/> der Politik in die Hände der kalt verständigen Leute, der Diplomaten geben, und<lb/> doch ist seine Natur nichts weniger als diplomatisch. Er ist durch die Pedanterie<lb/> seines Wesens allen unbequem geworden, mit denen er in irgend einer Zeit seiueV<lb/> Lebens zu thun hatte, am meisten denen, für die er sich aufopferte, nud zu der<lb/> Leitung der öffentlichen Angelegenheiten fehlte ihm das Geschick, das allein die<lb/> Vollkraft einer herrschenden Idee ersetzen kann, nämlich die Elasticität, sich schnell<lb/> in veränderte Thatsachen zu finden. - , ',</p><lb/> <p xml:id="ID_559" next="#ID_560"> Dieser Charakter zeigt sich auch in seiner Geschichtschreibung. Bei der reli¬<lb/> giösen Färbung,.die er seinem Werke zu geben sucht, sieht man doch sogleich dnrch,<lb/> daß sie mehr ans einem Bedürfniß der Wohlanständigkeit, als ans einem innern<lb/> Drang des Gemüths hervorgeht, und so ist auch die Art und Weise, wie er einen<lb/> schlechten Regenten wie Karl I. beschönigt, nicht ein Herzensbedürfniß, sondern<lb/> eine diplomatische Gewohnheit. Sein Verstand ist sein und gebildet, aber die<lb/> Schwingen seiner Phantasie sind klein und ärmlich. Das ist nnn für eine Zeit,<lb/> wie die der ersten 'Revolutionen, nicht sehr günstig. Wir finde» die Schilderungen,<lb/> die Walter Scott von den Independenten gibt, obgleich er sie leidenschaftlich<lb/> haßte und sie daher sehr ungerecht behandelte, doch im ganzen, viel richtiger und<lb/> treffender, als diese shllvgistischen Versuche, sich aus dem Raisonnement des Ver¬<lb/> standes einen Charakter zusammenzusetzen. Guizot hat Bildung genng, um die<lb/> Bedeutung eines Mannes wie Cromwell von Seiten des Verstandes richtig zu<lb/> würdigen, er hat auch die Einsicht, daß in einer dämonischen Natur sich starke<lb/> Widersprüche vereinigen müssen, aber er findet in seinem Innern nichts, was ihm<lb/> den wirklichen Proceß einer solchen Natur veranschaulichen könnte. Man hat<lb/> ganz richtig bemerkt, daß zu einer Geschichtschreibung im höhern Sinn neben der'<lb/> kritischen anch die poetische Anlage erforderlich wäre, die synthetische neben der<lb/> analytischen, d. h. die Fähigkeit zu gestalten neben der Fähigkeit zu unterscheiden.<lb/> Dieser Satz findet vor allem seine Anwendung auf solche Zeiten, die durch eine<lb/> gewaltige irrationale Gemüthsrichtung bestimmt waren. Um aber zu gestalten,<lb/> muß man zunächst die einzelnen Momente der Seele in ihrer vollen Kraft nach¬<lb/> empfinden können, und das versteht Guizot nicht. Er steht seinem Helden stets</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
hat in sich keine Ader jener liebenswürdigen französischen Frivolität, die uns
mitunter belustigt, wenn wir grade darüber zürnen möchten. Aber in seinen Doc-
trinen finden wir ^ewas Französisches. Ein deutscher Doctrinär hat in der Regel
etwas Warmes, Schwärmerisches; Guizot, obgleich er fast bis zum Fanatismus
hartnäckig in seinen Ueberzeugungen ist, bleibt doch immer kalt und trocken. Eine
Politik der Vermittlung, wie er sie in Gemeinschaft und seiner Schule anstrebte,
eine Politik, die allen, bestimmt ausgesprochenen Ideen widerstrebt, kann nur durch
eins gerechtfertigt werden, durch den Erfolg, und dieser hat gegen ihn gesprochen.
Guizots politische Ueberzeugung steht zu seinem Talent nicht im richtigen Ver¬
hältniß. Kalt verständig, wie er die Verhältnisse auffaßt, möchte er die Leitung
der Politik in die Hände der kalt verständigen Leute, der Diplomaten geben, und
doch ist seine Natur nichts weniger als diplomatisch. Er ist durch die Pedanterie
seines Wesens allen unbequem geworden, mit denen er in irgend einer Zeit seiueV
Lebens zu thun hatte, am meisten denen, für die er sich aufopferte, nud zu der
Leitung der öffentlichen Angelegenheiten fehlte ihm das Geschick, das allein die
Vollkraft einer herrschenden Idee ersetzen kann, nämlich die Elasticität, sich schnell
in veränderte Thatsachen zu finden. - , ',
Dieser Charakter zeigt sich auch in seiner Geschichtschreibung. Bei der reli¬
giösen Färbung,.die er seinem Werke zu geben sucht, sieht man doch sogleich dnrch,
daß sie mehr ans einem Bedürfniß der Wohlanständigkeit, als ans einem innern
Drang des Gemüths hervorgeht, und so ist auch die Art und Weise, wie er einen
schlechten Regenten wie Karl I. beschönigt, nicht ein Herzensbedürfniß, sondern
eine diplomatische Gewohnheit. Sein Verstand ist sein und gebildet, aber die
Schwingen seiner Phantasie sind klein und ärmlich. Das ist nnn für eine Zeit,
wie die der ersten 'Revolutionen, nicht sehr günstig. Wir finde» die Schilderungen,
die Walter Scott von den Independenten gibt, obgleich er sie leidenschaftlich
haßte und sie daher sehr ungerecht behandelte, doch im ganzen, viel richtiger und
treffender, als diese shllvgistischen Versuche, sich aus dem Raisonnement des Ver¬
standes einen Charakter zusammenzusetzen. Guizot hat Bildung genng, um die
Bedeutung eines Mannes wie Cromwell von Seiten des Verstandes richtig zu
würdigen, er hat auch die Einsicht, daß in einer dämonischen Natur sich starke
Widersprüche vereinigen müssen, aber er findet in seinem Innern nichts, was ihm
den wirklichen Proceß einer solchen Natur veranschaulichen könnte. Man hat
ganz richtig bemerkt, daß zu einer Geschichtschreibung im höhern Sinn neben der'
kritischen anch die poetische Anlage erforderlich wäre, die synthetische neben der
analytischen, d. h. die Fähigkeit zu gestalten neben der Fähigkeit zu unterscheiden.
Dieser Satz findet vor allem seine Anwendung auf solche Zeiten, die durch eine
gewaltige irrationale Gemüthsrichtung bestimmt waren. Um aber zu gestalten,
muß man zunächst die einzelnen Momente der Seele in ihrer vollen Kraft nach¬
empfinden können, und das versteht Guizot nicht. Er steht seinem Helden stets
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